Mittwoch, 31. Dezember 2008

Jahresendkommentar


Nun ist es soweit. Das dümmste Fest des Jahres nähert sich unweigerlich seinem Höhepunkt. Und wenn ich vom dümmsten Fest rede, dann beinhaltet das ebenso die ganzen religiösen Feiern, die ich so kenne. Die beschränken sich, zumindest vordergründig, auf das Gedenken an irgendwelche dubiosen Vorgänge aus dem semitischen Raum.

Sylvester aber, der alte Heide unter den großen Feiern, versammelt Jahr auf Jahr die wildesten Hysteriker unter den Menschen zum aberwitzigsten Versprechen, das die Menschheit kennt, das der Besserung. All der ganze Ramsch und Schmonzes des alten Jahres wird auf magische Weise in sich zusammenfallen, besser noch: einfach inexistent sein und wilder Hoffnung auf Prosperität Platz machen. Nie wieder Krieg, nie wieder Nachbarn, nie wieder Finanzkrise. Und das von einer Sekunde auf die andere.

Um dem ganzen Gewünsch Nachdruck zu verleihen wird kräftiger Feuerzauber veranstaltet. Das soll die alten Geister in die Schranken weisen und den Boden für Neues bereiten. Dabei könnten ebenso gut Pest und Plagen an der nächsten Ecke lauern.

Und wenn sich dann um fünf Uhr morgens abzeichnet, daß etwas nicht anfängt, was auch nie aufgehört hat, werfen sich die ersten Trunkenbolde in die Arme Gleichgesinnter, busserln bemüht aneinander herum und lassen sich am nächsten Morgen von der Ernüchterung beschleichen, daß die fuseldünstige Person nebenan wohl doch nicht die erhoffte Liebe des Lebens ist.

Unnötig zu erwähnen, daß ich das anprangere und mich entschlossen habe, den Abend in misanthropischem Gleichmut zu verbringen, höchstens unterbrochen von der kurzen Erinnerung an den gestrigen Abend in der Kneipe des „Intimes“-Kino, an die zierliche Barfrau mit den großen Augen und den Grübchen, deren Lächeln sich nach kurzem Blickkontakt nachhallend ihren betriebsamen Händen zuwandte. Und nie, nicht bei der kleinsten Aufmerksamkeit vergaß sie es.

Ach könnte die Welt doch nur ständig so helle sein wie das Lächeln dieser schönen Frau! Naja, vielleicht nächstes Jahr.

Sonntag, 28. Dezember 2008

Endlich zu Haus

Was hätte ich auch schreiben sollen, die ganzen letzten Tage? Aufgerieben in der kompakten Alltäglichkeit freundschaftlicher Beziehungen, dominiert von Wiedersehensfreude und Freude über den Stallgeruch und Einsprengseln kosmischer Kommunikation (Wozu, um alles in der Welt, fragt man mich, wer jetzt mit wem in Bochum tändelt? Unfassbar!), finde ich nicht den Zugang zum Außergewöhnlichen, und es wäre auch ein anderer Blog, sich mit aktuellen Beziehungen zu befassen, und wo bliebe da die Privatsphäre.

Beste Speisen und geistiges Getränk in großzügiger Menge, gute Gesellschaft sonder Zahl, was soll mich da die Muse scheren. Also habe ich alles einfach laufen lassen, mich wohl gefühlt mit all den Freunden und es nur wenig bedauert, nicht von Seabeams am Tannhäuser Tor berichten zu können, und auch die Schiffe an den Schultern des Orion kamen zu kurz. Dafür war ich in Stadtteilen, wo der Rollator das Hauptverkehrsmittel ist, sah Männlein in hochwässrigen Schlabberbuxen, die ihren Matronen übervolle Tüten nachtrugen und beaufsichtigte einen großen Hund, der keine andere Zeit und nicht einen Anderen Ort als das Hier und Jetzt kennt.

