Montag, 14. September 2009

Begegnung mit Peter Fox

Heute Morgen ist es von einem Grau, das alles, wie ich es schon lang nicht mehr geschaut habe. Draußen in der Früh rumoren die Müllmänner, und sie haben schon wärmende, leichte Westen an. Zum Überfluss habe ich eine leichte Erkältung. Schlagartig wird mir klar, daß das jetzt Herbst ist, und ich fühle mich so niedergeschlagen wie ein Hase vor dem Abschuss. Oh weh, oh weh! Ich kann mich nicht daran erinnern, je das Ende eines Sommers so verdrängt zu haben wie dieses Jahr. Den Herbst, den ich immer ‚meine Jahreszeit‘ genannt habe, will ich heuer ausblenden wie einen bevorstehenden ABC-Krieg.

Wie schön war och dagegen das Wochenende. Am Samstag noch bin ich mit Matthias unterwegs. Wir wollen uns in Stolzenhagen ein Herrenhaus anschauen, das sich ein Bekannter als Lebensaufgabe erwählt hat. Ein 2-stöckiger Fachwerktrümmer in einem brandenburgischen Dorf, das, wie alle brandenburgischen Dörfer mit Wahlplakaten von DVU, REP und NPD zugepflastert ist. Wie viele Leute letztendlich diese Pappschädel wählen steht zwar noch auf einem anderen Blatt, doch scheinen uns die einfältigen Parolen schon auf die bäuerliche Bevölkerung zugeschnitten („Schnauze voll! DVU!“).

Im Internet, über Google Maps, habe ich mir eine Fahrtroute ausdrucken lassen. Leider hält sie nicht ganz, was ich mir davon verspreche. Denn, endlich in der Gegend angekommen, was aufgrund falscher Bezeichnungen ganzer Orte bei Google schon mal nicht so einfach ist, stehen wir schwer verunsichert am Eingang von Stolzenhagen, finden die angegebenen Straßen nicht und stutzen, als bei meinem ausgedruckten Papier doch von Lunow, dem Nachbarort, die Rede ist. Nur gut, daß an der nächsten Straße ein Richtungsweiser nach Lunow zeigt, mit dem Versprechen, es wären 3 km. ‚Klackssache‘, denke ich und reiße das Steuer herum. Äußerlich beweise ich damit natürlich Tatkraft, doch bereits nach wenigen Metern auf einer Art Kopfsteinpflaster in Form hunderter Hüftgelenke bin ich innerlich genauso voller Zweifel wie mein tapferer Beifahrer. Erst als wir einen Feldweg mit Steinen und tiefen Längsrillen erreichen fragt Matthias: „Meinst Du, wir sind hier richtig?“

Ich antworte nicht, was soll ich auch sagen, fahre einfach weiter, so gut es geht. Erst als ein dicker Stein uns den Weg zu versperren droht, sagt wieder einer was („O, ein Findling!“). Doch da mein Marbella schmal ist, lassen wir ihn einfach links liegen, biegen um die nächste Ecke und sehen bereits den angekündigten Ort. Auch sitzt ein junger Mann in flotter Kleidung am Wegesrand und kündet allein durch seine Anwesenheit von Zivilisation. Froh gelaunt halte ich neben ihm an, frage, ob mit ihm alles in Ordnung sein und ob wir ihn mitnehmen könnten. Er bejaht freundlich den ersten Teil meiner Frage, verneint höflich den zweiten und schon rollen wir den Restkilometer bis Lunow weiter.

An diesem Brackmann vorbei, da kommt's, da sitzt er

„Irgendwie sah der aus wie Peter Fox.“, sagt Matthias nach einer stillen Minute Fahrens durch die Felder. Nichtsahnend frage ich gegen: „Wer ist Peter Fox?“ Was dann losbricht ist ein Sturm der Entrüstung meines popkulturell hoch gebildeten Freundes: „Du kennst Peter Fox nicht? Den Sänger von Seed?“ „Wer ist Seed?“ Das hätte ich nicht sagen sollen. „Seed kennst Du auch nicht? Das ist die Berliner Band! Fettes B zum Beispiel. Nie gehört? Und Peter Fox hat sich alsbald selbständig gemacht und ist super erfolgreich. Der verkauft Platten wie andere Leute warme Semmeln. Der kennt Peter Fox nicht! Darf doch nicht wahr sein!“ Was nun folgt ist ein ellenlanges Intermezzo über meine Ignoranz gegenüber Phänomenen jüngeren Datum und ähnliche Empörungen. Während Matthias heiß läuft, perlen alle Vorwürfe an mir ab. Ich kann mich nun wirklich nicht um jeden Schlageraffen kümmern, auch wenn er noch so erfolgreich ist.

Mittlerweile sind wir in Lunow angekommen und bemerken, daß wir hier ganz sicher falsch sind, was uns eine freundliche Familie bestätigt und stante pede wieder nach Stolzenhagen schickt. Während Matthias noch einmal über Feldweg und Kopfsteinpflaster will, um das Peter Fox Double nochmals zu begaffen, wähle ich eigenmächtig die breit ausgebaute Chaussee. Schließlich erreichen wir auch das gesuchte Haus, werfen mit dem Besitzer einen Blick auf die zu renovierenden Fenster und vereinbaren die weitere Vorgehensweise.

