Samstag, 28. Februar 2009

Noch 38 Tage

Bei einem Telefongespräch mit meinem Bruder rät der mir aus heiterem Himmel zur Darmkrebsvorsorge. Als kennte ich nicht schon genug Varianten ekelhafter Krankheiten und idiotischer Ableben!

Ich versuche mich mit dem erstellen einer hanebüchenen Kurzgeschichte abzulenken, wird aber nix. Die milde Temperatur und zartes Himmelblau lockt mich nach draußen. Ein lang gehegtes Projekt will ich endlich mal durchziehen: Mit der S-Bahn zwischen Grunewald und Nikolassee die Schrebergärten filmen, wie sie eingezwängt zwischen Bahn und Avus dem Lärm trotzen.

Na gut, ist jetzt nicht "Ben Hur", geb ich zu.

Für den Rückweg benutze ich den Bus bis zum Alex. Die letzten Kilometer werden mir so lang und öd, daß ich unentwegt an Schnaps denken muß. An der Endstelle husche ich zur Ablenkung noch einmal rasch in die „Wohlthatsche“, und als hätte es mich gerufen, halte ich als erstes ein üppiges Buch über Bars und Spirituosen in den Händen und ich fange schon an zu dibbern. Grundgütiger, dabei ist es doch erst der dritte Tag! Ich lege dieses Teufelswerk lieber wieder beiseite. Übersprunghaft kaufe ich irgendwas anderes und denke an Harald Juhnke.


Donnerstag, 26. Februar 2009

Woody Allen und ich

Es ist ein besonderer Tag. Ich habe eine Untersuchung beim Lungenarzt. Wie sich das für einen richtigen Kerl gehört, bin ich natürlich Hypochonder, soll heißen: Die Momente von akuter Atemnot, die ich in den letzten zwei Jahren hier und da hatte, mit panischer Angst vorm Ersticken, sollen nun vom Fachmann als heimtückisches Karzinom entlarvt werden oder wenigstens soll er ein seltene, unerforschte Krankheit an mir entdecken. Dann könnte ich meine sowieso schon obsessive Beschäftigung mit meiner eigenen Endlichkeit bis zu dem Punkte steigern, sie sozusagen öffentlich machen, bis mir jemand genervt sagt: „Dann verreck halt.“

So beginne ich den Tag generalstabsmäßig um sechs Uhr mit Tee und Buch im Bett. In Sven Michaelsens „Starschnitte“ erfahre ich von Woody Allen, daß er mindestens genauso bekloppt über seine Todesangst referiert wie ich. Das befreit. Später bade ich mich und frühstücke, dann übergebe ich Hermann eine CD von Fotos seiner Bilder, schreite zum Brillenladen am Lausitzer Platz, wo ich rechts noch ein neues Glas bekomme. Es soll ja alles seine Ordnung haben. Ich fühle mich gemäßigt feierlich bei al dem.

Halb weltlich erinnere ich mich, daß Brot daheim knapp ist und gehe zu „Steinekes Heidebrot Backstube“, wo mein Lieblingsbrot glatte 40 Cent mehr kostet, als drüben bei Schnipps Filiale der gleichen Firma. Auf meine Frage, ob sie teurer geworden wären, ernte ich nur Staunen. Als ich erkläre, daß ich sonst immer auf der anderen Spreeseite weniger bezahlt hätte, bekomme ich zur Antwort, daß die eben Ostpreise hätten. Ich bin sowas von platt! 19 Jahre nach der Wende gibt es im Backwarenbereich immer noch diese Unterscheidung. Völlig verdattert verlasse ich unter dem stoischen Blick der Verkäuferin den Laden. Da ich noch eine halbe Stunde habe, bis mein neues Brillenglas eingefertigt ist, trinke ich noch einen Kaffee im Eiscafé am Lausitzer Platz. Die machen ganz leckeres Bio-Eis und Bio-Kuchen, und ich hoffe wieder in meinen klerikalen Stoizismus zurückzufinden, den ich für meine Untersuchung brauche.

Wird leider nix. Leider wird mir der übelste Cappuccino meines Lebens serviert. Von einer halbschwulen, frohgemuten Ökotranse. Die Miege hat viel zu viel Milch, der Kaffee ist bestimmt so’n fair gehandeltes Zeug, wo sich Import-/Exporthippies über’n Tisch haben ziehen lassen. Die Maschine war lange nicht gereinigt und auf dem Kaffee schwamm milchiger, grober Schaum, so wie von Spüli. Wenn ich schon sterben muß, dann bitte nicht von schlechtem Kaffee. Also lasse ich die Tasse eine halbe Stunde nahezu unberührt stehen, trinke nur das Glas Leitungswasser und bezahle brav 1,90 €. Die Tucke ist weiterhin gut gelaunt.

