Montag, 5. Januar 2009

Schnee in der Ostzone

Jetzt beginnt die grause Zeit. Seit Tagen komme ich nicht zum Schreiben, nicht einmal denken tue ich daran. Ich bin viel zu beschäftigt, spitze Gegenstände aus meinem Umfeld zu verbannen und meine Fenster mit durchsichtigen Gummibändern gegen versehentliches Hinaus plumpsen unvorsichtiger Personen zu sichern. Schnürsenkel und stabile Gürtel habe ich versteckt. Dazu habe ich mich extra in einen Vollrausch begeben, sonst würde ich sie ja zu schnell wiederfinden. Man weiß ja nie.

Zwar scheint heute mal die Sonne, aber ich finde es auch ganz beruhigend, daß Berlin für die richtig trüben Tage noch richtig lohnende Ausflugsziele bereit hält. So war ich zum Beispiel gestern mit dem bedeutenden Designprofessor Marcus Botsch in Rüdersdorf, seiner seriösen Ansicht nach schwer im Kommen. Er könnte recht haben, so ostig wie es auch 19 Jahre nach der Wende noch ausschaut. Lediglich die modernen Automobile störten und natürlich das Sammelsurium absurd bunter Werbetafeln. Ansonsten gibt es neben den unvermeidlich renovierten Häusern ebenso viele baufällige Buden, teils noch mit Einschusslöchern. Grauer Himmel, Kälte, Schnee und löchriges Kopfsteinpflaster lassen echtes DDR-Gefühl aufkommen. Deutlich fehlen aber „Rängtängtäng“ Geräusche und diese krude Geruchsmischung aus verbrannter Braunkohle und Gemisch. Und selbstverständlich ein oder zwei Vopos, die dick eingemummelt irgendwas regeln. Nicht vorhandenen Verkehr oder sowas.

Professor Botsch und das Federvieh

Während wir im Elch durch die Landschaft brausen, entwerfen wir das Szenario eines DDR-Museumsortes, dessen Bewohner zeitlebens im grauen Winterschleier verbringen, ständig in Pappautos hocken und von unsichtbaren Lautsprechern mit 2-Takt-Geräuschen beschallt werden. Dazu verbreiten Duftspender die nötigen Gerüche. Wär doch was!

Für strammes Ostfeeling muß man aber die Stadtgrenzen nicht mal verlassen. Am Neujahrtag holte ich Henning in Mitte ab und mit meinem kleinen türkisen Wunder ging’s flugs auf die Landsberger Allee (früher Leninallee) nach Hellersdorf. Platte satt. Glücklicherweise spielte das Wetter mit. Suizidales Grau, das die modernen Gebäude nur wenig kontrastiert, stärkt auf seine Weise den Lebenswillen. Sonnenschein hätte mal wieder alles nur in allzu gnädiges Licht getaucht. So kann ich endlich mal sagen: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Die frühere Leninallee in ihrer ganzen Pracht

Hellersdorf at it's very best

Verlässt man dann aber diesen stolzen Stadtteil über die Hönower Straße Richtung Köpenick, erblickt man wie elektrisiert ein liebevoll im späten VEB-Stil gestaltetes Werbeplakat für das von Annerose Koschinski betriebene „Röschens Intimvitrine“ in der Florastraße 94. Das muß natürlich untersucht werden. Weiteren Schildern folgend kommen wir in eine bürgerliche Einfamilienhaussiedllung und stehen recht rat- und fassungslos vor einer Bude, die aussieht wie alle anderen. Wir stellen uns vor, wie sich hier die Damen der hiesigen Nachbarschaft zum Kaffee treffen, lila Polyesterstrapse anprobieren und Bettgeheimnisse austauschen. Vorbeikommende Spaziergänger sind ebenso verwundert.


Den Rest des Nachmittages verbringen wir wie echte Sonntagsfahrer gemütlich durch städtische Tristesse gondelnd im beheizten SEAT. Mal gucken, was die nächsten Wochen und Monate noch so bringen. Jesses!

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