Dienstag, 22. September 2009

Ein Hund ist er schon!

Da pumpt mein kleines Seemannsherzchen aber nochmal so richtig! Am Wochenende ist nochmal so richtig duftes Wetter, und am Samstag um 11 treffen sich die gesamten westfälischen Handelsmarinenbesatzungen am Lausitzer Platz im Café V. Ich habe sogar mal meine Kühlbox aktiviert und mit einem 6er Potpourri von Pilsbieren und auch Federweißem bestückt, was mit „Ahs“ und „Ohs“ begrüßt wird. Donnerlütter, so einfach geht Seeheld auf westfälisch!

von links nach rechts: Korvettenkapitän Rolle, Subkommodore Kottan und Konteradmiral Yusuf bekommt vom Marineinspektor Marek was erklärt

Dann aber nix wie rin im Auto und ab nach Groß Köris, etwa 50 km südlich von Berlin, wo die Jollenkreuzer liegen. Die Sonne strahlt, der Himmel lacht, der Wind wird auch noch angemacht. Als Marek jedoch die Persenning runternimmt, gibt es einen Wermutstropfen. Sein Boot zieht irgendwoher Wasser. Nicht viel, aber es muß erstmal geschöpft werden. So ca. 30 Eimer. Obendrein mangelt es der „Libertas“ an einem Vorsegel. Während die „Marlen“ bereits in vollem Wichs zum Auslaufen bereit ist, muß Marek nochmal zum Schuppen hochlaufen und nach einer Fock Ausschau halten. Er kommt nach einer geschlagenen ¼ Stunde zurück und hält etwas in Händen, das einem Handtuch nicht unähnlich ist. Es ist aber nur das Vorsegel eines Piraten und daher fast lächerlich klein. Von der „Marlen“ kommt sofort Schadenfreude und Gejohle. Das spornt uns, Kottan, Marek und mich aber nur an. Wir schmeißen den Motor an und laufen aus. Bis zum Anfang des Kanals, der zum Schweriner und Teupitzssee führt haben wir einen kleinen Vorsprung, den wir wegen Geschwindigkeitsbeschränkung weder ausbauen, noch hergeben.

Wasser hat zwar keine Balken, aber innen und außen

Am Ende des Kanals, wo es zum offenen Wasser hingeht, stoppen wir die Maschine und ziehen ruckzuck die Lappen, auch den komischen, so hoch wie es geht, um uns dann in aller Gemütsruhe zu streiten, wer denn jetzt das Kommando hat. Ich lehne ab (ist ja nicht mein Schiff), Kottan behauptet, noch nie gesegelt zu sein (glatte Lüge) und Marek behauptet von einer Vortagsfeier noch blümerant zu sein und will mich mit dieser merkwürdigen Logik um ein Pilschen erpressen. Es endet vorläufig damit, daß alle drei mit verschränkten Armen da sitzen und die Segel indifferent flattern. Letzten Endes rücke ich trotz dieser frühen Stunde doch eine Runde Bier raus, muß aber 30 Sekunden später feststellen, daß ich bei der ganzen Aktion irgendwie übertölpelt wurde und in die Kommandörsrolle geraten bin. Ich steuere also, trimme die Segel, gebe schneidige Kommandos. Na wartet, ihr sollt mich kennen lernen!

Wetter wie gemalt

Unseren kleinen Disput haben sich Roland und Yusuf zum Vorteil genommen und sind vorbei gezogen. Klar, nehme ich die Verfolgung auf. Es geht einmal gegen den Uhrzeigersinn um den Eggsdorfer Horst, mit Ziel auf die Restauration von Hans Kaubisch in Teupitz. Ich biete all mein seglerisches Geschick auf, aber wir kommen nicht näher. Zu all den bereits genannten Widrigkeiten kommen auch noch meine relative Unkenntnis des Gewässers und ein notorisches Genöhle des Schiffseigners, der mir bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit taktische Fehler vorwirft. Doch Mitte der Zielgeraden sehe ich, wie die „Marlen“ abfallen muß und wir nun eine Bö nach der anderen abreiten können und während unser weitaus besser ausgestatteter und leichterer Konkurrent eine weitere Wende fahren muß, können wir mit der „Libertas“ die kleine Marina direkt ansteuern. Und die „Marlen“ kommt erst viel später rein. Ha! Von wegen taktischer Fehler! Jetzt ist er aber still der Herr Schiffseigner!

