Als ich aufstehe verspricht der Tag gut zu werden; die Sonne zeigt sich, Schnee ist gefallen: 5 mm. Kalt und klar wird die Luft sein. Ich reiße probehalber das Fenster auf und vergewissere mich. Jawoll! Ich beschließe nach dem Frühstück mit dem öffentlichen Nahverkehr irgendwo hin zu fahren. Mir schwebt Zehlendorf vor, und noch während ich Brote schmiere und verzehre, dabei nebenbei in der Zeitung lese, was die Welt wieder an hochbezahltem Kinderkram so treibt, rufe ich diverse Speicher in meinem Kopf nach Opportunitäten ab. Die Wahl fällt auf das Alliierten-Museum in der Dahlemer Clayallee.
Für die Fahrt dahin brauche ich drei U-Bahnlinien und 1 Stunde und 12 Minuten von Tür zu Tür. Dabei fällt mir auf, daß die Warnhinweise beim besteigen und verlassen der Züge von einer betont deeskalierenden weiblichen Stimme, fast sotto voce, vom Band charmiert werden. Ich erinnere mich beinah sehnsüchtig an meine Berlin-Besuche in den 80ern, als dies noch von einem am jeweiligen Bahnhof stationierten BVG-Angestellten in unnachahmlicher Aufsehermanier durch minderwertige Lautsprecher geknarzt wurde: „Z’rrrückbleim!“. Und wehe dem, der meinte, doch noch hinein huschen zu können: „Z’RRRÜCKBLEIM HA’ICK JESACHT!!!“ und ich wußte dann immer sofort, welch tragische Geschichte mein Vaterland zu bewältigen hat.
Der Museumseintritt ist frei, die Ausstellung ein Wust von Militaria der Westmächte und ein Haufen persönlicher Erinnerungsstücke damals Anwesender. Es ist alles schön anzusehen, ich finde das auch immer ganz niedlich. Ich hatte mir aber schon ein wenig mehr Erklärung über den einen oder anderen Sachverhalt gewünscht. Warum z.B. der Franzmann eine Siegermacht war? Hätten nicht Holländer, Belgier, Polen, Tschechoslowaken, Griechen und Jugos ähnliche Ansprüche anmelden können? Kein Kommentar. Stattdessen eine Menge Uniformen, Zeitungs- und Wochenschauausschnitte und große Wandkarten und stets die Betonung, die Frontstadt der freien Welt mit ungeheurem Mut vor den gierigen Klauen der Sowjetmenschen gerettet zu haben. Ich habe nix dagegen im Westen aufgewachsen zu sein, schließlich war meine eigene britische Besatzung vergleichsweise diskret, aber ganz selbstlos war das wohl nicht. Davon zeugen auch die Exponate, die sich mit Tätigkeiten der verschiedenen Geheimdienste und deren Spielplätze befassen.
Das sind die Pferde, die die Mauer niedergerannt haben. Im Hintergrund das Museum der Alliierten.
Nach etwa einer ¾ Stunde verlasse ich den trauten Hort und stapfe durch ein bisserl Schneematsch zur Bushalte, wo ich den 110er besteige, eine Art Luxuslinie. Er fährt bis zum Bahnhof Zoo, zuerst durchs schnieke Dahlem, dann mitten hinein nach Wilmersdorf, wo ich hoffe, dessen berüchtigtste Bewohnergruppe, marodierende Witwengangs, zu Gesicht zu bekommen. Doch lediglich eine einzige verdächtige Person kann ich ausmachen, die sich beim besteigen des Busses mit dem hervorzeigen eines Schwerbehindertenausweises dicke tun will. Die anderen Seniorenmobster hält wohl das Rheuma vor der Heizung. Noch mal Glück gehabt!
Das letzte Stück vorm Zoo gehört dem Ku’damm, immer noch eine nette Luxusstraße, wo shoppen bestimmt Spaß macht. Am Zoo dann hüpfe ich kurz entschlossen in der 100er, ein Doppeldecker zum Alex, der auch jetzt halbwegs voller Touristen ist, weltweit meine Lieblingsbevölkerungsgruppe. Auf dem Oberdeck fallen einige Chinesen auf, die mit entblößten Objektiven von einem Sitz zum anderen hüpfen, um ja kein Motiv zu verpassen. Nach zwei Stops werden sie von einer Gruppe Hebräer in ihrem Tun eingeschränkt. Diese wollen natürlich auch sitzen, was die Bewegungsfreiheit der Asiaten einschränkt. Doch sie arrangieren sich und nun wird munter von beiden Parteien nach allen Seiten geknipst, was das Zeug hält. Wahrscheinlich kann man dann etliche dieser Motive auf Google Earth wiedersehen, wo sich an neuralgischen Punkten eines Satellitenbildes hunderte blauer Kästchen drängeln, die alle das gleiche zeigen. Ein Hoch auf die digitale Vermüllung der Welt.
Ab dem Reichstag geht es etwas friedlicher zu, nur noch gelegentlich höre ich erhabenes Raunen („Ooohaah, Blandenbulgel Tol!“). Nur drei shoppingwütige Damen in ihren Vierzigern fallen auf. In jedem dritten Satz, die ausnahmslos von Konsumtempeln handeln, vergewissern sie sich ihrer Vernunft („Wir haben aber jetzt wirklich schöne Sachen gekauft.“). Allerdings werden sie an der Kreuzung Unter den Linden/Friedrichstraße unruhig und verlassen sehr aufgeregt das Fahrzeug. Am Alex laufe ich über den Zigsten Weihnachtsmarkt fix zur U-Bahn. Ich will jetzt heim. War doch ganz ergiebig, aber ich bin etwas gnatterig, da ich die überbordende Absurdität südamerikanischer Museen vermisse. Das ist doch alles ganz schön normal hier.
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