Sonntag, 9. November 2008

Gen Eisenhüttenstadt

Bereits vor einigen Tagen haben Marcus und ich ausbaldowert, einen Samstagsausflug ins erst 47 Jahre alte Eisenhüttenstadt zu machen. Anlaß sollte das Feuerwehr und Technikmuseum des Ortes sein. War aber eigentlich von vorn herein ein Alibi. Selbst Thomas und Roland würdigten die Ausstellungsstätte kein weiteres Mal, als sie hörten, wo sie sich befindet. Allein die Erwähnung des Namens Eisenhüttenstadt ließ uns alle wohlig schauern, wir dachten sofort an Platte, Trostlosigkeit, marode Fabrikgebäude, Gelb auf Rot geschriebene Parolen vom Fünf-Jahres-Plan und graue Menschen in Stasilederjacken, kurzum: schillerndster Ostblock.

Treffen um 11 am Lausitzer Platz, Kreuzberg. Vier gut gelaunte Kerle entern Marcus Elch, ein ehrwürdiger roter Volvo 940. Jack, Thomas‘ Russel-Terrier, ist mit von der Partie. Einer muß ja aufpassen. Welch treue Seele!

Berlin liegt, wie seit Tagen, in Grau, wenn auch trocken vor uns; die Landstraße erscheint uns für die Reise adäquat. Kaum hinter Schmöckwitz die Stadt verlassen, versucht das gemeinste aller Bundesländer, uns die Laune mit dauerndem Regen zu verderben. Selbstredend gehen wir sofort dagegen an und sammeln Ideen, unsere finanzielle Klammheit zu überwinden. Dabei übertrumpft einer den anderen mit hanebüchenem Substrat. Einigkeit herrscht nur darüber, daß außerhalb der Illegalität nichts geht.

Am Ende eines kurzweiligen Zwo-Stunden-Ritts durch die Brandenburgische Pampa sind wir immerhin soweit klar, was die dümmste Art angeht, das ergaunerte Vermögen wieder auszugeben: Wir werden vier Eigentumswohnungen nebeneinander in einem Spandauer Wohnblock kaufen - in der wilden Hoffnung, daß dieses Ausland nicht ausliefert – dann besorgen wir noch vier identische 3er BMWs mit fortlaufenden Nummernschildern und machen damit den Dicken im „Wiener Blut“ unter Verwendung gängiger Phrasen wie z.B.: „Du weißt wohl nicht, wen Du hier vor dir hast…“, „Die Commerzbank letzte Woche, dat war ich!“, „Guck dir mal meine Karre an. Eigentumswohnung hab ick ooch. Und allet bar bezahlt!“ Ich schätze, damit sind uns die Schlagzeilen des Berliner Boulevards sicher.

Nach einem kurzen Stop in Beeskow mit seiner imposanten, aber immer noch nicht fertigen Kirche im Stile der Backsteingotik, machen wir flugs die letzten paar Kilometer und sind doch recht plötzlich in unserem Zielort angekommen, den man zu DDR-Zeiten auch liebevoll Schrottgorod nannte. Zunächst einmal passieren wir die üblichen, kleinbürgerlichen Vorstadtvillen, biegen einmal rechts ab und befinden uns unerwartet abrupt im eigentlichen Kern der im stalinistischen Stil erbauten Stadt, die auch von 1953 – 1961 den Namen dieses großen sowjetischen Autokraten trug, danach aber den wohl unverfänglicheren heutigen Titel verpaßt bekam.

Lausitzer Eleven in Eisenhüttenstadt unmittelbar vor dem nächsten Coup (vlnr: Der Elch, Kottan, Ich, Professor Marek, Der Braten und vorn Jack)

Die Wohnblocks, zwischen denen wir uns fahrend bewegen sind der Ost-Berliner Stalinallee wie aus dem Gesicht geschnitten. Es ist alles nur eine Nummer kleiner. Über die Straße der Republik und die Lindenallee fahren wir erstmal auf einer weiten Kopfstein gepflasterten Allee auf das zum Mittal-Konzern gehörige Stahlkombinat zu, welches das modernste Europas sein soll. Überhaupt ist die ganze Stadt so angelegt, daß die Magistrale schön aufs Werk zuläuft und man sich immer bewußt sein kann, wem die Errungenschaften des Sozialmus zu verdanken sind.

Vorwärts immer, rückwärts nimmer!