Als dann endlich alle komplett bei Bratwurst und Bier beisammen sitzen, bekomme ich von allen Seiten Ehrfurchtsbekundungen zu hören, die ich aber in aller Bescheidenheit abwiegele. Stattdessen lasse ich es mir die Wurst schmecken, die heute deutlich leckerer scheint. Oder ist das nur der süße Duft des Erfolgs? Dann folgt die Rückfahrt, die wir in sicherer Gewissheit, Gewinner zu sein, antreten. Roland und Yusuf müssen sich stattdessen noch beweisen, daß sie noch nicht zum alten Eisen gehören und segeln noch verbissen einige Male auf und ab.

Subkommodore Kottan sinniert

Als wir am Rankenhof ankommen, müssen wir auch nochmal Wasser schöpfen und nach dem Leck wollen wir auch noch schauen. Und als es in der Bilge halbwegs trocken ist, kann man die Bescherung erkennen: Am Übergang des Schwertkastens zum Rumpf suppt es ganz langsam aber sicher hinein. Na, das bedeutet einiges an Arbeit für das Winterlager.

Zum guten Ende kommen die Freunde aber auch gut gelaunt zurück, die Boote werden wieder abgedeckt, dann geht es wider in die Stadt, noch einen Happen essen und dann ins Bett. Die Seefahrt macht nämlich hungrig und müde.

Montag, 14. September 2009

Begegnung mit Peter Fox

Heute Morgen ist es von einem Grau, das alles, wie ich es schon lang nicht mehr geschaut habe. Draußen in der Früh rumoren die Müllmänner, und sie haben schon wärmende, leichte Westen an. Zum Überfluss habe ich eine leichte Erkältung. Schlagartig wird mir klar, daß das jetzt Herbst ist, und ich fühle mich so niedergeschlagen wie ein Hase vor dem Abschuss. Oh weh, oh weh! Ich kann mich nicht daran erinnern, je das Ende eines Sommers so verdrängt zu haben wie dieses Jahr. Den Herbst, den ich immer ‚meine Jahreszeit‘ genannt habe, will ich heuer ausblenden wie einen bevorstehenden ABC-Krieg.

Wie schön war och dagegen das Wochenende. Am Samstag noch bin ich mit Matthias unterwegs. Wir wollen uns in Stolzenhagen ein Herrenhaus anschauen, das sich ein Bekannter als Lebensaufgabe erwählt hat. Ein 2-stöckiger Fachwerktrümmer in einem brandenburgischen Dorf, das, wie alle brandenburgischen Dörfer mit Wahlplakaten von DVU, REP und NPD zugepflastert ist. Wie viele Leute letztendlich diese Pappschädel wählen steht zwar noch auf einem anderen Blatt, doch scheinen uns die einfältigen Parolen schon auf die bäuerliche Bevölkerung zugeschnitten („Schnauze voll! DVU!“).

Im Internet, über Google Maps, habe ich mir eine Fahrtroute ausdrucken lassen. Leider hält sie nicht ganz, was ich mir davon verspreche. Denn, endlich in der Gegend angekommen, was aufgrund falscher Bezeichnungen ganzer Orte bei Google schon mal nicht so einfach ist, stehen wir schwer verunsichert am Eingang von Stolzenhagen, finden die angegebenen Straßen nicht und stutzen, als bei meinem ausgedruckten Papier doch von Lunow, dem Nachbarort, die Rede ist. Nur gut, daß an der nächsten Straße ein Richtungsweiser nach Lunow zeigt, mit dem Versprechen, es wären 3 km. ‚Klackssache‘, denke ich und reiße das Steuer herum. Äußerlich beweise ich damit natürlich Tatkraft, doch bereits nach wenigen Metern auf einer Art Kopfsteinpflaster in Form hunderter Hüftgelenke bin ich innerlich genauso voller Zweifel wie mein tapferer Beifahrer. Erst als wir einen Feldweg mit Steinen und tiefen Längsrillen erreichen fragt Matthias: „Meinst Du, wir sind hier richtig?“

Ich antworte nicht, was soll ich auch sagen, fahre einfach weiter, so gut es geht. Erst als ein dicker Stein uns den Weg zu versperren droht, sagt wieder einer was („O, ein Findling!“). Doch da mein Marbella schmal ist, lassen wir ihn einfach links liegen, biegen um die nächste Ecke und sehen bereits den angekündigten Ort. Auch sitzt ein junger Mann in flotter Kleidung am Wegesrand und kündet allein durch seine Anwesenheit von Zivilisation. Froh gelaunt halte ich neben ihm an, frage, ob mit ihm alles in Ordnung sein und ob wir ihn mitnehmen könnten. Er bejaht freundlich den ersten Teil meiner Frage, verneint höflich den zweiten und schon rollen wir den Restkilometer bis Lunow weiter.

