Mittwoch, 27. Mai 2009

Musik, bitte!

Wie doch die üble Lohnarbeit meine Kreativität jäh erliegen läßt. Des Mammons wegen schraube ich zur Zeit billige Preßspanschränke zusammen, werde darüber rammdösig und gebe mich des Nachts sabbernd dem Alkohol hin. Ich gebe meine Schwachheit besser sogleich unumwunden zu.

Wie wundervoll ist in so einem eintönigen Gewurschtel dann eine Einladung zu einem Musikabend im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Marcus ruft mich kurzfristig an, er habe noch eine Karte über, es gäbe Haydn. Der hat grad Jubiläum. Ich hübsche mich ein wenig auf und sause mit dem Fahrrad nach Mitte. Zwischendurch regnet es, was der Aufmachung natürlich abträglich ist. Etwas begossen komme ich obendrein zu spät, egal; Marek ist genauso pünktlich, er musste noch auf seine neue Freundin Jewgenia Schmidt warten. Weiß der Schinder, wo er dieses bezaubernde Wesen wieder gefunden hat. So ein Tausendsassa!

Wir hetzen die Treppen hoch, der Zinnober hat schon angefangen, leis stehlen wir uns an unsere Plätze. Der Saal ist riesig, neoklassizistisch, tiptop und nur zu einem Viertel gefüllt. Das Stimmen der Instrumente, einer meiner Lieblingsmomente, haben wir leider verpasst. Es ertönt bereits ein hübsches, kleines Symphoniechen und die Musikanten hibbeln engagiert auf ihren Stühlen herum: Beim Spiel wackeln sie mit dem Kopf, rucken die Oberkörper von links nach rechts, gehen vor und zurück, gehen kurzum richtig fesch mit.
Nicht lang, dann ist es zu Ende und ein zum Haydn verkleideter Charles Brauer (Kommissar Brockmöller) betritt die Bühne und erzählt in Ich-Form aus dem Leben des Komponisten. Ein wenig manieriert. Als das nächste Stück ertönt, tritt er ab und eine rothaarige ‚Castafiore‘ fängt das Trällern an. Sie ist eine Meisterin ihre Fachs, was den Ausdruck ihrer Stimme, wie auch ihr Gehabe angeht. Betreffs letzterem wird sie aber vom Dirigenten eindeutig in den Schatten gestellt. Es ist Trevor Pinnock, und genauso wie sein Name sich anhört ist er ein knorriger Engländer mit einer Physiognomie zwischen Ringelnatz und Dr. Karhoff, meinem alten Philosophielehrer. Er kommt ohne Taktstock aus, rührt dafür behänd mit den Armen, schmeißt sie hie und da von sich, tänzelt dabei gar, findet aber seine Bodenhaftung ruck-zuck wieder, als sie sich, wie von selbst, wieder in die Nähe seines Körpers bringen. Dabei wirkt er so selig, so voller Freude und glücklich, daß ich mich unweigerlich frage, wo eigentlich der Begriff ‚Honigkuchenpferd‘ herkommt.

Bisweilen nimmt er an einem Klavier oder Cembalo Platz, wo er ähnlich exaltiert rumwibbelt. Doch kaum, daß sein Part an dem Instrument gespielt ist und das nächste Stück Musik vom ersten Geiger angestimmt wird, eilt er freudestrahlend und bereits unterwegs halb mit dirigierend auf sein kleines Podest zu, um da wieder komplett einzusteigen.

Den Unterbrechungen des Schauspielers, die weiß Gott nicht uninteressant sind, höre ich nur mit Ungeduld zu, denn ich kann mich an diesem Engländer nicht satt sehen. Selbst die Entgegennahme des Applauses gerät ihm zu einer Demonstration seiner Glückseligkeit. Die Verbeugungen sind tief, sein Gesten den Mitspielern gegenüber weit ausladend, die schweißnassen Haare leicht wirr und das Lächeln gleicht dem eines abgekämpften, glücklichen Ringers.
Nach 2 ¾ Stunden ist es vorbei. Eine lange Zeit. Und wenn sie mir zwischendrin mal zu lang war, so ist es mir eine helle Freude gewesen, einem Menschen bei der Arbeit zuzuschauen, der wohl weiß, wo sein Platz in der Welt ist.

Sonntag, 17. Mai 2009

Blubb

Mit dem Kissen liege ich aus dem Fenster. Verschiedene Musiken höre ich und bei Henri Mancini plötzlich werden auf einmal Taxis zu verschwörerischen Limousinen, die massenhaft Geheimnisträger in die Straßen unserer schönen Stadt senden. Gut, daß es unter meinen Ellbogen so weich ist, daß ich jeden Schiß, der draußen passiert genießen kann. Meine kleine Kreuzung liegt vor mir, wie ein offenes Buch, das ich schon drei Mal gelesen habe und das mir schon wieder neue Seiten öffnet. Herrlich ist die Nacht!