Nach kurzem Blick aufs Zentrum, die Ladenlokale sind gut gefüllt, und es gibt kaum Leerstand wie im dekadenten Westen, steuern wir das „Museum für Alltagskultur der DDR“ an. Es befindet sich in einer ehemaligen Krippe inmitten fein restaurierter Wohnblocks. Die Dauerausstellung zeigt das übliche Waren- und Kulturangebot unseres damaligen sozialistischen Nachbarn, fundiert kommentiert und mit einer leichten wir-haben-auch-ganz-anständig-gelebt-Attitüde versehen. Die aktuelle Ausstellung „Werbung in der Deutschen Demokratischen Republik“ ist ähnlich gehalten, wirft in mir aber die Frage auf, wieso man dort überhaupt hätte werben sollen. Sieht man mal von der Steuerung der Konsumgewohnheiten ab, bei der auf verfügbare Massengüter hin und von knappen Luxusgütern weg gelenkt werden soll; dann kommt mir als erstes der Zweck in den Sinn, irgendwie dem Westen Paroli bieten zu wollen. Auf jeden Fall sind die Ausstellungsstücke zahlreich und wundervoll.

Zum Abschluß stehen noch der OT Fürstenberg und seine Doppelschachtschleuse an. Der Weg dahin führt über eine Brücke über den Oder-Spree-Kanal und durch ein Brachland, wo 70er Jahre Platte zurückgebaut wird, z.T. schon ist. Reihenweise Großblock P2, meist komplett verwaist, teilweise wohnt noch hier und da einer allein in einer ganzen Platte. Das stelle ich mir herrlich skurril vor.

Das richtige Elend erscheint aber erst mit dem Auftauchen in Fürstenberg. Der Ortsteil war einmal eigenständig und ist viel älter als Eisenhüttenstadt. Zwar ist auch hier vieles mit dem Soli der westdeutschen Bevölkerung erreicht worden, doch aufgrund der alten Struktur des Ortes mit seinen engen Gassen und niedrigen Häusern vermuten wir eine gelebte Engstirnigkeit der Bevölkerung und tatsächlich werden wir gewarnt den Fürstenberger nicht als Eisenhüttenstädter zu bezeichnen. Worauf sie hier allerdings stolz sein sollten ist mir nicht klar. Auf den Straßen ist kein Mensch zu sehen und die Ladenlokale zeigen meist gähnende Leere. Da gibt der sozialistische Teil mehr Leben her, auch wenn die Bevölkerung seit 1988 von 53048 auf 33091 abgenommen hat. Es war eben nicht alles schlecht damals.


Ist schon b eeindruckend

Nun noch rasch zur Schleuse, ein Bild gemacht und den Heimweg angetreten. Schon ist es 4 Uhr nachmittags und stockfinster, ein Landgasthof mit Schnitzel und süßem Rumänischen Wein will auch noch gefunden sein. Um 19 Uhr dann sind wir endlich wieder in Berlin, glücklich und zufrieden und mit dem festen Vorsatz eines Tages wieder ins schöne Eisenhüttenstadt zurückzukehren.

P.S.: Die Operation 9. Juli war ein Erfolg! Es ist wirklich kein Steakhaus, sondern ein argentinisches Restorant. Die Fleischportionen waren natürlich nicht so groß wie im Mutterland, aber das kann man auch nicht erwarten, dafür war die Speisekarte ein ordentlicher Mix aus Pizza, Pasta, Salaten, Steaks und Milanesas und alles für’n relativ kleinen Teuro. Der offene Rote hatte das Prädikat halbtrocken verdient, und der Speisesaal war von seiner Besitzerin Victoria, ein wirklich putziges 50-jähriges Süßchen aus Santiago del Estero, mit selbstgemalten Bildern und großen Nationalfahnen dekoriert. Alles in allem war es so argentinisch wie man es in Britz eben erwarten kann und sogar ein wenig mehr. Fast kam ein wenig Heimweh auf.

3 Kommentare:

Kuddel Jensen hat gesagt…

Was einem am 9. November so durch den Kopf geht! Tausendjahre Deckschrubben!

Martin Kröger hat gesagt…

Fantastisch! Endlich eine Reaktion! Mein lieber Kuddel, ich dachte ja, ich bin allein im Netz. Wo darf mit sauber machen anfangen?

Kuddel Jensen hat gesagt…

Unter den Talaren, natürlich, Du Landratte! Mit Misantropischem Gruß,
Kuddel.