Es scheint, man müsse die Welt nur mal so eben nachdrücklich auffordern, bunter zu werden und schon tut sie’s. Vorgestern noch war ich im Jammertale und nur eine Erddrehung später kitzelt mich die Morgensonne durch klare Kälte hindurch zu Schindludertaten hinan. Ein Sonntagsausflug mit Marcus und Roland ist verabredet, noch ist nicht klar wohin, vielleicht ein Gang durch die Wuhlheide oder gar der Grunewald? Als Marcus Punkt 12 mit seinem prächtigen roten Elch vor der Tür steht, liegt bereits Seite 62 seines Stadtatlas‘ aufgeschlagen auf dem Beifahrersitz, kreisrund markiert die Position der ‚Gedenkstätte der Sozialisten‘. Wir wissen nicht, was es damit auf sich hat, auch Roland nicht, obwohl er TAZ-Abonnent ist. Na dann nix wie hin, kann heiter werden, denn ausgerechnet im braunen Bezirk Lichtenberg liegt unser Wallfahrtsort und Tatsache: Kaum, daß wir in der Nähe sind, ist alles voller grüner Minnas und ihrer Besatzungen.
Trotz dieser, für Verkehrsteilnehmer ungünstiger Voraussetzung, ergattern wir einen Parkplatz, näher geht es also echt nicht, und schon durch die Fenster des Wagens können wir eine Menschenansammlung sehen und rote Fahnen und Buden. Wir wähnen uns als Glückspilze, die Gedenkstätte so von authentischen Linken bevölkert zu sehen. Marcus, als Ideengeber, wähnt schon prophetische Kräfte in sich schlummern; er entdeckt sogar ein Ernst Thälmann Double. Während wir noch im Unklaren sind, was diesem Auftrieb zugrunde liegt, passieren wir eine schrabbelige Bühne und im Nu wird mir klar, warum ich Linke blöd finde: Eine talentlose Kapelle behaust den Bretterverschlag und blökt, arhytmisch von Musikalien begleitet, irgendwelche Namen von Volksfrontbewegungen aus aller Welt über eine solidarische Zuhörerschar. Selbstverständlich halte ich mit meiner Meinung nicht hinterm Berg, verzichte aber auf die weitere Ausführung, daß Linken immer gern hübsch solidarisch mit jedem Furz sind, solange dieser die eigene Meinung vertritt oder jammert, von irgendwem unterdrückt zu werden. Die bisweilen getragenen Palästinensertücher und –fahnen z.B. lassen mich an den krausen antiisraelischen Rassismus der 68er denken.
Wir entfernen uns vom Spektakel in Richtung der eigentlichen Stätte, ein Rondell mit Gedenksteinen verdienter Kommunisten, Sozialisten und gar Sozialdemokraten. Mittlerweile ist auch klar, was die Menschen hier heute treiben: Sie zelebrieren den 90. Todestag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Dementsprechend viele rote Nelken liegen auf den Steinen mit ihren Namen. Berge roter Nelken. Tonnen von. Um den mittleren, hohen Stein gehen in langsamem Schritt die Besucher wie die Muselmanen um die Kaaba in Mekka und legen weitere Blumen ab. Aus aufgestellten Lautsprechern fließt Trauermusik. Auch wir drei schauen an, an wen hier so alles gedacht wird. Ich bleibe vor der Tafel mit Willi Bredels Namen stehen, der Autor des Arbeiterromans „Rosenhofstraße“, den ich als ehemaliger Bewohner dieses Ortes klaro gelesen habe.
Aber das Herumstehen macht kalte Füße und bald ist auch genug gesehen, noch rasch ein weiteres Mal an der Bühne vorbei, wo andere Volkskünstler sich ihren verdienten solidarischen Applaus abholen, hin zu den Buden und Devotionalienständen, die sich nicht scheuen an diesem Ort Kapitalismus zu betreiben. Mir kommt dieses Verhalten bekannt vor und ich erwerbe ein wirklich obskures Exemplar einer nordkoreanischen Jubelpresse, noch aus den Zeiten des ollen Kim Il Sung, mit Landkarten auf denen der böse Süden mit blau gezeichneten Atomraketen vollgestopft ist, mit Fotos der friedlichen Leistungen des Nordens, Händeschütteln Kims mit anderen sozialistischen Führern und auf dem Titelbild lassen blaumützige Jungs Drachen steigen.
Wieder im Autobeschließen wir als nächstes Ziel den Müggelsee. Wird wohl zugefroren sein und: Wintertraum bei diesem Wetter! Sofort stellt sich Begeisterung ein, welch guter Plan, ein bisserl hin und her laufen wärmt die eisigen Füße und vielleicht einen Glühwein. Heißa! Um das sozialistische Abenteuer abschließend abzurunden erwähne ich die hübschen Frauen, die ich gesehen habe. Das bringt mir Marcus Frage ein, wo die denn gewesen wären, da hätte er wohl immer grad woanders hingeschaut. Roland brummt etwas von unrasierten Bären bis unter die Achseln, woraufhin ich auf bestimmte sexuelle Praktiken zu sprechen komme, und das Thema für die Fahrt nach Friedrichshagen ist gefunden.
Dort angekommen finden wir Göttergünstlinge trotz Menschenmassen ruck zuck einen Parkplatz und beschließen, die Diskussion der letzten halben Stunde als Buch herauszubringen und uns als Trittbrettfahrer von Charlotte Roche zu gerieren. Müsste klappen. Der See selbst liegt gleißend in der Sonne. Wirklich ein Traum. Und niemand da, der einem sagt, man dürfe das Eis nicht betreten. Aus versicherungstechnischen Gründen. Wir schlittern mal hierhin mal dorthin, trinken tatsächlich noch Glühwein und schauen uns die schönen und weniger schönen Häuser und Villen mal von der Wasserseite aus an. Einige möchten wir lieber abreißen, aus anderen gern die Besitzer vertreiben, um selbst darin zu hausen. Ist nur für den Rausgeworfenen etwas doof. Enteignung ist halt ein Zweischneidiges Schwert.
Als die Füße wieder warm sind, naht bald die Dämmerung, und wir besteigen wieder den Elch und fahren heim. Unterwegs sammeln wir noch eifrig Material für das Buchprojekt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen