Mittwoch, 28. Januar 2009

Machen Kleider Leute?

Da gute Kleidung an und für sich Berliner Angelegenheit nicht ist, habe ich mir rein theoretisch überlegt, daß es doch ganz einfach sein müsste, aus der Masse der 3 ½ Millionen herauszutreten. Mit ein paar Kunstgriffen ließe sich doch aus einem schrägen Knacker sicherlich noch ein munterer Feger gestalten. Immerhin gibt meine Garderobe noch ganz passable Hosen, Hemden und Pullover her, sogar ein Anzug ist dabei, einige recht feine Mäntel, blendendes Accessoire und, ganz wichtig, mehrere Paar scharfe Schuhe. Also fing ich vor einigen Tagen an, es alles miteinander zu kombinieren, probierte dies und versuchte das und sah schlussendlich immer nur wie mein eigener Vater auf Sonntagspaziergang im Sauerland aus. Ich zog alles wieder aus und legte mich frustriert aufs Bett, leichtfertig bereit, das Unternehmen „Eleganz“ hinzuwerfen.

Bis ich wie toll hochschreckte, zum Badezimmerspiegel hastete und, noch bevor ich mein Ebenbild richtig sah, wußte, daß die Brille daran Schuld war: Kleine, viereckige Gläser in dünnem Drahtverhau taugen nicht für den Denkerschädel eines 190-Pfünders! Da muß was Neues her. Außerdem habe ich dieses Ding schon ein halbes Dutzend Jahre.

So zog ich dann eine Woche konzentriert um die Häuser um vorgestern in einer Brillenbude am Lausitzer Platz fündig zu werden. Zuerst wurden mir ganz hübsche Modelle gezeigt, aber alle außer meiner finanziellen Reichweite, und schon wollte ich die Hoffnung aufgeben, als die Chefin persönlich kam und die getönten Gläser aus einer recht günstigen Sonnenbrille nahm, um einen authentischen Look zu evozieren. Und wahrhaftig: Aus dem Spiegel blickte nicht mehr ich selbst, sondern Michael Caine wie er 1971 in „Get Carter“ von den Leinwänden der Welt blickte. Die Wahl war getroffen! Und wundervoll enough, musste ich auf die Verwandlung nur einen weiteren Tag warten, dann war meine neue Brille fertig.

Geht doch!

Heute Morgen dann heißt es: Fertig machen zur Gala: Schniekes Hemd, helle Hose, Lambswool Pulli, spitze 60er Treter, marineblauer Mantel und Paisleyschal, kurzum: Bis hin zur Unterhose nonchalante Eleganz, denn auch die von Designerformat. Erstmal nach Mitte, am besten mit der U-Bahn, denn die erscheint mir doch weltläufiger als ein schnöder Bus. Am Alex raus, die Karl-Liebknecht runter, doch kaum einer nimmt Notiz. Nur drei Frolleins um die 20 in ihren unvermeidlichen Preßwurstleggins kichern. Die ganzen anderen Mittestricher sind augenscheinlich mit sich selbst beschäftigt, stehen vor irgendwelchen Flagshipstores, sabbeln dröhnend in ihre Handys („Ne Digger, is jetzt echt unsexy, geht gar nicht.“) und werden davon nur noch von ebenso inkompetenten amerikanischen Jungtouristen übertroffen.

Unter den Linden und in der Friedrichstraße falle ich nicht weiter auf, da hier sowieso flotteres Klientel flaniert. Die unvermeidlichen ausländischen Bürger sind entschuldigt, da sie exklusive Schaufenster und geschichtsträchtige Bauten bewundern müssen. In der Wilhelmstraße tue ich so, als wolle ich die britische Botschaft betreten, schwatze jedoch nur einige Floskeln mit dem Wachhabenden, der gewohnte Berliner Lässigkeit präsentiert. Immerhin inspiriert mich der biblisch große Union Jack zu weiteren Taten und am Potsdamer Platz betrete ich ein Kaffee, wo ich an der Bar einen Espresso bestelle, in breitestem Cockney, das ich mit einem bedrohlichen Augenbrauenheber unterlege. Das macht Eindruck bei dem studentischen Früchtchen, der Euro Trinkgeld läßt sie dümmlich grinsen und kurz überlege ich, ob ich die ich-bring-dich-groß-raus Masche bringen soll, schließlich habe ich in den USA Anfang der 90er einige Erfolge damit feiern können.