An diesem Brackmann vorbei, da kommt's, da sitzt er

„Irgendwie sah der aus wie Peter Fox.“, sagt Matthias nach einer stillen Minute Fahrens durch die Felder. Nichtsahnend frage ich gegen: „Wer ist Peter Fox?“ Was dann losbricht ist ein Sturm der Entrüstung meines popkulturell hoch gebildeten Freundes: „Du kennst Peter Fox nicht? Den Sänger von Seed?“ „Wer ist Seed?“ Das hätte ich nicht sagen sollen. „Seed kennst Du auch nicht? Das ist die Berliner Band! Fettes B zum Beispiel. Nie gehört? Und Peter Fox hat sich alsbald selbständig gemacht und ist super erfolgreich. Der verkauft Platten wie andere Leute warme Semmeln. Der kennt Peter Fox nicht! Darf doch nicht wahr sein!“ Was nun folgt ist ein ellenlanges Intermezzo über meine Ignoranz gegenüber Phänomenen jüngeren Datum und ähnliche Empörungen. Während Matthias heiß läuft, perlen alle Vorwürfe an mir ab. Ich kann mich nun wirklich nicht um jeden Schlageraffen kümmern, auch wenn er noch so erfolgreich ist.

Mittlerweile sind wir in Lunow angekommen und bemerken, daß wir hier ganz sicher falsch sind, was uns eine freundliche Familie bestätigt und stante pede wieder nach Stolzenhagen schickt. Während Matthias noch einmal über Feldweg und Kopfsteinpflaster will, um das Peter Fox Double nochmals zu begaffen, wähle ich eigenmächtig die breit ausgebaute Chaussee. Schließlich erreichen wir auch das gesuchte Haus, werfen mit dem Besitzer einen Blick auf die zu renovierenden Fenster und vereinbaren die weitere Vorgehensweise.

Der Peter-Fox-Seher und der Eichbaum seiner Empörung

Zum Abschluss sitzen wir zu dritt noch etwas zusammen und natürlich kann Matthias bei dieser Gelegenheit die Geschichte der Feldwegfahrt nicht zurückhalten. Mit allen Ausschmückungen bezüglich meiner kümmerlichen Bildung. Sei’s drum; ich könne ihm seinen Triumph. Am Ende jedoch kommt es ganz dicke: Jan, der Hausbesitzer, sagt doch, daß Peter Fox tatsächlich hier in der Gegend ein Tonstudio einzurichten gedenke. Nun entgleisen Matthias‘ Gesichtszüge endgültig: „Dann war der das wirklich“, um halb flüsternd, halb anklagend hinzuzufügen: „Und Du bist dran vorbeigefahren!“

Doch es bleibt keine Zeit für langes Lamentieren, wir wollen wieder zurück, und ich möchte auf dem Weg noch mal eben ins benachbarte Polen zum billigen Tanken, wobei mir noch einfällt billiges Öl zu kaufen, da ich auf Minimum fahre, und einen raschen Griff ins Tankstellenregal tue und nicht so genau hingucke und so am Abend fast Frostschutz in den Motor gieße, eine Fehlleistung, die ich mir nur durch Matthias‘ unwürdige Ausschmückungen zu erklären weiß. Aber wir sind beide milde gestimmt und so verläuft die Heimfahrt über zahlreiche, mit rechtsradikalen Wahlplakaten geschmückten brandenburgischen Dörfer friedlich.

