Als ich mich über meine am Freitagabend äußerst gelungenen Rouladen endlich in den Schlaf gefreut hatte, schien am Samstagmorgen die Sonne über unserer schönen Kapitale. Also raus aus den Federn, Brötchen und die Süddeutsche gekauft, die es aber wegen bayrischen Feiertags nicht gab. Stattdessen musste mal der Tagesspiegel ran. Der ist zwar nicht so schnarchnasig wie das Hamburger Abendblatt oder so militant provinziell wie die WAZ, aber dann doch ausreichend bräsig, um mir beinahe das Frühstück zu versauen. Gut, daß mir die Rouladen vom Vorabend wieder einfielen.
Doch gönnte ich mir nicht die Zeit, mich über eigene Brillanz zu erregen, noch mich für Versäumnisse dieser wahrhaft unperfekten Welt zu grämen. Ich rufe Marcus an und wir beschließen ein paar Stunden des Nachmittags zu verbringen. Die Wahl des Rahmens ist schnell getroffen: Aus einem Stadtplan mit 200 eingezeichneten Museen wählen wir das „Museum für Wassersport“ in Berlin-Grünau aus.
Heiter geht die muntere Fahrt im Automobil übers Adlergestell in den tiefen Südosten. Wir kommen an der Levi-Strauss-Oberschule vorbei, einem Ensemble alter und moderner Beton- und Backsteinarchitektur. Uns ist jedoch nicht ganz klar, wer mit Levi Strauss gemeint ist. Der Erfinder der blauen Nietenhosen doch wohl nicht.
Letztendlich biegen wir in die Regattastraße ein, die von der Spree nur von einem mit mehrheitlich prächtigen, riesigen Bootshäusern bebauten Uferstreifen getrennt ist. Diese sind mehrheitlich ebenso prächtig verfallen und werden wohl bald von architektonisch scheußlichen Panzersperrvillen für irgendwelche Nabobs ersetzt, wie sie es bereits schon zu sehen gibt. Das einst wohl mal schöne „Europa“-Kino wird schon mit Skizzen der zukünftigen Wohnstätte beworben.
Doch noch zeigt sich die alte Pracht des Sozialismus, auch die des nationalen, denn das Museum – es ist leider geschlossen – liegt an der Tribüne der Regattastrecke der olympischen Kanu- und Ruderwettbewerbe 1936. Die Regattastrecke selbst ist noch in Betrieb, so sind es wohl auch die Tribünen, deren Außenputz rau ist und zwar so sehr, daß Marcus in Form und Farbe an Hundedurchfall denkt. Ich stimme zu.
Damit wir nicht umsonst so weit gefahren sind, gehen wir entlang der vorher bereits erwähnten Uferbebauung spazieren. Ich bin über den prangenden Verfall ganz entzückt, der gemeinsam mit den ganz vorzüglich leuchtenden Herbstfarben den schicken Anschein der träge vorbeifließenden Spree kontrastiert.
Ansonsten reihen sich ehrwürdige Gemäuer und mit Schuppen bestandene Grundstücke aneinander bis wir zum „Bundesstützpunkt Rudern und Kanu“ kommen, bei dessen Ansicht wir ins Stutzen kommen. Es sieht nämlich wie eine kleine Ausgabe der griechisch-römischen Stelle an den G-Gebäuden der Ruhr-Universität-Bochum (RUB). Da diese ja schon in den 60ern gebaut wurde und dieses sogenannte ‚Sportlerhotel‘ schon zu DDR-Zeiten bestand, müssen wohl einige Fragen erlaubt sein: War der Architekt der RUB ein Republikflüchtling? Und wenn ja: Von West nach Ost oder umgekehrt? Meine Güte, das könnte internationale Verwerfungen zur Folge haben!
Welch frappierende Ähnlichkeit!
Noch immer innerlich stark aufgewühlt suchen wir eine Gastronomie heim, das Kaffeehaus Liebig, wo wir uns kaum erholen können, wird doch unsere sensible Wahrnehmung aufs Neue hochgradig beansprucht. Eine Mixtur aus verschiedenen Stilkopien von Jugendstil über Jägerzaun bis Postmoderne wird von der vorherrschenden Farbe Lilla (ja, mit Doppel-L) zusammengehalten. Wir nehmen in einem Raum Platz, dessen einstufige Bühne und davor eine ca. 6 m² große Metallfläche wohl auch zum Schwof genutzt wird. Ab und zu überquert ein wohl genährter Zuckerbäcker mit einer frisch gebackenen Torte das stählerne Parkett. Die Chefin, eine freundliche Dame, wohl in den 70ern, thront souverän auf einem Barhocker.
Auf Marcus‘ Empfehlung werfe ich noch einen Blick auf die Toiletten, die weitere Fröhlichkeiten beherbergen. Allein die vier Urinale sind alle unterschiedlich mit verschiedenen Abzugshähnen und dann die Kacheln in braun und grün und, und, und.
Ich finde solche Orte einfach herrlich, und ich bin fest überzeugt, daß diese Stadt da noch einiges zu bieten hat. Inständig hoffe ich auch, daß auch in absehbarer Zeit noch genügend olle Schuppen hier herumstehen werden und daß eben nicht deutscher Ordnungssinn alsbald alles sterilrenoviert hat. Sei es wie es sei; den Abend verbringe ich jedenfalls beduselt selig mit irgendwas Belanglosem.
Sonntag, 2. November 2008
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