Doch ich nehme Abstand, immerhin gilt es hier noch was zu beweisen (Was eigentlich?). Ich nehme eine U-Bahn nach Kreuzberg, besuche hier einige Geschäfte, in denen man mich kennt und kennen könnte, werde aber einfach gewohnt freundlich bedient, nur Rami, meinem osmanischen Barbier fällt auf, daß irgendwas anders ist.

Auf den Straßen, die ich jetzt zu Fuß Richtung Heimat benutze, fallen mir wieder und wieder die Modetorheiten auf, denen vor allem jüngere Menschen befallen, aber nicht nur. Neben Beckham-Frisuren gibt es auch immer noch die Variante Schokoladenpudding-mit Vanillesoße. Weiße Adidas-Turnschuhe hat es sowieso und die bereits erwähnten Preßwursthosen und am Ende viel teures Markenzeug, mit dem sie trotzdem aussehen wie aus der Mülltonne. Und je weiter ich nach Friedrichshain komme, dem Mekka jungscher Schnöseligkeit, desto schlimmer wird es. Da bemüht sich jeder Afrikaner um mehr Schick, strebt nach einem Anzug, nach einem Minimum an Eleganz und Würde, wenn er sonst schon nix hat. Hier dagegen wird viel Geld ausgegeben, um z.B. den Wettbewerb der schlechtest sitzenden Hose zu gewinnen.

Kurz davor, betrübt zu schleichen, merke ich aber, wie mir mein guter Mantel Haltung aufzwingt, so wie ein künstlich aufgesetztes Grinsen irgendwann gute Laune erzeugt. Aufrecht und etwas nachdenklich und abwesend laufe ich auf der Oberbaumbrücke fast in eine kleine Gruppe mittelalter japanischer Touristinnen hinein. Prompt fragen sie mich, ob ich sie fotografieren könne, was ich natürlich bejahe. Aufgeregt bringen sie sich in Positur, wollen dann mit mir aufs Bild, dabei tuscheln und kichern sie. Am Ende bedanken sie sich höflich und eine sagt: „You like Maika Kehn, hihi.“ Ehe ich begreife, was sie meinen, ist die fröhliche Schar auch schon weiter. Die Rädelsführerin dreht sich aber noch einmal um und winkt. Ich winke zurück. War doch nicht alles umsonst.

Auf dem Heimweg mache ich noch bei Schnipp station, der unwirschen Bäckereifachverkäuferin. Mir scheint, sie ist heute einen Tacken weniger unbeteiligt, etwas flinker zur Hand als sonst. Doch am End schaut sie mich noch nicht einmal an.

Zu Haus denke ich wirklich, daß es dem Berliner an sich egal ist, wie er rumläuft. Und der Eindruck anderer ist ihm auch Latte. Zu beeindrucken ist er offensichtlich nur sehr schwer. Woher ich das jetzt nehme? Drängt sich einfach auf.

Freitag, 23. Januar 2009

Neues von Graf Rotz

Ich komme just dem Museum für Fotografie/Helmut Newton Stiftung zurück. Newton ist für mich ein ganz großer Fotograf und der Inbegriff des Berliner Jungen. Das sieht man seinen Fotos an. Sie sind nicht zuletzt Haltung. So wie der geknipst hat, möchte ich schreiben.

Für den Rückweg vom Bahnhof Zoo zum Alex nehme ich den Touristenbus 100. Als Roland anruft und mich zum Essen nach Haus einlädt, nehme ich die Gelegenheit war, dem versammelten Oberdeck eine original Berliner Handyunterhaltung hinzulegen. Wenn ich schon umsonst ins Museum darf, muß ich schließlich auch was bieten. Wie wir also so telefonieren und ich irgendwann hinaus tröte, daß ich noch Feldsalat hätte, den ich mitbringen könne, Rolands Gegenfrage, ob er wegmüsse mit „der ist von gestern, so ein, zwei Tage kann der noch“ beantworte, stimmt mir ein jovialer Herr mit väterlichem Kopfnicken zu. Andere drehen sich amüsiert um, einige gar interessiert. Und natürlich lasse ich mich nicht lumpen, frage nach den Gerichten und wiederhole sie laut. Um die Sache authentischer zu machen, flechte ich leichte Anwandlungen des heimischen Idioms ein.