Im Brillenladen ist alles fertig, doch zufrieden bin noch nicht. Es ist, als tät jedes Auge allein für sich schauen. Aber ich habe jetzt keine Zeit. „Mal sehen“, sage ich, „eventuell muß ich mich noch gewöhnen.“ Auf den paar Metern bis zum Bus erreiche ich wieder meine Ausgangsstimmung des Todgeweihten, ist mir aber mittlerweile auch schon egal.

Beim Doktor dann eine lange Schlange. Als ich dran komme, will man mich nach Haus schicken; es wären heute nur Notfälle. Ich bleibe beharrlich, sage, daß man mich extra heute bestellt habe, hüstele ein wenig und gucke unnachgiebig. Das wirkt. Dafür muß ich im Warteflur sitzen, erst eine, dann nochmal zwei Stunden, um mich herum lauter hustende und röchelnde Leute, einige sind aber auch schon ganz schön still. Im Angesicht dieses Verfalls schüttele ich meinen Fatalismus ab und befürchte, mich mit allerlei Pneumokokken anzustecken.

Um meine aufkommende Hysterie zu überwinden lese ich ein Sachbuch über Argentinien, bis ich für die ersten Routineuntersuchungen entführt werde: Blutdruck messen, Sauerstoffgehalt bestimmen, Lungenfunktionstest. Alles wird mit viel Sorgfalt und Charme von „Anne 2“ durchgeführt einer jungen und hübschen Azubine im Assistentenwesen. Und ich frage mich, ob ich bereits in dem Alter bin, wo ich in eine medizinische Praxis muß, damit ich noch von einer hübschen jungen Frau angelächelt werde. Soweit ist es schon gekommen.

Ich muß noch einmal zwischen all den Pestkranken sitzen und auf die Audienz der Doktorin warten. Die sagt mir dann, daß bis hierher alles ganz in Ordnung wäre, unterhält sich etwas mit mir, fragt dies und das, verschreibt mir ein bekanntes und wirksames Medikament und am Ende werde ich gebeten noch einen Termin für einen Allergietest und die Aushändigung eines Schnarchaufzeichnungsapparates zu machen. Bis dahin werde ich im Unklaren gelassen, woran ich nun so finster erkrankt bin. Mir ist es aber auch schon egal. Wie ich mich kenne, ist wieder alles halb so wild. Dennoch verfluche ich mich, daß ich ausgerechnet heute mit meinen Antisuffwochen angefangen habe. Von Selbstzweifeln geschüttelt, geißele ich meine Idee, bis Ostern keinen Alkohol zu trinken. Gerade jetzt könnte ich einen gebrauchen.

Wieder zu Hause suche ich bei Wikipedia nach einem passenden Leiden. Apnoe scheint ok. Nichts unbedingt lebensbedrohliches, aber lästig genug, daß ich weiter über das Altern zetern kann.

Sonntag, 22. Februar 2009

Ich prangere das an!

Jetzt wohne ich schon mehr als ein halbes Jahr in Berlin, fühle mich pudelwohl und mag die Stadt und die Leute. Neulich noch habe ich mit jemandem über Köln unterhalten, wohl auch wegen der zeitlichen Nähe zur fünften Jahreszeit. Dabei machte es mir keine Mühe, meine Wahlheimat eindeutig klasser zu finden. Und dann dies:

Die Hauptstadt feiert Karneval! Was soll das? Vor allem wie soll es? Ich habe hier noch nie jemanden schunkeln sehen. Das ist doch eine, dem Urpreußen völlig unnatürliche Bewegung. Widerstrebt u.a. auch seinem protestantischen Ordnungsbedürfnis, denn Narretei ist Anarchie und hier hat Stechschritt zu herrschen! Da kann doch nur peinlicher Blödsinn bei rum kommen.

Leider bekomme ich viel zu spät mit, wo und wann sich der Zug bewegt. Rein durch Zufall lese ich in der Tagespresse, daß es jetzt gerade an der Gedächtniskirche passiert und im lokalen Fernsehfunk übertragen wird. Wie ein Angestochener haste ich vor den Schirm und traue meinen Augen nicht. Auf den ersten Blick sieht alles wie ein ganz normaler Jeckenzug in einer rheinischen Großstadt aus, doch peu á peu enthüllt sich ein unterirdisches Grauen, welches seinesgleichen in unserer schönen Republik vergeblich suchen wird.

Verkleidet sind erstmal nur Kinder. Sogar die auf den Wagen befindlichen Subjekte wagen sich in Zivil auf die Gefährte. Was sie nicht hindert, 60 Tonnen Kamellen auf die Umstehende zu werfen. Auch werden die Beworfenen von eifrigen Nachhilfenarren aufgeklärt, daß man den Süßkram nicht mit umgedrehten Regenschirmen auffangen darf. Das würde ein Teilnahmeverbot im nächsten Jahr nach sich ziehen. Die Angesprochenen sind ehrlich bedrückt.


Im Vorfeld wurde übrigens kurz erwähnt, daß der Maximalgeräuschpegel von 85 dB nicht überschritten werden darf. Daran hält man sich natürlich. Die Wagen sind wenig bis überhaupt nicht gestaltet, im Höchstfalle bunt mit Sponsorennamen. Die Musik tut sich auch nichts. Es ist eine sublime Mischung aus Schlagerrally, Ballermann und Musikantenstadl. Echte Stimmung tritt nicht auf. Das zeigt allein schon die ständig gestellte Frage, wie denn diese so sei. Zwar beschwören alle Anwesenden den Katholizismus der rheinischen Beutepreußen, aber: Liebelein, so wird dat nix! Die netten, fröhlichen Lieder müssen eben mit dem originären Singsang präsentiert und nicht im Kasernenhofton gebrüllt werden.

Mit Mikrofonen bewehrte RBB-Moderatoren erzählen schale Witze. Zwo hastig zum Interview herbeigeschaffte kölsche Mädels bedauern auch gleich ordentlich ihre Abwesenheit von ihrer Heimat und sind auch einem Komplimente fischenden Reporter gegenüber nicht bereit etwas charmanteres zu sagen, als daß man hier spät kommend immerhin noch einen Platz in der ersten Reihe findet. Dafür werden sie auch rasch wieder ausgeblendet. Stattdessen finden die fleißigen Sendeleute ein buntes Frollein, die um 13 Uhr bereits ihr zweites Kölsch (wie ausgelassen!) trinkt und trefflich mit 1 Million Zuschauern prahlt. Dabei kann es sich nur um völlig unwissende und unbeleckte Protestanten handeln.

Ich könnte noch Stunden so weiter schwadronieren, ich könnte sogar dort hin fahren, um dem Vorwurf zu entgehen, ich wäre ja gar nicht richtig dabei gewesen. Allein, ich finde es nicht nötig für so eine bemühte und durch und durch trübtranige Veranstaltung meinen Zuckerarsch in dieses Sauwetter zu begeben, um mir eine Haufen komplexbeladene Hauptstädter anzuschauen, die es augenscheinlich nicht vertragen können, irgendeine wichtige Weltveranstaltung nicht zu haben, einmal nicht der Mittelpunkt zu sein. Ich bin allein beim Anschauen am heimischen TV-Gerät ähnlich in Rage wie beim Thema des Schloßneubaus.

Obwohl ich kein ausgewiesener Fachmann für professionellen Frohsinn bin, schreie ich meinen Schmerz über soviel Mittelmäßigkeit laut hinaus. Mir ist unfassbar, wieso man sowas hier nicht einfach läßt. Es fehlt wirklich jede Originalität. Wie kann man sich eigentlich nicht zu blöd sein, die elende Kopie einer regionalen Kulturleistung zu präsentieren. In Brasilien herrscht ja auch keine preußische Ordnung. Wo käme man da auch hin?!

Wie gut, daß diese Stadt groß genug ist, daß man von diesem unwürdigen Spektakel nichts mitbekommen muß. Ich mache jetzt die Glotze aus und genieße augenblicklich den Schluß dieses Blödsinns. Dennoch forder ich unseren regierenden Bürgermeister unmissverständlich auf, diesem schändlichen Treiben ein für alle Male ein gewaltsames Ende zu setzen. Herr Wowereit! Handeln Sie!

Montag, 16. Februar 2009

Permafrost, mach weiter!

Gestern betitelte ich meinen Beitrag leichtfertig mit der Parole „Permafrost, lass nach!“, und heute lese ich in der Süddeutschen Zeitung, daß die Klimaerwärmung noch rascher voranschreitet als befürchtet, und wenn der sibirische Boden erstmal auftaut ließe er nochmal ordentlich CO zwei in die Atmosphäre und dann wäre Holland buchstäblich in Not und obendrein müssten wir alle ganz doll schwitzen und was nicht alles noch.

