Montag, 19. Januar 2009

Wie fühlen Sie sich mein Herr?

Da bin ich doch jetzt echt mal einen ganzen Tag zu spät. Potzdonnerwetter! Und wie ein hechelnder Sportreporter halte ich mir ein eigens konstruiertes, imaginäres Mikrofon unter die Nase und töpperwiene mich an: „Woran hat es gelegen, Herr Kröger?“ Was ´ne blöde Frage! Auf so was kann man doch nur verlegen stammeln. „Also gut. Kommen wohl mehrere Faktoren zusammen, zum einen die späte Stunde, auch das Alter darf man nicht außer Acht lassen, und daß es soweit gekommen ist, da haben auch die Gastgeber dran Schuld, die haben nun eben auch einfach sehr gut bewirtet, wie bei Präsidentens und naja, es war wohl auch Alkohol im Spiel, jedenfalls kam ich nicht gut in den Tag und den Rest kennen Sie ja.“

Klar. Kenne ich. Die üblichen Ausreden, an einem Sonntag nicht schöpferisch tätig werden zu müssen. Dabei hatte es so vielversprechend angefangen: Freund Axel hatte am Sonnabend zum Feiern eingeladen, hinein in seinen Geburtstagssonntag, mit Essen, Trinken und angenehmer Gesellschaft, die, gemäß des Gastgebers Profession u.a. auch mit Filmschaffenden bestückt ist. Böse Geister könnten vermuten, daß der Abend zum Arbeitsessen ausarten könnte, aber ich werde da schnell eines Besseren belehrt. Kaum daß Axels bezaubernde Frau Lilo die Suppe aufgetragen hat, beginnen sich die beiden Männer gegenüber am Tisch miteinander bekannt zu machen. Der links Sitzende entpuppt sich als Co-Regisseur der letzten Till-Schweiger-Produktionen, was den rechts Sitzenden (beide Namen sind dem Autor bekannt), einen ostfriesischen Dokumentarfilmer pakistanischer Abstammung, sofort den Suppenlöffel in den Teller klimpern läßt. Ansatzlos pulvert er eine Tirade gegen den Mimen und seine Schergen heraus, die sich gewaschen hat. Sein Opponent kommt kaum zu Wort. Des Dokumentaristen Worte lassen eine tiefe Antipathie gegen Schweigers Oeuvre ahnen. Die Pausen während der Suppenaufnahme nutzt der Spielfilmer, um seine Sicht der Dinge darzulegen. Dabei landet er vergleichend bei der frischen Riege neuerer deutscher Regisseure, die er konsequent beim Vornamen nennt. Vielleicht hofft er, den Dokumentaristen dadurch zu beeindrucken, doch weit gefehlt. Der prangert mittlerweile die Vergabepolitik von Fördermitteln im Allgemeinen und Speziellen an. Dabei erinnert er vage an den Kampfstil Joe Fraziers: immer und ohne Unterlass nach vorn. Sein Opponent hat erhebliche Mühe, dazwischen zu kommen, gibt aber nicht auf, das Mainstream-Kino zu verteidigen. Manchmal rettet er sich in Sarkasmus, taumelt dabei leicht, aber fällt nicht!

Doch so abrupt wie die Suppe verspeist ist, endet auch der Disput. Man lacht bereits schon wieder und geht zu anderen Themen über. Einer geht rauchen, dann der Andere und ich rede dem jeweils Anwesenden ein wenig nach dem Munde. Keine Ahnung, wofür das gut sein soll, macht aber Spaß und wer weiß, vielleicht habe ich ja ein Duell verhindert. Das hätte mit Sicherheit die Stimmung verdorben. So kann es in heiterer Ruhe Mitternacht werden, Axel nimmt die Glückwünsche bescheiden entgegen, zufrieden mit seinem Leben, mit seinen Lieben feiern zu können.

Weitere stimmungsvolle Gespräche folgen, zotige Witze fallen aus, und so gegen 1 wird mir die Zunge schwer. Eine weitere ½ Stunde noch, und meine Augen unterwerfen sich dem vegetativen Nervensystem. Gegen Zwo beschließe ich ‚Das wird nicht besser.‘ und verabschiede mich frohgemut, solange das noch geht. Mit dem munteren Dokumentarfilmer gehe ich zur U-Bahn, fahre eine Station bis Hermannplatz und muß dort geschlagene 12 Minuten auf Anschluß warten. Am Alex nochmal das Gleiche. Für eine Weltstadt eigentlich ein Skandal.

Als ich endlich in der U 5 sitze fallen mir doch echt die Augen zu und im Hinüberdämmern denke ich noch ans rechtzeitige Aufwachen, sonst könnt’s in Hellersdorf ein Abenteuer geben. Derart in Alarm versetzt träume ich hektisch von einem Boxkampf, bei dem ich richtig was auf die Nase bekomme und ein recht dumpfes, fast taubes Schmerzgefühl läßt mich auffahren. Gerade rechtzeitig an meiner Heimstation. Draußen befühle ich ein wenig verwirrt meine Nase, die völlig in Ordnung ist. „Aber im Traum habe ich es doch ganz deutlich Schmerz gespürt. Wie real.“, beginne ich meinen Monolog auf dem Weg. „Und wenn ich in der Lage bin Schmerz zu fühlen, der eigentlich keinen Auslöser hat, ist das dann nicht sowas wie Phantomschmerz? Und wie lange ist ein Gehirn in der Lage, so ein Gefühl zu speichern? Denn das letzte Mal, daß ich eine fremde Faust im Gesicht hatte ist deutlich länger als 35 Jahre her. Und ist das nicht wenigstens ein Indiz, daß Gefühle einem die Realität vorgaukeln können?“ Meine Güte! Mitten in der Nacht und dann solche existentiellen Fragen.

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