Bei dem Wort „Nieren“ dreht sich eine Dame mit bewundernd hochgezogener Braue um, als wolle sie sagen: „Respekt!“. Mein Rotweinvorschlag wird aber von dem jovialen Herrn mit leichter Miesepetrigkeit bedacht. Dabei bewegt er seine Hand wie Luca Toni beim Torjubel, nur waagerecht. Auch andere schütteln gemäßigt die Köpfe. Hastig verbessere ich auf Riesling oder Gutedel, und schon erhellen sich die Minen wieder. Ich beende das Gespräch an der Endhaltestelle mit den Worten: „Na dann bring ick ma’n Fläschken mit.“ Das bringt mir noch die Bemerkung ein, daß es ruhig eine ganze Flasche sein könne. Es wird gelacht, das Oberdeck fühlt sich offensichtlich gut unterhalten, sie haben alle was zu erzählen und ich die Gewißheit, mir meinen Berlin-Pass aufs Neue verdient zu haben.

Donnerstag, 22. Januar 2009

Soll alles sowas sein

Wie Graf Rotz besuche ich hier die Museen, zumindest die staatlichen, denn sie kosten mich keinen Pfifferling, und da kann es schon mal passieren, daß ich einfach so den Weg, sagen wir, in die Alte Nationalgalerie finde, weil mir so nach Adolph von Menzels „Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci“ ist und ich, by the way, noch den ein oder anderen Monet, oder Renoir betrachten kann, alles gerade so, bis meine Aufnahmefähigkeit nachlässt oder mir einfach der Sinn nach modernerem steht, und dann kommt es vor, daß ich mich von einem großen Bus in die Neue Nationalgalerie fahren lassen, um dort mal eben einen Blick auf Jeff Koons neue Dekorationsideen zu werfen.

Eine tolle Sache, zu der mich diese Stadt tagtäglich einlädt und ich muß nichts dafür tun; wahrer Sozialismus eben. Ich wundere mich allerdings des Öfteren, daß nicht mehr Arbeitslose diesen Service nutzen, aber wahrscheinlich müssen die Unterschichtenfernsehen gucken.

Gestern leitete mich mein bereits leicht übersättigtes Gemüt in den Hamburger Bahnhof, ein der zeitgenössischen bildenden Kunst verpflichtetes Institut, welches sich zur Zeit mit der ersten großen Beuys-Retrospektive bekränzt. Beuys, der große rheinische Hutträger, der mich schon immer vor Rätsel gestellt hat, der mir immer zutiefst fremd war, weil sich mir sein Werk nie aus sich selbst heraus erschloß und den ich deshalb immer gern links liegen ließ. Also bekommt er eine weitere Chance, sagte doch meine Freundin Iris neulich noch, daß man ihn auch als politischen Menschen verstehen müsse, der eben auch Worte braucht, um verstanden zu werden.

Gut, also denn, trete ich vor die Kasse und zeige meinen Berlin-Paß den wie so oft einigermaßen herabschauenden Fachangestellten und bekomme mein Billet. Das erste Stück, das ich betrachte ist ein Filzanzug, daneben das dazugehörige Schnittmuster auf einem Tableau, nennt sich „Osiris“, und gleich daneben eine Tafel, die den Zusammenhang von Filzanzug, dem Schnittmuster und dem ägyptischen Gott herleitet. Ist ja klar, daß da Worte gebraucht werden.

Im Anschluß öffnet sich eine große Halle, die mittig mit einigen üppig dimensionierten Installationen beschickt ist. An den Seiten beherrschen TV-Kuben mit Bild- und Tondokumenten des Meisters die Szene, an den Wänden seine Zitate, Ausstellungsplakate und Zeitungsausschnitte. Überhaupt fällt auf, daß die erklärenden Objekte gegenüber den eigentlichen Arbeiten in diesem Raum eindeutig in der Überzahl sind. Enträtseln tun sie mir allerdings so gar nichts; eher noch verrätseln sie in die Richtung einer metaphysischen Ebene, indem sie eine religiöse Sphäre betonen.

Während ich mir weiterhin die Exponate ansehe, Verschiedenstes lese, mich über in Vitrinen ausgestellte Bücher Rudolf Steiners wundere, merke ich nicht, wie ich auf einmal mitten in der „Honigpumpe“ stehe. Ein pflichtbewußter Museumswärter macht mich aber darauf aufmerksam. Dabei denke ich an die Putzfrau, die einst einen seiner Fettklumpen entsorgte. Oder ist diese Anekdote nur ein Witz auf Beuys‘ Kosten?

