Mittwoch, 26. August 2009

Mit einem Gewicht an den Füßen

Ich vermute mal, ich bin übersättigt. Nach nunmehr einem Jahr in unserer geliebten Hauptstadt, die ich wie ein Tourist ohne Kurzzeitgedächtnis benutzt habe, immer auf der Sprung nach neuen Sensationen, scheinen mir die Themen auszugehen genauso wie einem Jäger, dem die Mordlust abhanden gekommen ist. Oder liege ich immer noch in der Agonie schon längst überwunden geglaubter Lohnarbeit? Muß ich mir wirklich die selbstverständlich gehaltene Struktur des Abenteurers wieder aneignen? Kann ich sie anlegen wie ein altes Hemd? Und in welchem Wäschepuff ist es gerade? Nur gut, daß jetzt Sommer ist. Da ist es warm und ich will nicht die Zeit mit banalen Dingen vertrödeln, habe auch keine Lust die für die Wirtschaft der Stadt so wichtigen Touristen bei ihrer Beschäftigung zu stören. Stattdessen ruft Henning an und schlägt eine Radtour zum, seiner Meinung nach, gar nicht weiten Schlachtensee vor.

Da ich kein großer Radler bin, aber die Idee vom kühlen See verlockend finde, trachte ich sofort nach Mitteln, meinem Freund diese absurde Fahrradidee auszureden. Wie gut, daß ich so ein helles Kerlchen bin, fällt mir doch sofort ein, daß wir an dem See bereits einmal waren, und noch während ich so rede, kommt mir ein Badestelle in Gatow in den Sinn, andere Wannseeseite, hinter Spandau, nicht mehr weit zur Stadtgrenze, wirklich zu weit mit dem Rad, echt gezz, dafür sehr beschaulich, ich käme ihn such abholen. Bereitwillig stimmt der Mann zu. Übertölpeln kann so einfach sein.

Der Verkehr heraus geht flüssig, schließlich sind noch Sommerferien, immer die beste Zeit in einer Stadt, da noch unaufgeregt viel Platz ist. Eine gute halbe Stunde später schon liegen wir im Gatower Dorf auf einer Wiese an der Havel, den Grunewaldturm im Blick und eine russische Prolofamilie, deren Geschräppe mühelos zwischen Russisch, Hebräisch und Deutsch wechselt.

vorwitzige Ente an osteuropäischer Oligarchenbrut

Da hilft nur ein kühles Bad, etwas raus schwimmen, nicht zu weit wegen des Bootsverkehrs, aber doch nicht zu wenig, schließlich will man ein bisserl Abstand zu den vergnügten Kindern am Ufer gewinnen. Welch herrliche Aussicht ist doch der Blick zurück, dann mal nach Süden oder nach Norden, wo man die Silhouette von Spandau erkennen kann. Weiße Segel gegen den blauen Himmel, plätscherndes Wasser.

Die Uferwiese bietet reichlich Schatten, da halten wir es besser aus. Ein erster Blick rundum zeigt mir, mit wem wir diesen schönen Platz teilen: Vorwiegend Familien mit Kleinkindern und Rentner und Wasservögel sonder Zahl, die sich mit Hin- und Herwandern die Zeit vertreiben, immer in der nicht unberechtigten Hoffnung irgendwo was zu fressen zu ergattern und ihren glitschigen Kot zufällig unter sich zu lassen. Die Enten und die Gänse sind noch gern gesehen, doch die großen Schwäne werden mit Respekt und von Müttern mit Kleinkindern gar mit Furcht betrachtet. Sie wollen sie mit „Schu, schu“ und Handtuchgewedel vertreiben, aber auch so ein Schwan kann ganz schön verständnislos glotzen. Und wenn dann mal weder Mutter noch Kind acht geben, schnappt der weiße Vogel gern mal nach einem Eimerchen mit Händchen dran, weil er wohl was Nahrhaftes vermutet. Dann schreit das Kind, der Vogel ist verdutzt, die Mutter hat ein schlechtes Gewissen. Großes Kino.

Der Rentner im Stuhl nennt ein ferngesteuretes Modellsegelbot sein eigen

Als wir wieder trocken sind, fällt Henning noch ein See ein, den ihm seine Schwester empfohlen hat: Der Sacrower See in Potsdam ist gleich hier in der Nähe, hat eine Badestelle mit Sand und das Wasser soll herrlich klar sein. Na dann.

Die Anfahrt geht durch einen Wald, sehr idyllisch, dann parken und an einer kleinen Gaststätten vorbei, an einem Kiosk und schon liegt einem der ‚Strand‘ zu Füßen. Und ist voll.

Schatten ham wer nich, dafür Leute satt

Zum sich verjüngenden Wasserzugang immer mehr. Ich möchte nun Simone Bock keine Lügnerin nennen, denn ich kann nun einfach nicht sehen, wie klar das Wasser ist, wegen der ganzen Menschen darin und darum, aber ein echter Geheimtipp ist das hier wohl nicht. Dafür hat es hier andere unübersehbare Vorteile, denn die anwesenden Mädels und Frauen sind allesamt hübscher und sogar zahlreicher. Also kümmert uns der entgangene Badegenuß nur wenig. So sitzen wir, lesen Zeitung und werfen hier und da Blicke auf das Gewimmel.

Die Blondine in der Mitte ist gerade den Wogen entstiegen, wird sich gleich über ihre ebenso blonde Mutter beugen und ihr tropfnasses Oberteil ausdrücken, ohne vorher den Inhalt entfernt zu haben. Ganz zauberhaft!

Nach einer halben Stunde ist es gut, bald ist auch Abend und Hunger werden wir bald haben und es ist auch noch ein gutes Stück Weges.

Sonntag, 9. August 2009

Kurzer Schreck


Auf der Stalinallee findet ein wirklich recht großes Bierfest statt. Es nennt sich Biermeile und ist bestimmt eine exakt so lange Abfolge von Freß- und Saufbuden aus aller Herren Bierländer. Meine Anwesenheit dort ist da eigentlich nicht so nötig. Dennoch gönne ich mir ein kühles Helles, während Ströme von seligen Suffköppen zäh vorbeifließen.

Vorher...

Dabei macht der Berliner Prolo den Eindruck, sehr nah mit dem Ruhrpottprolo verwandt zu sein; ähnliche Kleidung, gleiche Frisur und überdurchschnittliche hohe Quote an zu viel Sonnenbank. Es wird auch viel krakeelt. An Verhaltensweisen scheint von plötzlicher Verbrüderung bis unvermitteltem, rüdem Bearbeiten von Zahnleisten alles möglich zu sein. Nach nur einem einzigen Getränk ziehe ich, bereits heimwärts gehend mein Fazit: Eine Provinzkirmes könnte kaum exotischer sein.

...nachher

Dennoch möchte ich diese ¼ Stunde nicht missen; man muß ja auch mal aus seinem Elfenbeinturm heraus. Außerdem kann man zwei Straßen weiter auch schon das Ereignis ignorieren. Man bekommt es einfach nicht mehr mit in dieser großen Stadt. An diesem, wiederholt erhellenden Wissen kann ich mich kaum satt fühlen.

Samstag, 8. August 2009

A Day At The Races

Wie ungewohnt doch der Griff nach der kleinen Kamera war, nach all der Abwesenheit aus dem Reporteralltag. Im letzten Moment fiel es mir noch ein, daß es sie gibt. Als Marek mich zu einem lütten Törn auf dem Stettiner Haff abholt, stecke ich das kleine Digitalflittchen mit letztem Erinnerungsvermögen in meine Innentasche, aus der sie nach zwo Stunden munterer Fahrt ins Hafenbecken von Nowe Warpno gleitet. Mit unscheinbarem Plumps gerade mal 150 Ocken gewassert. Blendend!
Dennoch wurden es zwei hübsche Tage auf dem Haff mit Sonnenschein g’führigem Wind, abgewechselt von wolkigen 5 Beaufort bei halbem Wind bis Raumschot und wieder zurück. Wir verwahrlosten in drei Tagen, wie man in drei Tagen nur verwahrlosen kann, ohne Duschen, mit viel Schwitzen und Bier ab 10 Uhr morgens. Das alles brachte aber die Kamera nicht zurück, so daß ich auch zum Ausflug zur Trabrennbahn Karlshorst mit Marek und Dzenia keine Bilder liefern kann.
Eigentlich bedauerlich, doch tut es der Vorfreude keinen Abbruch als wir zu Dritt und etwas zu spät, mitten im vierten Rennen die mit einer wuchtigen Tribüne gezierte Zielgerade erreichen. Trabrennen ist so eine Art Pferdekasino für die kleinen Leute. Das Publikum ist an diesem warmen Abend leger gekleidet. Vorwiegend ärmliche Ostbevölkerung, teilweise in kurzen Hosen und mit Socken in den Sandalen. Aber wenigstens keine ¾ Hosen bei den Kerlen und auch die Damen kneifen sich die sonst so gern getragenen Leggins und Ballerinas. Dafür ist die Atmosphäre herzlich und familiär, ich habe den Eindruck, daß selbst die Leute am Totalisator ihre Arbeit ehrenamtlich verrichten. Na, viel können sie jedenfalls nicht verdienen, schließlich ist Parken und Eintritt frei, und die auch nicht sehr zahlreich erschienenen Wetter gehen selten über ein Pfund hinaus. Eher halten sie sich an den Mindesteinsatz von zwo fuffzich. Das Bier ist mit 1,50 auch billig, die Currywurst liegt bei einem Euro, einsame Schmalzstullen in zu großen, neonbeleuchteten Auslagen labbern traurig vor sich hin und den rauen Charme einer DDR-Vergnügungsanstalt bekommt man angesichts des riesigen Schank- und Totoraumes unterhalb der Tribüne gratis mit. Ich investiere erst einmal ins neue Traberjournal Nr. 124, die Fachzeitung für Trabersport und-zucht mit offiziellem Rennprogramm für den digibet-Pferdesportpark Karlshorst. Neugierig stürzen wir uns auf die Ankündigungen für das nächste Rennen. Ein Wust von Zahlen, Kürzeln und anderen krausen Informationen hilft uns nicht weiter. Ich beschließe, zum Wettschalter zu gehen und frage die dort arbeitende fröhlich rauchende Mittsiebzigerin um Rat. Sie ist sichtlich amüsiert, eine Bande von blutigen Anfängern über Wohl und Wehe des Wettgeschäfts aufklären zu dürfen. Binnen Minuten haben wir die Grundregeln intus. Bleibt nur noch die Frage, warum die Zossen solch komische Namen haben. „Gera Chip“, „Knuddelmuddel“, „I’ve got a Diamant“, „Pacha du Bourg“ oder „Hey Eck“, das geht doch wirklich nicht! Warum heißen die denn nicht „Schwarzer Blitz“, „Feuriger Wind“, „Lahmarsch“ oder ähnlich auf ihre Qualitäten hinweisend. So tappen wir ziemlich im Dunkeln.


Einsame Schmalzstulle


Doch schon beim sechsten Rennen gebe ich meine Zurückhaltung auf. Ein stolzer Rappe mit Namen „Sky Rocket“ hat es mir angetan. Er scheint nicht ohne Chancen, und ich setze ihn für 5 € auf Platz. Die nette Lady am Totoschnarrt mich an als ich den Namen des Pferdes nenne: „Die Nummer, ick brauch die Nummer, diese janzen dusslichen Namen kann ick mir nich merken.“ Welch warme Worte! Nun aber rasch wieder raus, den sie laufen ja schon. Und wie! Mein Klepper führt das Feld an, wird erst Anfang der Zielgeraden abgefangen – dem Bahnsprecher überschlägt die Stimme – und er kommt als Dritter ins Ziel. Wie ich es gesagt habe. Bei meinen beiden Begleitern gelte ich ab sofort als Mensch mit Sachverstand. Mit stolzgeschwellter Brust hole ich mir meinen Gewinn von 6 € ab… und zocke weiter.