So habe ich das doch nie gemeint! Ich wollte wirklich nur die allerhiesigsten Temperaturen in Richtung Frühling beschwatzen, nichts weiter. Da kann man mal sehen, in welche Bredouille man sich durch ein loses Mundwerk bringen kann. Ei, ei, ei, wie komme ich aus der Nummer bloß wieder raus?

Also, lieber Permafrost, lass dich von Nichts und Niemandem von deiner Aufgabe in Ostrußland abbringen. Mach einfach weiter deine Aufgabe und kümmere Dich nicht um mich. Du bist ein strahlender Held und ich nur ein Staubkorn im Kosmos.

Sonntag, 15. Februar 2009

Permafrost, laß nach!

Draußen schneit es, Kälte regiert die Stadt. Ich habe mir einen Bademantel angezogen und beschlossen, heute nicht aufzustehen. Das wird mich zwar wieder eine ganze Stange Nerven kosten, aber nutzt ja nix. Die Nerven gehen übrigens auf die Kosten meiner sauberen Unternachbarin Frau Fischer, eine speckliche, blonde Sächsin, anfang 20.

Als ich hier einzog, war ich noch guten Mutes, was meine Nachbarn betraf und auch sehr froh ganz oben zu wohnen; da hat man dann ja nun mal keinen über sich, der poltert und rumort. Bis eben diese Fischersche unter mir einzog, etwa zwei Monate später. Sie und ihr ebenso alter Anfasser, seines Zeichens Darsteller eines Studenten der Elektrotechnik, sind sich offensichtlich nicht bewusst, daß sie in einem recht hellhörigen Haus wohnen und leben daher ihre Beziehung relativ ungeniert. Dabei scheint ihre Zweisamkeit nur eine einzige Ebene zu haben.

Sobald dieses infernale Duo ihre Behausung betritt, sagt der pickelige Stecher irgendwas und dieses Trampel fängt wie besessen an, los zu gackern. In einer Lautstärke, daß ich denken muß, sie säße auf meinem Klo. Dann wird wieder etwas gemurmelt, manchmal eine Minute, manchmal fünf, dann prustet die Punze völlig hysterisch los. Und glaub man bloß nicht, das Schauspiel erführe irgendeine Art von Unterbrechung oder gar Dramaturgie. Und weil es sogar mehrstimmig klingt, habe ich ja zuerst noch gedacht, sie hätte irgendwelche Freundinnen zu Besuch, und sie täten literweise Kosakenkaffee saufen. Weit gefehlt.

Das Theater findet erst ein Ende, wenn die beiden einschlafen, was durchaus morgens um vier sein kann oder wenn sie aus dem Haus gehen. Gern kommen sie dann um sieben in der Früh zurück und zwischen Klospülung, Türen knarren und einschlafen wird noch rasch mal was weggejohlt. Sex haben die, glaube ich, nicht. Es wird ausschließlich gewiehert. Und zwischendurch auch mal die komplette Wohnung umgeräumt. So hört es sich jedenfalls an.

Nicht mehr lang, und dieses Schmierentheater traumatisiert mich. Wenn ich vor meinen Schriftrollen sitze und ich höre, daß sich unten etwas rührt, versteift sich schon meine Sitzhaltung in Erwartung des nächsten Anfalls der pummeligen Blondine.

Manch einer könnte nun meinen, ich solle doch mal hinunter gehen und um Mäßigung bitten. Aber da würde ich mich ja in eine wirklich schwache Position begeben, denn als möglicher Lachverbieter ist man doch immer auf der falschen Seite, einem Kinderschänder bereits bedrohlich nahe. Etwas anderes muß her, etwas stärkeres, durch und durch fieses Gegenmittel, sowas wie Rizinus im Briefkasten oder ständige Belästigung mit latenter Gewaltbereitschaft und grimmigen, hasserfüllten Blicken oder irgendwas schlimm Ekliges. Wenn mir doch nur was einfiele! Ach je, ich höre schon wieder ein leises Kichern. Diese Tiere sind schon wieder wach.

Es wird hohe Zeit, daß es wärmer wird, daß man wieder gern hinaus geht und nicht nur, um sich zu beweisen, daß man ein harter Temperaturhund ist und was ab kann. Aber was nützt all die trefflich geführte Klage. Ein schwacher Trost ist mir dabei, daß das Bewusstsein der winterlichen Durststrecke heuer nicht wie sonst am 1. Jänner losgeht, sondern sechs Wochen später.


Verwaister Biergarten der "Jägerklause"

Der Schnee treibt weiter vor dem Fenster, und in meinem Bademantel bin ich Millionär.