Am Ende bin ich froh wieder nach Haus zu können, endlich wieder Not leiden und mit besagter Muse um die Worte ringen, doch vorher noch die Heimfahrt mit der Bahn in der ersten Klasse genießen. Bereits Wochen vorher habe ich mich doch über meinen Schnapp gefreut, in der ersten Klasse billiger Reisen zu könne als in der Zweiten, doch allein dieses Mal hat mir das Weltverkehrsunternehmen von Herrn Mehdorn und seinen schäbigen Schergen gründlich die Tour vermasselt. Wahrscheinlich können diese Spitzbuben hellsehen und wollten mir gleich ein Thema mit auf die Reise geben. Der Regionalexpress nach Minden/Westfalen hielt nämlich die, vorhersehbare, Überraschung bereit sehr, sehr, sehr voll zu sein. Wie sich nun jeder Mensch denken kann, hängt die Bahn in solchen, vorhersehbaren, Starkverkehrstagen keinen weiteren Waggon an, sondern überlässt es dem Pöbel, nach Möglichkeiten zu suchen. Auch sogenannte Zugbegleiter halten sich aus diesem, ich nenne das einfach mal Sachverhalt, raus. Die Folge ist eine sukzessive Okkupation der ersten Klasse durch plärrende Blagen, türkischer Teenager mit horrenden Handyrechnungen und anderen jungen Menschen, die einem mit entsetzlichem iPod-Gedudel den vorletzten Nerv rauben. In diesem Stadium bin ich noch hin- und hergerissen zwischen Hass auf das Transportwesen, daß ich teuer bezahle, um nicht in solch zweifelhaften Genuß zu kommen und einem verhaltenem Mitgefühl den Mitreisenden gegenüber.

Was dann, bereits in Dortmund, zusteigt und sich mit den Worten „Boah, ist die Butze voll“ in mein unmittelbares Erlebnisfeld setzt, habe ich selbst in schlimmst unterentwickelten Gegenden dieser Welt noch nie gesehen und gerochen. Angeführt von einem klapprigen Männchen, den ein zweiter, mit ungelenkem BVB-Logo auf dem Handrücken tätowiert, ständig „Vadder“ nennt, betritt noch eine dritte Person mein Leben. Dieses Dritte stellt sich im Laufe der folgenden, lauthals vorgetragenen Reden, als weiblich heraus. Ich würde dieses Gebilde aus Dralon-Daunenjacke und Pudelmütze aber eher als dubios androgyn bezeichnen. Alle drei tragen Kombinationen übelster Altkleider und sind, außer ihrer rein optischen Hässlichkeit auch noch mit der Intelligenz sprechender Seesterne ausgestattet. Es entspinnen sich Dialoge wie: „Schatz, fografier mi ma.“ – „Nä, bin zu kaputt.“ – „Vadder, dann du.“ – „Och.“ Gern würde ich mittun, aber der Gestank den dieses Triumvirat des Schreckens verbreitet, läßt mich buchstäblich würgen. Es ist diese Melange aus billigem Fusel, kaltem Rauch, wochenaltem, scharfen Schweiß und Substrat von Stockflecken eigener Inkontinenz. In anderen Ländern muß sowas verhungern, hier darf das zur Regierungsbildung beitragen. Allein bei dieser Erinnerung zittern mir die Hände.

Hinzu kommt, daß der „Sohn“ sich als eine Art Conférencier entpuppt, der lustige Geschichten von „Scheißhäusern“ in Freiburg zu erzählen weiß, sich über Erziehungsmethoden seiner Hauskatze auslässt, die ihm selber gut täten („…mit dem kalten Schlauch abspritzen.“), dann frei hals trompetet, welche Ausscheidung er nächstes vorzunehmen gedenkt, um irgendwann bei philosophischen Betrachtungen seiner Karrieremöglichkeiten zu landen: „Wenn ich bei de Stadt Doatmund gebliem wär, hättichdagezz zwanzich Jahre und bestimmt’n guten Posten. Hatt ja schon dammals sechs Leute unter mir.“

Ich weiß nicht, was alles hätte passieren können, wenn mich nicht schon wieder meinen Würgereiz zur Selbstkontrolle gezwungen hätte. So sagte ich nicht: “Das einzige, was du unter dir hast, ist deine eigene Scheiße, und selbst die gehorcht dir offensichtlich nicht!“ Wohl besser so, sonst hätte sich dieses Ding noch mit mir prügeln wollen und ich hatte allen Ernstes Ekel, es mit den Knöcheln meiner Faust zu berühren.

Dann fiel mir aber noch die Frage ein, was für mich schlimmer wäre: Der Bau der Weißmeereisenbahn in Sibirien oder man zwänge mich, mit dieser Menagerie zu kopulieren. In Bielefeld war der Spuk dann vorbei, und das Gute daran war, daß ich wieder was zu schreiben hatte. Und nie wieder will ich behaupten, daß es in diesem Lande keine Exotik gibt. Uff!

Samstag, 20. Dezember 2008

...komm aus dir...

Nun bin ich eben in der Provinz. Das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, habe ich gedacht, kann so schlecht nicht sein. Uta bat mich vor einiger Zeit, auf ihren Hund aufzupassen, während sie mit ihrem Bruder Dubai und Umgebung unsicher macht, Piraten interviewen und so. Gar kein Problem sei das, wie ich versicherte, schließlich kenne und mag ich Uta und auch Leo, den hünenhaften Schäferhundmischling. Er ist eigentlich nur zum spazieren gehen zu gebrauchen, aber einfach der liebste Hund der Welt.


Eine Woche ist ausgemacht, easy peasy wie der Brite sagt, habe ich mir das gedacht, schließlich kenne ich hier eine Menge guter Menschen, die mich mögen und auch einen netten Hund zu schätzen wissen. Tun sie auch, keine Frage. Es sind eben gute Menschen, wie ich eingangs bereits erwähnte. Ich allerdings, habe meine eigene Gewöhnung an den Tand und Flitter der weiten Welt unterschätzt. Die herrliche Anonymität der Großstadt, die mir immerzu den Rückzug vor jedweder sozialer Kontrolle gestattet, gebe ich für eine ganze Woche 'Baden in Heimat' her. Die Zeit mit meinen Freunden finde ich toll, doch geht das ebenso mit einer fiesen Lähmung des Kreativitätsschwalls einher. Seit meiner Ankunft vorgestern fühle ich mich in einer von allen Seiten lullenden Komfortblase angetackert. Vielleicht merkt das ja grad einer.


Der einzige Aufreger bisher war mein Bilderkauf bei Anja Mauruschat (http://www.mauruschat.eu/) vor vier Stunden. Wir redeten über was auch immer, sie zeigte mir das Werk ihrer letzten Nacht, ich fragte nach dem Wert im Plauderton, fümunsibzich sagte sie, mit achzich war ich auch zufrieden und mir gefällt es. Fünf Minuten später schon reute mich die Tat, da ich doch als Hartzer kaum Geld habe. Zehn Minuten drauf fiel mir dann noch ein, wie schön es ist und was eine Gelegenheit ist, sah ich mich schon mit neuen Russen in Berlin darüber verhandeln. Und wenn nicht, dann schmückt das monumentale Werk meine winzige Wohnung.


Jetzt bin ich wieder in meinem Gasthaus, Leo brummt auf seiner Decke und mangels Abendunterhaltung (Uta hat nichtmal einen Fernseher) bin ich leidlich kreativ und trinke Schnaps. Und höre ich Tangos von Osvaldo Pugliese, der mich in eine Stimmung versetzt wie seinerzeit in BA, nur daß ich ganz genau weiß, daß ich morgen nicht bei 29° vom dröhnenden 17er Bus geweckt werde. Jeh, wo soll das noch enden, wenn mich itzo schon der Moralneger am Schlaffitt hat.

Dienstag, 16. Dezember 2008

Lebbe geht weiter

Als erstes brauche ich heute Morgen Brot. Unglücklicherweise ist eine gute Bäckerei erst bei Ostbahnhofs PLUS und diese wird von einer fuffzichjährigen Drächin bewacht, der ich den Namen Schnipp gegeben habe. In der Regel verschwindet sie in den hinteren Raum, wenn sie mich den Laden betreten sieht. Dort räumt sie geräuschvoll Dinge und kommt etwa eine ½ Minute später zurück und fragt mit spitzem Mund, was es denn sein solle. Mit ihren Augen blickt sie dabei in die Ferne hinter meiner linken Schulter.

