Es hilft alles nix. Wenn ich eine neue Stadt beziehe, will ich einen Fußballklub. Einen, wo ich wenigstens ab und zu hingehen kann, um ein wenig mitzufiebern. Im Ruhrgebiet ist das kein Problem, schließlich ist das so eine Art Hauptstadt des Kickens. Ich stelle mir vor, daß man als Fremder dort hinkommt, zu Schalke, Bochum oder Dortmund geht, und wo es einem gefällt, da bleibt man, und wenn es gar nicht klappt hat man noch die erdrückende Auswahl zwischen Zweit-, Dritt-, Viert- und sogar Fünftligaklubs mit entsprechender Tradition und Identität. Ich zähle sie hier nicht alle auf. Selbst in meiner Hamburger Zeit hatte ich in der Auswahl eines mir passenden Vereins keine Probleme. Braun und Weiß als Vereinsfarben waren betörend.
Nun bin ich aber in Berlin. Das sagt eigentlich schon alles. Alles an Verzweiflung. Es gibt hier nämlich keinen coolen Fußballklub. Hertha, wohl Erstligist, kommt für mich einer Prophezeiung von Nostradamus gleich und rangiert in einer Liste der scheißigsten Vereine ganz vorn, noch vor (ich habe genau in mich rein gehorcht) Wolfsburg. Ich hatte schon daran gedacht, mir dort eine Dauerkarte für die Gästekurve zu kaufen, habe für solch ein Fanal aber leider zur Zeit zu viel Ebbe im Säckel.
Der erste richtige Versuch mit Fußball gucken war dann mal vor ein paar Wochen mit Henning und Christoph, der eigentlich ein netter Kerl ist, wenn auch Anwalt und K’lautern Fan. FC Union spielte im der Ausweichstätte Jahnsportpark, da die „Alte Försterei“ in Köpenick momentan unter großer Mithilfe der Fans renoviert und ausgebaut wird. Beeindruckender Einsatz. Große Opferbereitschaft. Denn der Jahnsportpark, direkt am damaligen Antifaschistischen Schutzwall gelegen, war einst der Austragungsort der Europapokalspiele des Erzfeindes und Serienmeisters der Deutschen Demokratischen Republik in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und ebenso sportlicher Repräsentant des Ministeriums für Staatssicherheit unter der Leitung des Genossen Oberst Erich Mielke, dem dafür unter anderem vom Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik und Vorsitzenden des Zentralrats der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands Erich Honecker freie Hand gelassen wurde. Ich spreche vom BFC Dynamo oder in der Schreibweise der ewig hetzenden Springerpresse: Dynamo „Ost“-Berlin, Schummelmeister der „DDR“.
Das Stadion ist ein kleines Schmuckstück von Mehrzweckarena. Boshafte Zungen behaupten, daß die Lage an der Mauer nur dazu diente, den Westberlinern mal klar zu machen, wo der internationale Spitzensport in der geteilten Stadt spielte. Hertha war meines Wissens damals mit Amateurfußball beschäftigt. Die Blüten der Frontstadt hießen damals Tennis Borussia und Blau-Weiß 90, bei deren Erwähnung mir die Göttinger Gruppe (halbseidene Finanzgruppe und Sponsor von TeBe in den 90ern) und (Jack White, ein mittelmäßiger Schlagerproduzent, der sich als der Elton John von BW90 gerierte) einfallen. Allein dabei habe ich Mühe, die Fassung zu bewahren.
Der Sportpark hat fast nur Sitzplätze, die aber wegen der genannten Opferbereitschaft der Fans bestanden werden. Von Beginn an stimmen die Unioner ihren Schlachtruf „Eisern Union“ an, der während der gesamten Spieldauer weder variiert, noch durch einen weiteren ironisch gebrochen wird. Das Spiel gegen Braunschweig ist ähnlich ereignisarm, spießig und ostdeutsch kollektiviert wie die Schlachtenbummler und endet 1:1. Als wir das Stadion verlassen, sind wir uns einig, daß man schon aus dem Berliner Südosten kommen muß, um das gut zu finden.
Das war vor einigen Wochen. Da waren noch Blätter an den Bäumen. Jetzt nicht mehr, und abends wird es schon recht schruppig. Dennoch haben Henning und ich uns verabredet mitten in der Woche ein Flutlichtspiel um den Berliner Pokal anzusehen. Der Fachmann ahnt schon, worum es geht. Dem Laien sei gesagt, daß hier Berliner Amateurmannschaften im KO-System über eine Saison einen Gewinner ermitteln, der dann nächstes Jahr im DFB-Pokal antreten darf. Darunter sind so ehemals illustre Klubs wie der Serienmeisters der Deutschen Demokratischen …bla, bla, bla… BFC Dynamo. Diese rangieren in der NOFV-Oberliga Nord (fünfte deutsche Spielklasse) an zweiter Stelle. Davor und souverän führend eine alte Bekannte aus Charlottenburg, die wir uns an diesem Abend ansehen wollen: Tennis Borussia. Sie spielen gegen den Köpenicker SC, dem Zulieferklub von Union, wie mir ein Mitgereister Ossi steckt, dessen Sohn da auch schon mit Robert Huth zusammen gespielt hat. Oh Vaterstolz. Das Ganze findet auf der Hans-Rosenthal-Sportanlage statt und jetzt muß ich endgültig einen kleinen Exkurs in Sachen „Namen im Berliner Fußballsport“ los werden:
Nix gegen Hans Rosenthal, aber der war in erster Linie Quizmaster. Was ich von Tennis halte steht hier auch nicht zur Debatte, ist aber meines Wissens anders als Fußball. Hertha ist ein ältlicher Frauenname. Zwo Klubs der Stadt schmücken sich mit dem Namen der einzigen deutschen Hochseeinsel. Ein Verein im Norden benennt sich nach Brehms Tierleben, vielleicht aber berechtigt, weil sich dort Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Ob das alles schon auf die zahlreichen türkischen Klubs abgefärbt hat, weiß ich nicht, aber Hürtürkel hört sich verdächtig danach an.
