Mittwoch, 5. November 2008

Der Geruch von Armut


Ob ich mich schon ein wenig eingelebt hätte, ist die häufiger Frage besorgter Bewohner, wenn sich herausstellt, daß ich erst seit drei Monaten in Berlin bin. Sorgsam ziehe ich dann eine Augenbraue nach oben und gebe gern meine Hamburger Erfahrung diesbezüglich zum Besten. Ich erinnere mich, diese Frage so etwa nach fünf Jahren das erste Mal überhaupt gestellt bekommen zu haben. Und genauso wie ich dem Hanseaten gern ein entschiedenes „Selbstverständlich“ entgegengelogen habe und so bei mir dachte: „Stell mir die Frage in drei Generationen nochmal.“, so leicht fällt mir ein klares „Ja, es ist einfacher als ich dachte.“ hier in Berlin.

Wie das denn wohl käme, wollen einige es ganz genau wissen. Tja, und dann muß ich gar nicht lang überlegen. Der Berliner an und für sich ist eher, sagen wir mal nachlässig gekleidet, was heißen soll, daß er Stilfragen gegenüber eher verbockt ist. Er redet gern und viel, auch ungefragt über dieses und jenes, und das beinhaltet eben auch die ganze soziale Sehnsucht verstanden zu werden. Auch ist man hier gern laut und freundlich, im Gegenzug wird auch Bärbeißigkeit nicht gern zurück gehalten, kurzum trägt man hier sein Herz schon mal auf der Zunge. Dabei bleiben ein bißchen Show und Glamour nicht auf der Strecke. Neulich an einer S-Bahn Station im Norden gehe ich zu einem Stand mit Backwaren und ordere bei dem rotgesichtigen, vollbärtigen, rauchenden Maître einen Quarkballen und bekomme einen selbst für meine Verhältnisse lautstarken Kommentar: „Eene jute Wahl! Wirklich eene jute Wahl, der Herr. Unser kleenen Leckerbollen. Lassenset sich schmecken. Aaah! Der Herr weeß, wat jut is.“

In Berlin liebt man trotz eben dieser Expressivität klare Worte; die Dinge werden beim Namen genannt. Eigentlich alles Phänomene einer Einwandererregion mit einem gehörigen Anteil Proletariat. Also fast wie zu Hause.

Wenn das jetzt alles Trabbis wären

Solcherlei bedenkend stehe ich an der Straßenbahnhaltestelle und ärgere mich ein bisserl, da sie grad abgefahren ist und ich nun wirklich 5 Minuten warten muß; braucht es einen weiteren Beweis, daß ich mich mental eingebürgert habe.

Dann schaue ich die Straße runter, denke, daß diese Stimmung ähnlich ist wie vor 18 Jahren, und einen Bruchteil einer Sekunde meine ich ein Gemisch aus verbrannter Braunkohle und 2-Takt-Benzin zu riechen.

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