Am nächsten Morgen ruft Henning an. Er hat Lust auf Fußball und überredet mich, ebenso wie die Wuttke-Brüder, zu einem Besuch der Partie Ankaraspor – Reinickendorfer Füchse, 5. Liga im Poststadion in Moabit. Dieses war mal, soviel ich weiß, unser Nationalstadion. Heute steht es unter Denkmalschutz, was nicht viel heißt, sind doch die oberen Ränge unter Pflanzenbewuchs teilweise nicht einmal mehr zu sehen oder gleich ganz abgerissen, die unteren Ränge mit modernen Zäunen, flachen Stufen oder neuen Plastiksitzen ausgestattet. Allein die Kassenhäuser deuten noch auf die Historie und alte Tribüne steht noch, ist aber wegen Bauarbeiten eingerüstet.

Kurz vor dem Regen

Pünktlich zu Spielbeginn schüttet es aus Eimern, alle 200 Zuschauer, die den happigen Eintritt von € 7,- (ermäßigt € 4,-) bezahlt haben, suchen Schutz unter dem spärlichen Gerüst, was auch mir nur unzureichend gelingt. Das Spiel ist von Anfang bis Ende schlecht, immerhin gibt es Kaffee und wenn so ein Spiel halt schlecht ist und es Kaffee gibt unterhält man sich mehr, als daß man auf das Geschehen achtet. Unter anderem erzähle ich auch vom Vortag und von Peter Fox, und ich muß feststellen, daß bei Henning augenblicklich die gleichen Reflexe einsetzen, wie sie bei Matthias tags zuvor zu beobachten waren. „Wie jetzt, Du kennst Peter Fox nicht? Das ist doch der Sänger von Seed. Und dann hat er sich bla, bla, bla usw.“ Ich lasse das ganz ein zweites Mal über mich ergehen, mit dem haargenau gleichen Sprachduktus und der gleichen ungläubigen Entrüstung. Ich wehre mich nicht einmal mehr, denn ich weiß, es hat keinen Zweck. Ich verspreche nur, mir diesen Kerl mal auf youtube anzusehen.

So sieht es doch aus!

Der Regen hat mittlerweile aufgehört, meine Jacke ist naß, der Wind bläst frisch von vorn, mich fröstelt, das Spiel wird immer scheißer. Gut, daß wenigstens der Gesprächsstoff nicht ausgeht. Beiläufig bekomme ich mit, daß Henning Bildungslücken hat, was die Fußballiteratur angeht: Er hat noch nie von Sammy Drechsels „Elf Freunde müßt ihr sein“ gehört. Anstatt aber nun die Steilvorlage für eine Retourkutsche zum ‚Peter-Fox-Zwischenfall‘ zu verwenden, belasse ich es bei einer spöttisch hochgezogenen Augenbraue und einem faulig-scharf vorgetragenen „Aha!“, was mir diesbezüglich quasi ein Unentschieden einbringt. Immerhin!

Das Spiel krampft und plätschert vor sich hin, es gibt eine Pause, dann spielen sie wieder. Die weitere Unterhaltung in der zweiten Halbzeit wird von nutzlosem Fußballwissen aus mehreren Jahrzehnten bestimmt, wobei sich Christoph Wuttke mit Berichten aus seinem ‚Kaiserslautern-Ultra-Doppelleben‘ hervortut. Wir anderen drei staunen immer wieder, was dieser Mann an den Wochenenden so treibt. Unter der Woche ist er ein seriöser Anwalt.

Die Kassenhäuser sind noch aus den 20ern

Es fallen, von fast allen unbemerkt 3 Tore, die Füchse verlassen den Platz als Sieger, ist aber eh schon egal, fünfte Liga mache ich nicht mehr. Immer noch feucht gehe ich nach Hause, wo ich auch den Rest des Abends bleibe. ‚Die Sonne geht auch immer früher unter‘, denke ich noch, da schwillt mir schon das Naseninnere zu. Und heute Morgen ist, naja, Herbst halt.

Donnerstag, 10. September 2009

Lustige Musikanten

Nu isses wieder soweit. Friedlich sitze ich bei mir zu Haus herum und lese Hochliteratur, da drängen süßliche Klänge an mein Ohr. Widerliche Kitschfolklore mit Blasinstrumenten und Quetschen heischt meine Aufmerksamkeit. Sukzessive lauter wird der Buhei, und ich vermute eine Zigeunerkapelle, die sich in dramatischer Steigerung auf den Platz vor meiner Wohnung zubewegt, um mir ein Ständchen zu bringen.


Kaum, daß ich mich herablasse, huldvoll vom Söller zu blicken, johlen sie auch schon. Schnell trete ich einen Schritt zurück, aus ihrem Blickfeld heraus. Stante pede hören sie zu spielen auf. Man muß solch einem Treiben aber auch nun wirklich keinen Vorschub leisten. Wo kämen wir denn da hin?!



Mittwoch, 9. September 2009

Süßwasserkapitäne (Teil 1)

Kalt ist der Sonntag, doch was hilft es. Ich habe mit Roland und Boris verabredet, sein Boot in zwei Etappen von Oranienburg nach Groß Köris zu verholen, und so bringt uns Mehlig Bey nach Norden. Der einsetzende Regen, das von vereinzelten Kfz aufwirbelnde Wasser, das hissende Rauschen Pfützen verdrängender Reifen, all das verstärkt nur noch die Melancholie eines grauen Sonntag Morgens. Wie vier wetterfühlige Opas seufzen wir umeinander: „Ja, es wird Herbst.“ „Ach ja.“

Endlich in der Oranienburger Marina angekommen kneift Boris im letzten Moment. Er beruft sich auf die Tatsache, daß nur zwei Regenhosen vorhanden wären und er daher großzügig zu meinen Gunsten auf den Trip verzichten wolle. Soll mir recht sein; mit solch wasserscheuen Elementen wird die Welt nicht erobert.

Noch ist die Laune kapriziös

Roland und ich ziehen schon mal die Regenklamotten an, trinken dann noch einen Kaffee, dann reißen wir den 2 ½ PS starken Tohatsu Außenborder an und schon geht’s los. Mit Vmax 9 km/h donnern wir Richtung Berlin. Schnell verlassen wir die Zivilisation, schneidend verdammt uns der Fahrtwind fast zur Unterhaltungslosigkeit, Tohatsu-san tut sein Übriges. Es sind wahrhaftig knapp über 10° und etwa 1 Mio. Dezibel. Gut, daß wenigstens der Regen bald schlapp macht.
Als nächstes geht es über einen endlos scheinenden Kanal durch die grüne Hölle Brandenburgs. Links und rechts nur Bäume, Gräser und wilde Vögel. Wäre es nicht so lausig kalt, könnte ich meinen, Enrico Caruso aus einem Grammofon zu hören und der Kinski bölkt dazu irgendwas. Gut, daß wir immerhin gutes Kartwerk haben, sonst wären wir binnen Minutenfrist rettungslos verloren. Nur eine einzige Marina sehen wir auf diesem langen Abschnitt.

Grüne Hölle Brandenburg

Nach einer geraumen Weile hören wir jedoch metallisches Kreischen, großdingliches Klötern und dumpfes Hämmern. Unser Kanal verbreitert sich, links und rechts sind vereinzelt Datschen zu sehen, die Krachsymphonie wird stärker. Am linken Ufer dann ein Schornstein und einige verfallene Gebäude, der Wasserweg macht einen scharfen Linksknick und vor uns liegt das Elektrostahlwerk Hennigsdorf. Endlich wieder Zivilisation! Und dann auch noch so eine schöne! Ich als Kind des Ruhrgebiets bin darüber noch einen Tacken stärker erfreut als Roland ohnehin schon. Doch auch er als Käpt’n ist sehr froh, wieder sicheres Gewässer unter den Planken zu haben.


Die Lok ist eine ausgeprägte Schönheit, die Kokillen aber auch

Nun geht es auch mit raschem Tempo auf Berlin zu. Entlang der Strecke gibt es wieder was zu sehen. Bald schon tauchen die Umrisse des Nieder-Neuendorfer-Sees auf, durch den einst die innerdeutsche Grenze verlief. Von der Havel hat er zwei Zugänge, von denen einer immer noch mit Wracks verstopft ist, die die Grenztruppen der „DDR“ dort einst versenkt hatten. Das westlich Ufer des Sees gehört schon zu West-Berlin, zum Bezirk Tegel. Sofort ist zu merken, daß hier eine Art Haute-Volé ihre Behausungen hat. Die Villen sind deutlich prächtiger als im ärmlichen Brandenburg, auch muß man hier keine Dächer mit glänzend grünen oder lila Schindeln anschauen. Die Marinas sind zahlreicher, die Ausflugslokale auch und auf dem Wasser fahren einige Segelclubmitglieder eine Privatregatta, was uns aber nicht weiter stört, den Tohatsu-san treibt uns mit mörderischem Krawall seine stoischen 9 km/h nach vorn. Schwupp die Havel hinab, an Heiligensee vorbei, Konradshöhe und den Tegeler See links liegen gelassen. Valentinswerder nur mit einem Blick gestreift, biegen wir in den Berlin-Spandauer-Schiffahrtskanal ein. Nach dem abwechslungsreichen Augenschmaus der letzten Stunde ist dies nun ein mehrere Kilometer langes, schnurgrades Stück Wasserödnis, das zum Westhafen führt. Einzig die Schleuse Plötzensee bringt etwas Abwechslung.


Hier ist gut posen. Roland gibt den "Großen Griechen"

Leider ist die kürzere Strecke über den Nordhafen zum Humboldthafen für Sportschiffahrt gesperrt, und so müssen wir den Umweg über den


komische Skulptur entlang des Charlottenburger Verbindungskanals

Charlottenburger Verbindungskanal nehmen, um uns alsdann in die Spree zu ergießen. Immerhin kommen wir so bei Horst und Angela vorbei, die aber beide nicht zu Hause sind. Schade! Jetzt ein Tasse Kaffee und etwas Streuselkuchen wär nett gewesen.

kolossale Platte gegenüber des Presseamts

Doch zum Klagen bleibt nicht viel Zeit. Kaum erreichen wir Mitte und die Museumsinsel, wird Verkehr der Ausflugsdampfer dichter. Mittlerweile ist der Lorenz doch noch rausgekommen und lockt amüsierwütige Touristen auf die Decks. Käpt’n Rolle gesteht mir, daß unser Treiben höchst verboten ist, da man hier wenigstens 5 PS für eine ordnungsgemäße Durchfahrt braucht und Tohatsu-san hat eben nur die Hälfte und so haben wir schon Nachteile, uns gegen die dicken Schiffe durchzusetzen. Letztendlich aber machen wir gute Miene zum Spiel und grüßen freundlich in alle Richtungen. Für die Zuschauer sicher ein Erlebnis, von dem sie noch ihren Enkeln erzählen werden.
Jetzt noch eine Schleuse, am Mühlendamm, dann noch ein Stück Mitte und ab nach Kreuzberg, Friedrichshain und Treptow. Kurz vor der Oberbaumbrücke noch mal’n Uffreger, da ein duller Dampfschiffahrtskapitän ohne Signal zum Wenden ansetzt und uns fast in Seenot (oder muß es hier Flußnot heißen) bringt. Am Ende geht es aber noch einmal gut und als wir die Elsenbrücke passiert haben, kommt schon die Insel der Jugend in Sicht, der gegenüber wir Kirks Hafen in Stralau wissen. Wir legen an, bringen unseren eisernen japanischen Freund zum Schweigen. Und dann ist’s auch gut. Morgen nochmal.

Süßwasserkapitäne (Teil 2)

Für den Montag ist hübsches Wetter angesagt. Also sind wir früh draußen. Diesmal ist Boris mit von der Partie. Er hat sich sogar Ohrenstöpsel mitgebracht, um dem Gedröhn des japanischen Außenborders zu entgehen. Dabei ist doch Tohatsu-san unser Garant fürs Fortkommen. Segeln ginge gar nicht, bei den ganzen Brücken, die uns im Wege sind und außerdem ist so ein Motor doch auch das eindeutige Zeichen von Fortschritt. Auf meine Frage, was er dagegen haben könne, höre ich nur ein läppisches „zu laut“. Hat man noch Töne?!

Noch ist alles friedlich

Bei Ankunft an Kirks Hafen liegt die Rummelsburger Bucht im Morgentau ganz malerisch vor uns. Das Wasser ist spiegelglatt, ein leichter Frühnebel wabert noch, einige Enten quaken sinnentleert vor sich hin. Quick klaren wir die „Marlen“ auf, betanken unseren Wunderwerk fernöstlicher Ingenieurskunst. Ein Riß an der Leine, und schon knattert er los. Erschreckte Wasservögel stieben auseinander, Möwen kreischen im Takt dazu und suchen Sicherheit, fast scheint mir, als wäre der Reiher am Ufer vor Schreck fast gestolpert. Die Leinen losgeschmissen, den Vorwärtsgang eingelegt, ¾ Kraft voraus machen wir hübsch Welle, fahren Spreeaufwärts Ideallinie. Um Schiffahrtszeichen kümmern wir uns nicht, es ist ja kein Verkehr. Nur einige verschrobene Angelbrüder sitzen an den Ufern und rollen mit den Augen. Aber sie können uns nix.

Tohatsu-san singt sein Lied

Bald schon sind wir in Oberschöneweide, passieren hübsche Villen, alte Fabriken, zauberhafte Ruderhäuser, Campingplätze und drumherum ist alles grün und vegetativ. Bei Köpenick biegen wir auf die Dahme ab, ein kleines Flüßchen, was uns nach dem Süden hin bringt. An der Umgebung ändert sich nicht viel, es ist immer noch ganz schön urban. Erst als wir die Regattastrecke der 36er Olympiade in Grünau hinter uns lassen und auf den Langen See kommen wird die Szenerie etwas weiter und dünner besiedelt. Kurz vor Schmöckwitz, an der Einmündung der Krampe bekommen wir noch mal Häuser zu sehen. Doch bald dahinter beginnt der Zeuthener See, Berlin liegt hinter uns und Seen wechseln sich munter mit Durchfahrten ab.

Ein Hauch von Exotik

Mal ist es weit und spärlich bewohnt, dann wieder steht eine niedliche Datsche neben der anderen. Umsäumt von Schilf und Bäumen erinnern die kleinen Wassergrundstücke in ihren Ansammlungen ein ganz klein bisserl an das Tigre-Delta bei Buenos Aires. Das Wasser ist aber nicht so schlammig, und es ist nicht ganz so warm hier, obwohl die gelbe Sau sich Mühe gibt.

Köpenick voraus

In Königswusterhausen muß nochmal geschleust werden. Krimnicksee, Krüpelsee, Biesdorfer Fließ heißen unsere nächsten Etappen. Zwischendurch gibt’s Knäckebrot mit Sardinenpaste und Äpfel. Auch Tohatsu-san verlangt immer wieder Stoff. Durch eine Laune der Natur hat er nämlich nur einen kleinen, integrierten Tank im Gehäusekopf, der nur einen Liter fasst. Das ist tatsächlich ein wenig spärlich, wo er doch ganz schön durstig ist.

HO-Schleuse

Nun ist es nicht mehr weit und die größeren Gewässer, Schmoldesee, Hölzerner See und Klein Köriser See habe nicht mehr so viel Liebreiz zu bieten. Erst die Durchfahrt durch den Moddergraben in den Kleinen und den Großen Moddersee bringen wieder etwas Spannung. Schließlich sind die Namen hier Programm. Aber unser Kaptein steuert uns sich hindurch, auch unter der Zugbrücke vor dem Schulzensee mit nur 1, 65 Meter lichte Höhe kommen wir elegant hindurch. Noch ein kleiner Kanal und der Zemminsee ist erreicht. Der Rankenhof, „Marlenekens“ Liegeplatz liegt vor uns.

Endlich: Der Rankenhof

Maststellen und aufriggen sparen wir uns für heute. Gut sechs Stunden hat die Fahrt gedauert, und Mehlig Bey ist eh bereits mit dem Auto da, um uns nach Berlin zu holen. Wir lassen also alles wie es ist und schemmen lieber wieder in die Großstadt. Mit dem Auto geht das übrigens doch schneller.

Boris ist der Mann links; nach dem Gebrauch von Ohrstöpseln

Am Abend läßt Roland es sich dann nicht nehmen, mich bei einem chinesischen Restaurant zum Essen einzuladen. Boris und Marek sind auch anwesend und unter Verbreitung von allerhand Seglerlatein schaufeln wir doppelt gebratenen Schweinebauch, Fisch bäuerlich, scharfe Rinderinnereien, Sülze mit fünf Gewürzen und anderes Zeugs in unsere hungrigen Mäuler. Die Stimmung ist bomfortionös und ich finde, fast gerührt, daß ich großartige Freunde habe.

Seemann, laß das Träumen

Den Heimweg trete ich dann, ich bemerke es allerdings erst später, mit verschiedenen Soßen auf Hose und Hemd lustig bekleckert an. Hihi.