Sonntag, 28. Dezember 2008

Endlich zu Haus

Was hätte ich auch schreiben sollen, die ganzen letzten Tage? Aufgerieben in der kompakten Alltäglichkeit freundschaftlicher Beziehungen, dominiert von Wiedersehensfreude und Freude über den Stallgeruch und Einsprengseln kosmischer Kommunikation (Wozu, um alles in der Welt, fragt man mich, wer jetzt mit wem in Bochum tändelt? Unfassbar!), finde ich nicht den Zugang zum Außergewöhnlichen, und es wäre auch ein anderer Blog, sich mit aktuellen Beziehungen zu befassen, und wo bliebe da die Privatsphäre.

Beste Speisen und geistiges Getränk in großzügiger Menge, gute Gesellschaft sonder Zahl, was soll mich da die Muse scheren. Also habe ich alles einfach laufen lassen, mich wohl gefühlt mit all den Freunden und es nur wenig bedauert, nicht von Seabeams am Tannhäuser Tor berichten zu können, und auch die Schiffe an den Schultern des Orion kamen zu kurz. Dafür war ich in Stadtteilen, wo der Rollator das Hauptverkehrsmittel ist, sah Männlein in hochwässrigen Schlabberbuxen, die ihren Matronen übervolle Tüten nachtrugen und beaufsichtigte einen großen Hund, der keine andere Zeit und nicht einen Anderen Ort als das Hier und Jetzt kennt.

Am Ende bin ich froh wieder nach Haus zu können, endlich wieder Not leiden und mit besagter Muse um die Worte ringen, doch vorher noch die Heimfahrt mit der Bahn in der ersten Klasse genießen. Bereits Wochen vorher habe ich mich doch über meinen Schnapp gefreut, in der ersten Klasse billiger Reisen zu könne als in der Zweiten, doch allein dieses Mal hat mir das Weltverkehrsunternehmen von Herrn Mehdorn und seinen schäbigen Schergen gründlich die Tour vermasselt. Wahrscheinlich können diese Spitzbuben hellsehen und wollten mir gleich ein Thema mit auf die Reise geben. Der Regionalexpress nach Minden/Westfalen hielt nämlich die, vorhersehbare, Überraschung bereit sehr, sehr, sehr voll zu sein. Wie sich nun jeder Mensch denken kann, hängt die Bahn in solchen, vorhersehbaren, Starkverkehrstagen keinen weiteren Waggon an, sondern überlässt es dem Pöbel, nach Möglichkeiten zu suchen. Auch sogenannte Zugbegleiter halten sich aus diesem, ich nenne das einfach mal Sachverhalt, raus. Die Folge ist eine sukzessive Okkupation der ersten Klasse durch plärrende Blagen, türkischer Teenager mit horrenden Handyrechnungen und anderen jungen Menschen, die einem mit entsetzlichem iPod-Gedudel den vorletzten Nerv rauben. In diesem Stadium bin ich noch hin- und hergerissen zwischen Hass auf das Transportwesen, daß ich teuer bezahle, um nicht in solch zweifelhaften Genuß zu kommen und einem verhaltenem Mitgefühl den Mitreisenden gegenüber.

Was dann, bereits in Dortmund, zusteigt und sich mit den Worten „Boah, ist die Butze voll“ in mein unmittelbares Erlebnisfeld setzt, habe ich selbst in schlimmst unterentwickelten Gegenden dieser Welt noch nie gesehen und gerochen. Angeführt von einem klapprigen Männchen, den ein zweiter, mit ungelenkem BVB-Logo auf dem Handrücken tätowiert, ständig „Vadder“ nennt, betritt noch eine dritte Person mein Leben. Dieses Dritte stellt sich im Laufe der folgenden, lauthals vorgetragenen Reden, als weiblich heraus. Ich würde dieses Gebilde aus Dralon-Daunenjacke und Pudelmütze aber eher als dubios androgyn bezeichnen. Alle drei tragen Kombinationen übelster Altkleider und sind, außer ihrer rein optischen Hässlichkeit auch noch mit der Intelligenz sprechender Seesterne ausgestattet. Es entspinnen sich Dialoge wie: „Schatz, fografier mi ma.“ – „Nä, bin zu kaputt.“ – „Vadder, dann du.“ – „Och.“ Gern würde ich mittun, aber der Gestank den dieses Triumvirat des Schreckens verbreitet, läßt mich buchstäblich würgen. Es ist diese Melange aus billigem Fusel, kaltem Rauch, wochenaltem, scharfen Schweiß und Substrat von Stockflecken eigener Inkontinenz. In anderen Ländern muß sowas verhungern, hier darf das zur Regierungsbildung beitragen. Allein bei dieser Erinnerung zittern mir die Hände.

Hinzu kommt, daß der „Sohn“ sich als eine Art Conférencier entpuppt, der lustige Geschichten von „Scheißhäusern“ in Freiburg zu erzählen weiß, sich über Erziehungsmethoden seiner Hauskatze auslässt, die ihm selber gut täten („…mit dem kalten Schlauch abspritzen.“), dann frei hals trompetet, welche Ausscheidung er nächstes vorzunehmen gedenkt, um irgendwann bei philosophischen Betrachtungen seiner Karrieremöglichkeiten zu landen: „Wenn ich bei de Stadt Doatmund gebliem wär, hättichdagezz zwanzich Jahre und bestimmt’n guten Posten. Hatt ja schon dammals sechs Leute unter mir.“

Ich weiß nicht, was alles hätte passieren können, wenn mich nicht schon wieder meinen Würgereiz zur Selbstkontrolle gezwungen hätte. So sagte ich nicht: “Das einzige, was du unter dir hast, ist deine eigene Scheiße, und selbst die gehorcht dir offensichtlich nicht!“ Wohl besser so, sonst hätte sich dieses Ding noch mit mir prügeln wollen und ich hatte allen Ernstes Ekel, es mit den Knöcheln meiner Faust zu berühren.

Dann fiel mir aber noch die Frage ein, was für mich schlimmer wäre: Der Bau der Weißmeereisenbahn in Sibirien oder man zwänge mich, mit dieser Menagerie zu kopulieren. In Bielefeld war der Spuk dann vorbei, und das Gute daran war, daß ich wieder was zu schreiben hatte. Und nie wieder will ich behaupten, daß es in diesem Lande keine Exotik gibt. Uff!

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