Jedenfalls schauen sich 116 Zuschauer das Spektakel an den Seitenlinien eines von absurd hohen Gittern teilweise eingezäunten Kunstrasenplatzes an, meist ältere Männer. Der Köpenicker SC erscheint ganz in Schwarz, TeBe läuft nicht im zu erwartenden Lila auf, sondern in einem 90er Jahre Gedächtnis Gelb-Weiß mit schwarzen Schulterapplikationen. Warum das so ist, erläutert mehrmals ungefragt der erfrischend schlichte sächsische Zeugwart. Ich allein habe es mir zweimal anhören müssen, Henning auch, und doch wußte keiner mehr auch nur Sekunden später, worum es ging. Lokalkolorit war also schon mal da.
Als die strotzend jungen TeBe-Athleten ganz nah an uns vorbei auflaufen, fällt sofort der auf der Brust prangende aktuelle Hauptsponsor „Treasure AG“ auf. Wer kann da anders, als an die bereits erwähnte Göttinger Gruppe und ihre sinisteren Machenschaften zu denken? Mir scheint, dieser Klub ist sich wirklich für gar nix zu blöd.
Noch machen wir zwei unsere Witze, die von links und rechts mit Berliner Witz kommentiert werden, da hat sich schon ein ganz schön munteres Spielchen entwickelt. Durchaus auf dem Niveau der dritten Liga in Punkto Tempo, Physis und Technik, aber mit einigen kleineren Nachlässigkeiten im Taktikbereich. Geschenkt. Was wir zu sehen bekommen ist eine überlegene TeBe und ein konterstarker KSC, der zuerst die besseren Chancen hat. Die Heimmannschaft aber macht die Tore nach Standards und führt zur Pause 2:0 und ist zudem ein Mann mehr, da der Schiri meint, von einem Köpenicker beleidigt worden zu sein und ihm mittels roter Karte bedeutet, daß auf seine weitere Mitwirkung verzichtet werden könne.
Nach der Pause wird Köpenick in Unterzahl immer stärker und schafft nach etlichen Pfosten und Lattentreffern endlich den Anschluß in der 75. Minute. Doch humorlos wie Mutter Natur gibt der TeBe Käpt’n per Kopf den Aufständischen aus dem Osten nur fünf Minuten später den Todesstoß. Sie fallen in sich zusammen wie misslungenes Soufflé. Zehn Minuten darauf ist Feierabend, die Akteure werden beklatscht, und wir haben das Gefühl, für € 6,80 inkl. Bier und Bratwurst, einen munteren Abend gehabt zu haben.
Aber kann es das auf Dauer sein? Eine Bezirkssportanlage mit Kunstrasen und 116 Zuschauern? Vermutlich wird TeBe aufsteigen. Aber wird das irgendwas ändern? Wir beschließen, sie irgendwann noch einmal in ihrem eigentlich hauseigenen Mommsenstadion (benannt nach dem bedeutenden Historiker) zu besuchen, welches malerisch eingebettet zwischen Deutschlandhalle und Avus liegt.
Auf dem Heimweg mache ich mir Gedanken über ein Zwischenresummé: Der einzige Erstligist hat einen Frauennamen, der mich an eine Kabarettnummer denken läßt, kommt aus dem Arbeiterstadtteil Wedding, wo er längst nicht mehr verwurzelt ist und muß in einer Mehrzweckarena aus den 30er Jahren spielen, die er eigentlich nie voll bekommt. Die für Hertha angeführte Tradition endet bei den beiden Meistertiteln 1930 und 31. Weitere Klubs von „Weltgeltung“ sind Tennis Borussia ein Charlottenburger Bourgoisverein mit wiederholt verhaltensauffälligem Finanzgebaren. Blau-Weiß 90 war einst ein Mariendorfer Kunstprodukt des Profifußballs, was mittlerweile mit irgendwas fusioniert hat. Nicht zu vergessen der 1. FC Union, der seine Identität des ewig Unterdrückten (erst von der Stasi, dann von Dieter Hoeneß) lustvoll immer wieder aufs Neue zelebriert. BFC Dynamo mit seiner schwarzen Weste des Stasiklubs, der ehemalige Serienmeister usw. spielt keine glanzvollen Europapokalabende in Mauernähe mehr, sondern fristet ein Dasein irgendwo in Weißensee. Aber auch dahin werde ich noch eines Tages fahren, weil ich wissen will, wie es denen heute geht.
Nur einen Verein, den ich aufgrund seines flotten Namens schon als Schuljunge im Ruhrgebiet der 60er in der Regionalliga Berlin bevorzugt hatte, könnte ich noch spontan Sympathie entgegenbringen, egal welche Liga sie spielen. Aber Rapide Wedding gibt es nicht mehr.
Ach, Berlin ist keine Fußballstadt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen