Mittwoch, 9. September 2009

Süßwasserkapitäne (Teil 1)

Kalt ist der Sonntag, doch was hilft es. Ich habe mit Roland und Boris verabredet, sein Boot in zwei Etappen von Oranienburg nach Groß Köris zu verholen, und so bringt uns Mehlig Bey nach Norden. Der einsetzende Regen, das von vereinzelten Kfz aufwirbelnde Wasser, das hissende Rauschen Pfützen verdrängender Reifen, all das verstärkt nur noch die Melancholie eines grauen Sonntag Morgens. Wie vier wetterfühlige Opas seufzen wir umeinander: „Ja, es wird Herbst.“ „Ach ja.“

Endlich in der Oranienburger Marina angekommen kneift Boris im letzten Moment. Er beruft sich auf die Tatsache, daß nur zwei Regenhosen vorhanden wären und er daher großzügig zu meinen Gunsten auf den Trip verzichten wolle. Soll mir recht sein; mit solch wasserscheuen Elementen wird die Welt nicht erobert.

Noch ist die Laune kapriziös

Roland und ich ziehen schon mal die Regenklamotten an, trinken dann noch einen Kaffee, dann reißen wir den 2 ½ PS starken Tohatsu Außenborder an und schon geht’s los. Mit Vmax 9 km/h donnern wir Richtung Berlin. Schnell verlassen wir die Zivilisation, schneidend verdammt uns der Fahrtwind fast zur Unterhaltungslosigkeit, Tohatsu-san tut sein Übriges. Es sind wahrhaftig knapp über 10° und etwa 1 Mio. Dezibel. Gut, daß wenigstens der Regen bald schlapp macht.
Als nächstes geht es über einen endlos scheinenden Kanal durch die grüne Hölle Brandenburgs. Links und rechts nur Bäume, Gräser und wilde Vögel. Wäre es nicht so lausig kalt, könnte ich meinen, Enrico Caruso aus einem Grammofon zu hören und der Kinski bölkt dazu irgendwas. Gut, daß wir immerhin gutes Kartwerk haben, sonst wären wir binnen Minutenfrist rettungslos verloren. Nur eine einzige Marina sehen wir auf diesem langen Abschnitt.

Grüne Hölle Brandenburg

Nach einer geraumen Weile hören wir jedoch metallisches Kreischen, großdingliches Klötern und dumpfes Hämmern. Unser Kanal verbreitert sich, links und rechts sind vereinzelt Datschen zu sehen, die Krachsymphonie wird stärker. Am linken Ufer dann ein Schornstein und einige verfallene Gebäude, der Wasserweg macht einen scharfen Linksknick und vor uns liegt das Elektrostahlwerk Hennigsdorf. Endlich wieder Zivilisation! Und dann auch noch so eine schöne! Ich als Kind des Ruhrgebiets bin darüber noch einen Tacken stärker erfreut als Roland ohnehin schon. Doch auch er als Käpt’n ist sehr froh, wieder sicheres Gewässer unter den Planken zu haben.


Die Lok ist eine ausgeprägte Schönheit, die Kokillen aber auch

Nun geht es auch mit raschem Tempo auf Berlin zu. Entlang der Strecke gibt es wieder was zu sehen. Bald schon tauchen die Umrisse des Nieder-Neuendorfer-Sees auf, durch den einst die innerdeutsche Grenze verlief. Von der Havel hat er zwei Zugänge, von denen einer immer noch mit Wracks verstopft ist, die die Grenztruppen der „DDR“ dort einst versenkt hatten. Das westlich Ufer des Sees gehört schon zu West-Berlin, zum Bezirk Tegel. Sofort ist zu merken, daß hier eine Art Haute-Volé ihre Behausungen hat. Die Villen sind deutlich prächtiger als im ärmlichen Brandenburg, auch muß man hier keine Dächer mit glänzend grünen oder lila Schindeln anschauen. Die Marinas sind zahlreicher, die Ausflugslokale auch und auf dem Wasser fahren einige Segelclubmitglieder eine Privatregatta, was uns aber nicht weiter stört, den Tohatsu-san treibt uns mit mörderischem Krawall seine stoischen 9 km/h nach vorn. Schwupp die Havel hinab, an Heiligensee vorbei, Konradshöhe und den Tegeler See links liegen gelassen. Valentinswerder nur mit einem Blick gestreift, biegen wir in den Berlin-Spandauer-Schiffahrtskanal ein. Nach dem abwechslungsreichen Augenschmaus der letzten Stunde ist dies nun ein mehrere Kilometer langes, schnurgrades Stück Wasserödnis, das zum Westhafen führt. Einzig die Schleuse Plötzensee bringt etwas Abwechslung.


Hier ist gut posen. Roland gibt den "Großen Griechen"

Leider ist die kürzere Strecke über den Nordhafen zum Humboldthafen für Sportschiffahrt gesperrt, und so müssen wir den Umweg über den


komische Skulptur entlang des Charlottenburger Verbindungskanals

Charlottenburger Verbindungskanal nehmen, um uns alsdann in die Spree zu ergießen. Immerhin kommen wir so bei Horst und Angela vorbei, die aber beide nicht zu Hause sind. Schade! Jetzt ein Tasse Kaffee und etwas Streuselkuchen wär nett gewesen.

kolossale Platte gegenüber des Presseamts

Doch zum Klagen bleibt nicht viel Zeit. Kaum erreichen wir Mitte und die Museumsinsel, wird Verkehr der Ausflugsdampfer dichter. Mittlerweile ist der Lorenz doch noch rausgekommen und lockt amüsierwütige Touristen auf die Decks. Käpt’n Rolle gesteht mir, daß unser Treiben höchst verboten ist, da man hier wenigstens 5 PS für eine ordnungsgemäße Durchfahrt braucht und Tohatsu-san hat eben nur die Hälfte und so haben wir schon Nachteile, uns gegen die dicken Schiffe durchzusetzen. Letztendlich aber machen wir gute Miene zum Spiel und grüßen freundlich in alle Richtungen. Für die Zuschauer sicher ein Erlebnis, von dem sie noch ihren Enkeln erzählen werden.
Jetzt noch eine Schleuse, am Mühlendamm, dann noch ein Stück Mitte und ab nach Kreuzberg, Friedrichshain und Treptow. Kurz vor der Oberbaumbrücke noch mal’n Uffreger, da ein duller Dampfschiffahrtskapitän ohne Signal zum Wenden ansetzt und uns fast in Seenot (oder muß es hier Flußnot heißen) bringt. Am Ende geht es aber noch einmal gut und als wir die Elsenbrücke passiert haben, kommt schon die Insel der Jugend in Sicht, der gegenüber wir Kirks Hafen in Stralau wissen. Wir legen an, bringen unseren eisernen japanischen Freund zum Schweigen. Und dann ist’s auch gut. Morgen nochmal.

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