Der Peter-Fox-Seher und der Eichbaum seiner Empörung

Zum Abschluss sitzen wir zu dritt noch etwas zusammen und natürlich kann Matthias bei dieser Gelegenheit die Geschichte der Feldwegfahrt nicht zurückhalten. Mit allen Ausschmückungen bezüglich meiner kümmerlichen Bildung. Sei’s drum; ich könne ihm seinen Triumph. Am Ende jedoch kommt es ganz dicke: Jan, der Hausbesitzer, sagt doch, daß Peter Fox tatsächlich hier in der Gegend ein Tonstudio einzurichten gedenke. Nun entgleisen Matthias‘ Gesichtszüge endgültig: „Dann war der das wirklich“, um halb flüsternd, halb anklagend hinzuzufügen: „Und Du bist dran vorbeigefahren!“

Doch es bleibt keine Zeit für langes Lamentieren, wir wollen wieder zurück, und ich möchte auf dem Weg noch mal eben ins benachbarte Polen zum billigen Tanken, wobei mir noch einfällt billiges Öl zu kaufen, da ich auf Minimum fahre, und einen raschen Griff ins Tankstellenregal tue und nicht so genau hingucke und so am Abend fast Frostschutz in den Motor gieße, eine Fehlleistung, die ich mir nur durch Matthias‘ unwürdige Ausschmückungen zu erklären weiß. Aber wir sind beide milde gestimmt und so verläuft die Heimfahrt über zahlreiche, mit rechtsradikalen Wahlplakaten geschmückten brandenburgischen Dörfer friedlich.

Am nächsten Morgen ruft Henning an. Er hat Lust auf Fußball und überredet mich, ebenso wie die Wuttke-Brüder, zu einem Besuch der Partie Ankaraspor – Reinickendorfer Füchse, 5. Liga im Poststadion in Moabit. Dieses war mal, soviel ich weiß, unser Nationalstadion. Heute steht es unter Denkmalschutz, was nicht viel heißt, sind doch die oberen Ränge unter Pflanzenbewuchs teilweise nicht einmal mehr zu sehen oder gleich ganz abgerissen, die unteren Ränge mit modernen Zäunen, flachen Stufen oder neuen Plastiksitzen ausgestattet. Allein die Kassenhäuser deuten noch auf die Historie und alte Tribüne steht noch, ist aber wegen Bauarbeiten eingerüstet.

Kurz vor dem Regen

Pünktlich zu Spielbeginn schüttet es aus Eimern, alle 200 Zuschauer, die den happigen Eintritt von € 7,- (ermäßigt € 4,-) bezahlt haben, suchen Schutz unter dem spärlichen Gerüst, was auch mir nur unzureichend gelingt. Das Spiel ist von Anfang bis Ende schlecht, immerhin gibt es Kaffee und wenn so ein Spiel halt schlecht ist und es Kaffee gibt unterhält man sich mehr, als daß man auf das Geschehen achtet. Unter anderem erzähle ich auch vom Vortag und von Peter Fox, und ich muß feststellen, daß bei Henning augenblicklich die gleichen Reflexe einsetzen, wie sie bei Matthias tags zuvor zu beobachten waren. „Wie jetzt, Du kennst Peter Fox nicht? Das ist doch der Sänger von Seed. Und dann hat er sich bla, bla, bla usw.“ Ich lasse das ganz ein zweites Mal über mich ergehen, mit dem haargenau gleichen Sprachduktus und der gleichen ungläubigen Entrüstung. Ich wehre mich nicht einmal mehr, denn ich weiß, es hat keinen Zweck. Ich verspreche nur, mir diesen Kerl mal auf youtube anzusehen.

So sieht es doch aus!

Der Regen hat mittlerweile aufgehört, meine Jacke ist naß, der Wind bläst frisch von vorn, mich fröstelt, das Spiel wird immer scheißer. Gut, daß wenigstens der Gesprächsstoff nicht ausgeht. Beiläufig bekomme ich mit, daß Henning Bildungslücken hat, was die Fußballiteratur angeht: Er hat noch nie von Sammy Drechsels „Elf Freunde müßt ihr sein“ gehört. Anstatt aber nun die Steilvorlage für eine Retourkutsche zum ‚Peter-Fox-Zwischenfall‘ zu verwenden, belasse ich es bei einer spöttisch hochgezogenen Augenbraue und einem faulig-scharf vorgetragenen „Aha!“, was mir diesbezüglich quasi ein Unentschieden einbringt. Immerhin!

Das Spiel krampft und plätschert vor sich hin, es gibt eine Pause, dann spielen sie wieder. Die weitere Unterhaltung in der zweiten Halbzeit wird von nutzlosem Fußballwissen aus mehreren Jahrzehnten bestimmt, wobei sich Christoph Wuttke mit Berichten aus seinem ‚Kaiserslautern-Ultra-Doppelleben‘ hervortut. Wir anderen drei staunen immer wieder, was dieser Mann an den Wochenenden so treibt. Unter der Woche ist er ein seriöser Anwalt.

Die Kassenhäuser sind noch aus den 20ern

Es fallen, von fast allen unbemerkt 3 Tore, die Füchse verlassen den Platz als Sieger, ist aber eh schon egal, fünfte Liga mache ich nicht mehr. Immer noch feucht gehe ich nach Hause, wo ich auch den Rest des Abends bleibe. ‚Die Sonne geht auch immer früher unter‘, denke ich noch, da schwillt mir schon das Naseninnere zu. Und heute Morgen ist, naja, Herbst halt.

2 Kommentare:

Kuddel Jensen hat gesagt…

Abgesehen davon, daß "Fettes B" eigendlich "Dickes B" ist, daß Mathias immer noch meine Luftmatratze hat, die Romano bei ihm hat liegen lassen und daß Peter Fox nicht zu kennen aber sowas von ignorant ist und von einem schwer 80er-angehauchten Musikgeschmack zeugt, war ich wie immer amüsiert. Fußball ist in allen Ligen und an allen Orten sein Eintrittsgeld wert.

Anonym hat gesagt…

wir haben ihm auch gesehen zwei mal schon