Freitag, 21. November 2008

Der Calvinistische Albtraum

Die letzten beiden Tage ist nicht viel passiert. Ich habe einfach kaum was unternommen. Da ist zu gutem Teil meinem Geburtstag zu verdanken oder besser der mit Alkoholabusus verbundenen Feier, die von den Anwesenden als gelungener bunter Abend bezeichnet wurde, während dessen unter anderem Hermann so leidenschaftlich von einer Idee gepackt war, die er mit einer solchen Vehemenz vortrug, daß man mit keiner Frage auch nur halb dazwischen kam, geschweige denn einer Anmerkung, bis der nette Herr Rintsche von schräg unten kam und sich über die Lautstärke beschwerte oder war es schon vorher? Weiß nicht mehr, auch egal; ich hatte jedenfalls schon ganz vergessen, wie gut er sowas kann.

Meine kleine Kreuzung bei Tag...

Ein anderer Umstand war das Wetter. Grau, kalt, Regen, Sturm und heute gar Andeutung von Schnee. Ich stehe da also in meinem bräsigen Brägen am Fenster und schaue fast den ganzen Tag ungeniert aus dem Fenster. Abends mit Licht. Unterbrochen nur von Einkaufsgängen, die ich mit großem Wagemut weiträumig gestalte, damit ich an der frischen Luft bin. Dabei ist sogar im sonst so geschäftigen Friedrichshain kaum eine Sau auf der Straße. Und wenn, dann wird gehastet wie auf der Flucht vorm Iwan. Ich hingegen gucke mir fast jedes Schaufenster an. Es gibt hier sogar einen Laden, der nix als Ohrringe hat, und der ist nicht mal klein. Bemerkenswert auch ein Frisör im Einrichtungsstil der 50er Jahre, aber mit bis zum gehtnichtmehr gepirct und gepaikertem Personal. Gleich zwo Häuser weiter noch so einer.

Zurück gehe ich über die Boxhagener, an deren Ende ich einen Fleischer weiß, der, wie viele in Ost-Berlin, ihre Ware noch selber herstellen und auch einen kleinen Imbißverkauf haben. Als ich das Ladenlokal betrete ist auch hier gähnende Leere vor der Theke, dahinter immerhin einiges an totem Tier, voran dicke Klötze selbstgemachten Corned Beefs, dessen Köstlichkeit ich schon kenne. Ich ordere ein Stück davon und auch von seiner guten Leberwurst. Da ich ins Gespräch kommen will, frage ich ihn nach der Geschichte des Geschäfts und wie es Berliner Art ist, redet der Fleischermeister drauf los. Ich habe ob des Schwalls und meiner Gehirnerweichung leider nicht mehr alle Daten parat; gewiss ist auf jeden Fall, daß das Familienunternehmen die Weimarer Republik, die Nazis und die Realsozialisten überlebt hat, mit den jetzigen Zeiten aber so seine Schwierigkeiten hat, was aber mitnichten an der Finanzkrise läge, sondern an den ganzen jungen Leuten hier im Viertel, die große Probleme hätten, Lebensmittel per Wärmezufuhr zu einem genüsslichen Mahl zu verarbeiten und dann obendrein dieses als solches zu erkennen und ihrem „Stoffwechsel“ (Originalzitat) zuzuführen. Die würden lieber zu McDoof gehen oder irgendeinem anderen Sandwichladen, der sie mit Mayonnaise und Geschmacksverstärkern zuballern würde, aber das ganze Zeugs könne man ja im gehen verputzen. Und mit solcher Ernährungsunkultur wolle er sich nun mal nicht gemein machen und daher wären die Aussichten zur Zeit nicht rosig. Sagt es und seufzt in Richtung der Blutwurst, die mich sehr an eine gute Boudin erinnert, wobei mir einfällt, Roland nach einem Rezept zu befragen, schließlich hat er so eine französische Wurst neulich erst gemacht, sehr delikat.

... und bei Nacht

Ich verabschiede mich fürs erste von dem traurigen Metzger und gehe mit finsteren Gedanken über das amerikanische Fast-Food-Komplott von dannen. Es ist schon bald vier und fängt am dunkeln. Zu Hause angekommen, stelle ich mich wieder ans Fenster. Die Jägerklause gegenüber illuminiert sich. Mit einem großen Glas Sprudel in der Hand genieße ich den Blick auf meine Kreuzung.

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