Ist ja auch egal, es müsste ihm jedenfalls gefallen haben, wenn ich die dokumentierten Reden des Mannes richtig interpretiere, was nicht ganz so einfach ist, denn schwafeln konnte er wie kein Zweiter, musste er auch, um die Entwicklung seiner Arbeit immer wieder „beleuchten“ zu können. Richtig abgefahren finde ich im Übrigen seine Vorschläge zur Basisdemokratie unter Verwendung von Volksentscheiden. Da müsste er sich im Grabe aber fix drehen, mal angenommen, eine Mehrheit von BILD-Lesern könnte z.B. über sein Oeuvre entscheiden.

Derart munter angefressen wechsle ich die Hallen, stöbere hinüber zu „Dekonstruktionen des Künstlermythos“, untertitelt mit dem Kippenberger-Zitat „Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden“. Immerhin erwarte ich hier wenigstens ein wenig Selbstironie, werde aber größtenteils enttäuscht. Oder was soll ich von Bruce Naumann halten, der sich eines Tages fragte, was er in seinem Atelier nun machen solle, da er nun einmal da sei und dann darauf kam, seinen Körper in hospitalistischer Weise gegen eine Wand zu bollern, das aufzuzeichnen und es Kunst zu nennen? Ähnliche Fleißarbeit ist die eines Mannes, der sich und sein Studio aus ca. 100 verschiedenen Perspektiven aufzeichnet und auf Monitoren präsentiert, so daß 100 davon, als Rechteck angeordnet, auch die uninteressantesten Ecken seiner Künstlerbehausung zeigen. Und wieso sollte ich mich mit den „72 Bilder“ einer weiteren Schaffenden abgeben, ein jedes monochromatisch bemalt, pro Tag eines und jedes wohl 80 x 60 groß? Ist denn wirklich nur die Idee wichtig, die einem solchen Konzept zugrunde liegt? Dann gefällt mir ein gewisser Lawrence Weiner am besten, mit seiner „Declaration of Intent“:

„1. Der Künstler kann das Werk herstellen.

2. Das Werk kann angefertigt werden.

3. Das Werk braucht nicht ausgeführt zu werden.

Jede Möglichkeit ist gleichwertig und entspricht der Absicht des Künstlers, die Entscheidung über die Ausführung liegt beim Empfänger zum Zeitpunkt des Empfangs.“ Konsequenterweise sind von ihm nur leere Regale zu sehen.

Immerhin kann ich Kippenbergers Ansatz etwas abgewinnen; Duchamp sowieso und vereinzelt noch dem Einen oder Anderen. Das Gros finde ich einfach eine banale, langweilige Nabelschau, die durch Erklärtexte voll intellektualistischem Stutzertum in elitäre Höhen gewuchtet wird, die sie von einer gesellschaftlichen Relevanz vollends entrückt.

Am Ende erspähe ich noch im Vorbeigehen 4 weiße Stühle, auf oder vor denen jeweils ein anderes Objekt liegt: 1 Blumenstrauß, 1 Brot, 1 Paar Schuhe und noch was anderes, auch egal und mir fällt der Satz eines Freundes ein: „(Moderne Kunst) = (Kann ich auch) – (Hab ich nicht gemacht)“.

Und nun auf zum Disput!

Montag, 19. Januar 2009

Wie fühlen Sie sich mein Herr?

Da bin ich doch jetzt echt mal einen ganzen Tag zu spät. Potzdonnerwetter! Und wie ein hechelnder Sportreporter halte ich mir ein eigens konstruiertes, imaginäres Mikrofon unter die Nase und töpperwiene mich an: „Woran hat es gelegen, Herr Kröger?“ Was ´ne blöde Frage! Auf so was kann man doch nur verlegen stammeln. „Also gut. Kommen wohl mehrere Faktoren zusammen, zum einen die späte Stunde, auch das Alter darf man nicht außer Acht lassen, und daß es soweit gekommen ist, da haben auch die Gastgeber dran Schuld, die haben nun eben auch einfach sehr gut bewirtet, wie bei Präsidentens und naja, es war wohl auch Alkohol im Spiel, jedenfalls kam ich nicht gut in den Tag und den Rest kennen Sie ja.“