Freitag, 15. Mai 2009

Bei den großen Tieren

Nun habe ich es aber schluren lassen! Eine ganze Woche nix gebloggt. Es ist aber auch nicht wirklich was geschehen, was die Berichterstattung gelohnt hätte. Außer vielleicht einer mit leichten Sentimentalitäten belasteten Reise in die Heimat zur Konfirmation meines Patensohnes unter Hinterlassung einer erklecklichen Summe. Über die Strapazen der Reise und die schon fast chronische Unfähigkeit unserer Bahn, auch nur eine Fahrt im letzten halben Jahr wie versprochen zu gestalten, möchte ich nicht schon wieder berichten. Ich möchte nicht einer von denen sein, die ständig und mit wachsendem Genuß auf unser noch staatliches Transportwesen eindreschen. Nein, ich bin nicht so einer.

Auch die physischen Erschöpfungszustände nach einer familiären Feier mit ihrem unterschwellig vorgetragenen Befindlichkeiten hier auszubreiten ist so nicht meines. ‚Was aber dann?‘, frage ich mich schon seit einigen Tagen, ‚was dann soll ich berichterstatten?‘ Mein Alltag in der großen Stadt könnte sich sowieso und obendrein in Richtung Eintönigkeit verändern, wenn ich erstmal in Lohn und Brot wieder stände, als Mitarbeiter im neu zu gründenden „Grand Hostel“. Allein diese Aussicht inspiriert meinen Geist höchstens zur Kleinheit mit allerlei Befürchtungen, wie trist mein einst glamourös geplantes Leben doch werden könnte.

Wie gut tut es dann doch, mit einem Freund etwas Schräges unternehmen zu können. Mit Matthias nämlich bin ich für einen Zoobesuch verabredet. Und zwar den Ost-Zoo, genannt Tierpark in Friedrichsfelde. Er wurde 1955 eröffnet, natürlich in Konkurrenz zum damaligen West-Zoo in Tiergarten. Schließlich musste man den Leuten in der SBZ was bieten und erschuf gleich mal den größten Landschaftstiergarten Europas. So!

Da wollte ich schon lange mal hin, hielt aber den Winter für eine ungeeignete Jahreszeit. Umso mehr freue ich mich über den Sonnenschein des heutigen Tages, Matthias kommt pünktlich mit dem Fahrrad und eröffnet mir zur Begrüßung, daß er Zoos und Tiergärten nicht mag. Zur Unterstützung seiner Ansichten erzählt er eine schlimme Zoogeschichte nach der anderen aus seiner Kindheit. Dennoch machen wir uns gut gelaunt auf den Weg, auf der Frankfurter Alle hinaus ins Plattenbau geschmückte Lichtenberg. Über eine große Eisenbahnbrücke rechts liegt der Lichtenberger Bahnhof, von wo alle Züge nach Osteuropa abgehen. Eigentlich müsste man hier keinen Zug mehr Richtung Osten besteigen, denn, wenn man das Gebäude erreicht hat, ist man ja bereits dort, so weißrussisch wie einem hier alle Sinne benebelt werden.

Noch ein Stückerl weiter nach Köpenick und schon stehen wir vor dem Eingang. Für 5,50 € bekommt der normale Hartzianer eine Eintrittskarte. Matthias ist aber kein normaler Hartzianer, denn er besitzt zur Zeit keinen gültigen Beweis für seinen Status. Das strenge und hübsche Frollein an der Kasse weist jeden seiner behänd vorgetragenen Versuche, ihr ein weiteres, abgelaufenes Dokument seiner Mittellosigkeit unterzujubeln mit leisem Seufzen zurück. Erst sein aufrichtiger Schwur, eine immer länger werdende Schlange und meine schnoddrig vorgetragene Geschmacklosigkeit „Dieser Mann wird nie wieder arbeiten“ läßt ihren Widerstand zusammenbrechen.

Mit der so erstandenen Karte passieren wir einen freundlichen Wächter und erblicken als erstes ein wirklich sehr weitläufiges Wisentgehege, vor dem, gleich rechter Hand, vier dicke, ungebildete Menschen sitzen und stehen und sich über ihre dummen Witze halb totlachen. Nebenbei sind sie für den Verleih der sechs Bollerwagen zuständig, die sich Familien für ihre kreischende Brut mieten können. Für einen Donnerstagnachmittag kein sehr strapaziöser Job. Bestimmt sind es 1-€-Kräfte.