1 a DDR-Prolo-Feeling

Dieses Mal ist aber die vielversprechende französische Stute nicht abgeklärt genug und versagt. Dafür fährt Mareks „Richelieu“ einen ungefährdeten Sieg ein. Mit Honigkuchengrinsen blickt der Freund uns an, sicher, um 4 € reicher zu sein. Gönnerhaft spendiert er eine Lage Wurst, ich schleppe drei Biere an und gemeinsam sonnen wir uns in unserem Erfolg.
Doch das nächste Rennen wartet nicht. Diesmal bin ich mutiger. Vier Wetten platziere ich, von denen sogar zwo gelingen. Zwar hole ich weniger Geld raus als ich eingesetzt habe, aber das tut der Sache keinen Abbruch. Im neunten Rennen dann, dem vorletzten mittlerweile unter Flutlicht, muß ich abermals Lehrgeld zahlen, doch hat diesmal Mareks Gewinnerpferd einen sagenhaften zweistelligen Betrag zur Folge. Potzblitz, da geht doch noch was!

Der Mond ist schwer und rot

Ja, im letzte Rennen muß es gelingen. Da gebe ich noch mal alles! Lange beratschlage ich mit den Freunden, schaue ins „Traberjournal“, auf die möglichen Quoten, wäge ab und platziere eine Dreier-Einlaufwette. Mir ist als ginge ein Raunen durch die Menge – und ich glaube wirklich an den Erfolg. Die 7 vor der 11 und dann die 9. Und wirklich, zu Eingang der Geraden scheint es so zu kommen, doch dann legt „Really“, die Nummer 9, unter dem Anfeuerungsgebrüll („Zieh Micha, zieh!“)einer Ostberliner Proloschnalle mächtig los und entscheidet das Renne für sich. So’n Schiet! Das hätte noch ein bunter Abend werden können. Mal locker 250 Piepen hätte ich auf meinen Fünfer gekriegt. Das hätte Schampus bis zum Abwinken für uns drei bedeutet. Tja, ‚Hätte, wenn und aber‘ zählt nun mal nicht. Immerhin steigert mein Beinaherfolg meinen Pferdestatus bei meinen Freunden.
Am Ende bleibt uns aber ein so oder so lustiger Sommerabend, Dzenia hat ihren Hut und den gepunkteten Rock ausgeführt, und bald gibt es wieder einen Rennabend und wieder lockt das schnelle Glück.

P.S.: Die Bilder habe ich mit Markus Kamera gemacht, die ich ihm auch gleich abgekauft habe. Muß ja weitergehen.

Ende der Abstinenz

So kann’s also gehen. Da findet man sich mir nichts dir nichts bei einem Job wieder, rackert und engagiert sich tagtäglich, damit das neue „Grand Hostel Berlin“ einigermaßen in die Gänge kommt und bekommt dann auf die wiederholte Frage nach einer unbefristeten Anstellung das Wahnsinnsangebot von € 8,- brutto/Stunde zu hören. Das war letzte Woche.

Wie man sich vorstellen kann, fiel mir die Ablehnung dieser, mal sagen, kümmerlich dotierten Stelle nicht wirklich schwer. Zwar wird die Wurst auf’m Brot jetzt wieder etwas dünner gelegt werden müssen, dafür locken aber wieder Tage der Freiheit und Abenteuerei, denn die Wochen davor waren echt so mit Plackerei gefüllt, daß keine Zeit war irgendwas zu erleben.

Doch, Ironie der Verhältnisse: Wenn der Alltag jeden Tag durch Arbeit klar strukturiert ist, entsteht durch ihren Wegfall ein Vakuum, das erstmal wieder gefüllt werden will. Diverse Feiern (1 Jahr Berlin, neue Freiheit, einfach so) helfen nur kurzfristig. Wie gut, daß mir mein guter alter Blog da wieder einfällt. Wahrscheinlich liest das zwar kein Schwein mehr, aber das ist nebensächlich. Hauptsache ich habe wieder einen roten Faden und außerdem muß man ja im Netz präsent bleiben, sonst könnte die Welt ja schnöd behaupten: „Du veröffentlichst nicht, also bist Du auch nicht!“