Klar. Kenne ich. Die üblichen Ausreden, an einem Sonntag nicht schöpferisch tätig werden zu müssen. Dabei hatte es so vielversprechend angefangen: Freund Axel hatte am Sonnabend zum Feiern eingeladen, hinein in seinen Geburtstagssonntag, mit Essen, Trinken und angenehmer Gesellschaft, die, gemäß des Gastgebers Profession u.a. auch mit Filmschaffenden bestückt ist. Böse Geister könnten vermuten, daß der Abend zum Arbeitsessen ausarten könnte, aber ich werde da schnell eines Besseren belehrt. Kaum daß Axels bezaubernde Frau Lilo die Suppe aufgetragen hat, beginnen sich die beiden Männer gegenüber am Tisch miteinander bekannt zu machen. Der links Sitzende entpuppt sich als Co-Regisseur der letzten Till-Schweiger-Produktionen, was den rechts Sitzenden (beide Namen sind dem Autor bekannt), einen ostfriesischen Dokumentarfilmer pakistanischer Abstammung, sofort den Suppenlöffel in den Teller klimpern läßt. Ansatzlos pulvert er eine Tirade gegen den Mimen und seine Schergen heraus, die sich gewaschen hat. Sein Opponent kommt kaum zu Wort. Des Dokumentaristen Worte lassen eine tiefe Antipathie gegen Schweigers Oeuvre ahnen. Die Pausen während der Suppenaufnahme nutzt der Spielfilmer, um seine Sicht der Dinge darzulegen. Dabei landet er vergleichend bei der frischen Riege neuerer deutscher Regisseure, die er konsequent beim Vornamen nennt. Vielleicht hofft er, den Dokumentaristen dadurch zu beeindrucken, doch weit gefehlt. Der prangert mittlerweile die Vergabepolitik von Fördermitteln im Allgemeinen und Speziellen an. Dabei erinnert er vage an den Kampfstil Joe Fraziers: immer und ohne Unterlass nach vorn. Sein Opponent hat erhebliche Mühe, dazwischen zu kommen, gibt aber nicht auf, das Mainstream-Kino zu verteidigen. Manchmal rettet er sich in Sarkasmus, taumelt dabei leicht, aber fällt nicht!

Doch so abrupt wie die Suppe verspeist ist, endet auch der Disput. Man lacht bereits schon wieder und geht zu anderen Themen über. Einer geht rauchen, dann der Andere und ich rede dem jeweils Anwesenden ein wenig nach dem Munde. Keine Ahnung, wofür das gut sein soll, macht aber Spaß und wer weiß, vielleicht habe ich ja ein Duell verhindert. Das hätte mit Sicherheit die Stimmung verdorben. So kann es in heiterer Ruhe Mitternacht werden, Axel nimmt die Glückwünsche bescheiden entgegen, zufrieden mit seinem Leben, mit seinen Lieben feiern zu können.

Weitere stimmungsvolle Gespräche folgen, zotige Witze fallen aus, und so gegen 1 wird mir die Zunge schwer. Eine weitere ½ Stunde noch, und meine Augen unterwerfen sich dem vegetativen Nervensystem. Gegen Zwo beschließe ich ‚Das wird nicht besser.‘ und verabschiede mich frohgemut, solange das noch geht. Mit dem munteren Dokumentarfilmer gehe ich zur U-Bahn, fahre eine Station bis Hermannplatz und muß dort geschlagene 12 Minuten auf Anschluß warten. Am Alex nochmal das Gleiche. Für eine Weltstadt eigentlich ein Skandal.

Als ich endlich in der U 5 sitze fallen mir doch echt die Augen zu und im Hinüberdämmern denke ich noch ans rechtzeitige Aufwachen, sonst könnt’s in Hellersdorf ein Abenteuer geben. Derart in Alarm versetzt träume ich hektisch von einem Boxkampf, bei dem ich richtig was auf die Nase bekomme und ein recht dumpfes, fast taubes Schmerzgefühl läßt mich auffahren. Gerade rechtzeitig an meiner Heimstation. Draußen befühle ich ein wenig verwirrt meine Nase, die völlig in Ordnung ist. „Aber im Traum habe ich es doch ganz deutlich Schmerz gespürt. Wie real.“, beginne ich meinen Monolog auf dem Weg. „Und wenn ich in der Lage bin Schmerz zu fühlen, der eigentlich keinen Auslöser hat, ist das dann nicht sowas wie Phantomschmerz? Und wie lange ist ein Gehirn in der Lage, so ein Gefühl zu speichern? Denn das letzte Mal, daß ich eine fremde Faust im Gesicht hatte ist deutlich länger als 35 Jahre her. Und ist das nicht wenigstens ein Indiz, daß Gefühle einem die Realität vorgaukeln können?“ Meine Güte! Mitten in der Nacht und dann solche existentiellen Fragen.