Die drei berühmten Esel

Da wir aber keinen Bollerwagen brauchen und eher keine Ahnung haben, wo es was zu sehen gibt, schlendern wir zu einer Übersichtstafel. Dort wartet bereits der nächste Hammer: Ein Rentner, der nur noch am rechten, hinteren und unteren Schädelknochenansatz Haare zu haben scheint und diese seit ca. sechs Jahren wachsen läßt, um sie so über seine gesamte Glatze kämmen zu können, daß wenigstens für ihn der Eindruck entsteht, er hätte noch die volle Pracht.

Leider ist das Bild unscharf, da mir bei der Aufnahme die Hände vor Aufregung zitterten

Noch so gerade eben Herren unserer benommenen Sinne, legen wir grob eine Route fest, die an den Bären vorbei, irgendwelche Nutztierabteilungen streifend zum Raubtierhaus führen soll. Schon an der ersten Aufbewahrungsstätte, hier sind es südamerikanische Brillenbären, fällt uns etwas auf, das sich wie ein roter Faden durch die ganze, im Grunde traumschöne Anlage zieht: Die Gehege sind groß bis riesig und die Viecher lungern immer in der hinterletzten Ecke herum. Immerhin sind die meisten so karg, daß sie sich nicht verstecken können, und mit einem Feldstecher hätte man schon Gelegenheit, sie zu betrachten.

Sehr weitläufig, das Ganze, doch sehr!

Matthias aber verfällt auf eine andere Taktik. Wie ein empörter mitteleuropäischer Reisender auf einem neapolitanischen Hauptbahnhof einen Gepäckträger zu ergattern versucht, will er mit den Insassen durch kräftiges ‚Hallo‘ rufen Augenkontakt herstellen. Ein hier wie dort untaugliches Unterfangen, was ihn dennoch nicht abhält, es auch bei Eseln, Geiern, Möwen, Tigern, Eisbären usw. zu wiederholen. Erst bei den Nashörnern gibt er auf. Wahrscheinlich gibt ihm meine Erklärung den Rest, daß jetzt Mittag wäre und diese sozialistischen Kreaturen sowieso keine Veranlassung sähen irgendwas zu tun, da sie allein ihr Dasein versorgt und überhaupt, was sollten sie schon treiben in ihren Käfigen.

Kunterbunter 50er Charme: Das Innere des Raubtierhauses

Dennoch gibt es Highlights. Das Raubtierhaus ist ein großartiges Gebäude aus den 50ern mit all seinen architektonischen Spielereien, Käfigen für drin und draußen, symmetrisch platzierten Volieren und ein begehbares Tropenhaus mit frei fliegenden tropischen Vögeln, von denen einer sogleich meine Gutmütigkeit ausnutzt und mir auf den Jackenärmel scheißt. Wie gut, daß es an neuralgischen Stellen des Geländes privat betriebene Toiletten gibt, die mit Plasteblumen geschmückt ihre Dienste anbieten. Sage noch einer, der Kapitalismus habe abgewirtschaftet.

Das Angebot ist reichhaltig, die Preise zivil

Weiter scharwenzeln wir durch die Anlage, betreten wundersame Lemurenfreikäfige, bewundern die extreme Weitläufigkeit des Ganzen, verdammen die exzessiv aufgestellten, neudeutschen, grünen Stahlzäune und steuern auf das Affenhaus zu, wo wir uns ein wenig „Äkschn“ versprechen. Leider gibt es keine großen Primaten. Immerhin bewegt sich die ansehnliche Menge der anderen Vorfahren, indem sie essen, sich lausen, streiten, die eigenen Genitalien in die Länge ziehen und ähnlichen Krams machen.

Als wir endlich genug gesehen haben, wandern wir zum Ausgang zurück. An einem Antilopengehege trauen wir unseren Augen kaum: Ein vorwitziges Tier ist bis ganz an den Rand nach vorn gekommen und äst Blätter von einem Strauch. Auf einmal wird uns doch noch ein fantastisches Naturerlebnis intensiv auf dem Silbertablett serviert. Wir wagen kaum zu atmen, verlangsamen nahezu unmerklich unseren Schritt, blicken verstohlen aus den Augenwinkeln und bleiben dann stehen. Das ist zu viel. Sofort scheut das wilde Tier und hoppelt in die letzte Ecke seiner eigenen, imaginären Steppe. Nur kurz währt so unser Einblick in die Welt der wilden Tiere. So kurz, daß Matthias mit großem Unmut aufstampft und zornig ausruft: „Geselligkeit wird hier wahrlich nicht groß geschrieben!“

Endlich wieder draußen, ist es bereits fünf Uhr. Noch immer voller Abenteuergeist, wollen wir uns den Weg durchs unbekannte Lichtenberg mit dem Rad in Richtung Friedrichshain bahnen, doch wir scheitern glorios am Kraftwerk Rummelsburg und landen auf der unsäglichen Köpenicker Chaussee. Immerhin erheischen wir noch einige Impressionen des westlichen Karlshorst. Nichts, was die Welt bewegt, aber noch eine neue Facette unserer tollen Stadt.