Heute ist irgendwas anders. Erst mal bleibt sie. Meine Frage nach einem doppelt gebackenen beantwortet sie überlaut: „Nee, nicht eins junger Mann, zwee hab ick! Die verkauf ick auch nur zusammen. Macht drei vierzig. Mein Chef hat gesagt, ich muß Umsatz machen.“

‚Klar‘, denke ich, ‚daß keiner kaufen mag, wo Du alte Blendgranate geschäftsschädigend eingreifst. ‘ Anstatt es ihr aber mutig an den Kopf zu schleudern, lächle ich feig.

Das bringt mir den nächsten Rüffel: „Der nimmt mich nicht ernst.“ brüllt sie zu einer besuchenden Kollegin rüber. Ich murmele irgendeine Verlegenheitsfloskel und bekomme dafür mein Brot. „Na, Spaß muß sein.“, röhrt sie mich wie eine Rotte tollwütiger Doggen an. „Macht eins siebzig und det 20-cent-Stück von Ihnen brauch ick, sonst wird det hier nüscht.“ Zackig leiste ich folge, packe den Laib und verdrück mich, während sie bereits wieder mit Hand an der Hüfte und spitzem Mund die Ferne absucht.

Für heute habe ich hoffentlich mein Fett weg.

Sonntagabend

Ein Diaabend ist eine herrlich altmodische Veranstaltung. Niemand muß um einen Bildschirm herum sitzen, da sich der talentfreie Autor weder die Mühe gemacht hat, seinen in kostenfreien Massen produzierten digitalen Ausschuß vorher in kritischen Augenschein zu nehmen, noch daß er sich einen Beamer leisten kann. Nein, stattdessen sitzen Lilo, Axel und ich neben einem leise gebläsenden Projektor, der die kleinen Filmschnipsel magisch vergrößert an eine weiße Wand wirft. Das Intermezzo der Bildwechsel begleitet die Apparatur mit Klackern, das wir mit dem Geklimper von Gläsern mit wuchtigem Rotwein anfeuern, der mit Lilos leckeren Pasta lustig im Bauch schunkelt.

So reisen wir durch Südamerika. Ich erkläre, labere und schwadroniere und jede Pause läßt von tief ein unbestimmtes Fernweh brummen. Nur gut, daß meine beiden Compañeros aufmerksam nachfragen. So brauche ich mich nicht zu stellen, kann einfach wieder sabbeln. Gegen Ende habe ich die Sehnsucht im Griff, müde von einer schweren, trockenen Zunge, der auch der feurige Rote nicht mehr aufhelfen kann.

Um ½ 12 ist es Zeit, sich herzlich zu verabschieden, die Nacht ist wohlig kühl. Am Südstern, herrlich abgeranzte Station, besteige ich die U 7 bis Hermannplatz, prächtige und welteinzige (sag ich gezz mal) U-Bahn-Station mit direktem Zugang zum Karstadt Warenhaus. Leider wird aus der problemlosen Weiterfahrt zum Alex nix. Irgendwelche Arbeiten an Gleisen, so sagt man. Das Umsteigen in den Bus nehme ich als willkommene Unterbrechung meiner Erwartungshaltung. So sehe ich eben was von der Stadt. Der Fahrer ist zügig, schoffiert sicher. Wäre die Innenbeleuchtung nur nicht so gnadenlos grell, könnte ich mich in den Fond einer Limousine fantasieren.

Am Moritzplatz um zwölf muß ich wieder hinab. Der U-Bahnhof ist leise. Man hört die Stimmen der anderen Fahrgäste, ihre Schritte hallen und grober Dreck unter den Schuhen knirscht beim gehen. Die Station Jannowitzbrücke hat sich etwas von ihrem alten Charme bewahrt, der von einer Zeit stammt als die Bahnen hier nur durchgefahren sind. Grund genug auszusteigen, und da stehe ich allein und erlebe exakt das abenteuerliche Gefühl aus Kinderzeit, wenn ich nachts aufwachte und orangen Himmel über heimatlichen Hochöfen sah, alleiniger Zeuge eines Anti-Idylls. Ich beschließe, den Rest zu Fuß zu gehen. An der Holzmarktstraße und der Singerstraße kann ich vereinzelt Leuten beim Bewohnen ihrer Plattenbauten zusehen. Andere schlafen schon. Alles ist so wunderbar ruhig, daß ich mir einbilden kann, all dies wäre meins. Als ich zu Haus ankommen tut es mir fast leid.