Donnerstag, 7. Mai 2009

Große Hafenrundfahrt

Nu hab ich mich ´ne ganze Woiche nich verlautbaren lassen, buin trozz all wie diese Zeit n och mit de hiesije Tastatour janz verflitscht. Üffken! Muß ick mer am Riemen reißen! Gezz aber!

All die ganze Zeit erfüllte ich mich mit krausen Gedanken über die nahe Zukunft; meinen neuen Job in einem Luxushostel, der, momentan noch auf freier Basis, und meine damit zusammenhängende Furcht, ich könnte sesshaft werden, sollte es zu der unweigerlichen Festanstellung kommen. Zudem drohte die Fahrt in die Provinz, zur Konfirmation meines Patenkinds, dummerweise mit neuerlichem hin- und hergurken durch die Republik verbunden. What an inconvinience! Zum guten dritten das mir selbst eingebrockte Damoklesschwert einer Darmspiegelung, die ich mir hypochondrisch nach Unterhaltung (s.d) mit meinem Bruder aufgehalst hatte.

Na, wenigstens die habe ich souverän hinter mich gebracht: Nach einem ganzen Tag mit gar köstlichen Abführdrinks usw. holt Heba mich heute Morgen mit meinem Marbella ab. Hermann und Dietrich hinten drin, bringen die Blattfedern zum ächzen. Wenn ich nicht so angespannt wäre, müsste ich prusten. Als hätten die beiden Spacken es geahnt, ziehen sie mich sogleich mit meinem Vorhaben auf („Mach schöne Fottos“, „Wofür krisse den’ne Spritze, hä?“ und vor allem „Viel Spaß!“).

In der Anmeldung sitzt dieselbe Frau, die mich noch Tags zuvor mit einem fröhlich lauten „Wann ham se denn ihre Darmspiegelung?“ begrüßt hat. Diesmal schnattert sie fröhlich: „ Se könn dann nochma’n Kaffe trinken gehen, wir sin heut spät dran. Anner Ecke is lecker, die ham och’n Klo.“ Gut. Geh ich nochma’n Kaffe trinken. Bei der Gelegenheit fällt mir zum wiederholten Mal auf, wie schön Neukölln eigentlich ist.

Letztendlich nutzt mir aber aller Eskapismus nix; ich muß wieder zurueck. Die Schergen warten auch schon. Eine Sprechstundenhilfe in Bleu mit Gummihandschuhen holt mich lächelnd ab. Ob ich nochmal auf die Toilette…na klar. Hernach werde ich instruiert, mich untenrum frei zu machen und mich – in Socken und Pulli auf eine Liege zu legen. Mein Blick fällt beiläufig auf ein Ungetüm von Endoskop. Schnell suche ich einen anderen Blickfang. Gott sei Dank kommt auch schon der Dokter rein. In Schlachterschürze und Plauderlaune. Während die Schwester schon die Kanüle legt, interviewt er mich sehr freundlich, fast verdächtig. Dennoch fasse ich Vertrauen, bekunde meine Aufgeregtheit, bekomme Anteilnahme von den Umstehenden und eine klitzekleine Injektion.

„Merken Sie schon was?“, werde ich gefragt und bekomme kaum das ‚ja‘ über die Lippen, schon bin ich beim ollen Morpheus. Das nächste, was ich mitbekomme, ist die Stimme der bleuen Schwester, der ich wirklich original bescheinige: „Your German is really excellent!“ Weiß der Schinder, in welchen Träumen ich gerade war, ich erinnere mich nicht die Bohne, jedenfalls wird mein ungewöhnlicher Ausspruch mit großem Buhei begrüßt. Dokters wirft gar die Arme in die Luft und grölt: „Hey, wir sind gelandet! Und sogar in Deutschland!“. Ich frage, wie lang meine Auszeit gedauert hat. „‘Ne ¼ Stunde. Exakt so lang wie die Untersuchung.“, ist die Antwort. Ich bin begeistert, ob der Genauigkeit und lobe ad hoc die Anwesenden. Die sind aber schon auf dem Weg zum Nächsten, nur ein junger Mann, wahrscheinlich Zivi, hilft mir beim antrekken der Büchs. Kurz noch wird mir der Befund mitgeteilt. Ich bin kurant wie ein Buschneger. Na, wenn das nix ist!

Ich darf mich noch ein bisserl ausruhen, bis mich Heba wieder abholen kommt. Aber da bin ich schon wieder ganz dufte fit. Und mir ist auch gar nicht mehr bang vor dem Proktologen am kommenden Dienstag und seiner kleinen Hafenrundfahrt.