Montag, 24. November 2008

Kennzeichen OPR

Habe ich mich Vorgestern noch frustriert über das ach so Normale hiesiger Museen mokiert, so muß ich heute einen kleinen Schritt zurück machen. Aber nur einen kleinen.

Letztens rief Marcus aus Moskau an, er wäre am 22. wieder zurück und würde gern einen Ausflug ins Umland machen und ich solle doch mal ein Ziel aussuchen. Das fällt nicht besonders schwer, denn im Internet, welches nicht nur eine gigantische Wichsvorlage ist, kann man auf einer Seite des Museumsverbands Brandenburg sich nach Themen oder Landkreisen ein passendes Objekt aussuchen. Da gibt es etliche Heimatmuseen, Technikmuseen inklusiv Agrar- und Feuerwehrthemen und was weiß ich noch alles. Meine Wahl fiel diesmal aber auf das Lügenmuseum in Kyritz an der Knatter, etwas mehr als 100 km nordwestlich.

Die Sonne lacht, eisiger Wind aus Nord, der Elch, beladen mit Marcus, Thomas, Jack und mir, schnurrt behänd durchs platte Brandenburg. An der Abfahrt 22/Neuruppin fahren wir von der Autobahn ab durch einen Weiler namens Dabergotz. Dort müssen wir feststellen, daß es sich hier nicht um eine der üblichen überrenovierten Geisterstädte Ostdeutschlands handelt. Gut, die Straße ist leidlich gut asphaltiert, doch die Bürgersteige und auch die Hausfassaden befinden sich in durchaus ehrwürdigem DDR-Standard, und nun steht die Frage im Raum: „Was haben die mit unserem schönen Soli gemacht?“ Wird wohl der Bürgermeister in Malle durchgebracht haben.

Die anderen durchfahrenen Dörfer beruhigen uns aber wieder. Da ist alles in Außenanstrich und Gehwegpflasterung investiert. Schnieke neue Tankstellen künden von blühenden Landschaften. Was ist eigentlich aus der Affäre Elf-Aquitaine geworden? Steht Dr. Birne eigentlich immer noch über dem Gesetz?

Anstatt Kirchweih

Bald erreichen wir das schöne Städtchen, fahren einmal um den Ortskern rum, parken am Marktplatz und umrunden die Kirche zu Fuß, was fünf Minuten dauert, dann wird uns zu kalt, Marcus deliriert bereits zum siebten Male von Braten, Klößen und Rotkohl. Nach Norden wieder raus und nach weiteren fünf Kilometern links ab und wir stehen vor einem alten Gutshaus, das ein Prenzelberger Abweichler der 80er Jahre in den Zustand eines Lügenmuseums überführt hat. Er bittet uns rein und stellt sich unseren Fragen, denn keiner weiß natürlich nicht, was die Lüge im Museum zu suchen hat. Ist sie bereits ähnlich bedroht wie die Arbeit, wie uns ein Hamburger Pendant nahelegt? Oder ähnlich fragil wie die Kunst?

„Keineswegs“, beruhigt uns Reinhard Zabka, der Intendant. Sie erfreue sich bester Gesundheit, was man allein daran sähe, daß im offiziellen Ortsnamen ‚Kyritz an der Knatter‘ ein Gewässer vorkäme, das es gar nicht gibt. Und wirklich: Einen Fluß dieses Namens gibt es hier nicht. Nicht mal ein Bächlein. Verschiedene befragte Einheimische redeten sich auf geräuschvolle Windmühlen hinaus, die es mal vor Urzeiten hier gab.

Das Museum selber ist vollgestopft mit Zeug. Alles mögliche an Krimskrams, neu miteinander kombiniert (z.B. präparierter Hechtkopf mit Geweih), vieles bewegt sich und macht Geräusche, manches ist banal (eine vergoldete Pommesschale mit dem Satz: Die Titanic hat es nie gegeben), alles ein wenig Dada mit einem großen Schuß ‚Der-Hippie-war–in-Indien-und-hat-zu-viel-gekifft‘. Was soll’s. Mir gefällt es, ich habe Spaß an der Betrachtung der sinnfreien Basteleien. Leider sind die Ausstellungsräume recht kühl, was ein Verweilen zum Durchhalten werden läßt. In dieser Hinsicht ist es gut, daß wir fast zur selben Zeit durch sind, da meine beiden menschlichen Begleiter sich eher abfällig über diesen „Hippiekram“ und die „vollgestopften Räume“ echauffieren, mit denen man höchstens „Schwabenmüttern aus dem Prenzlauer Berg“ imprägnieren könnte. Jack hält sich wie gewohnt zurück.

Im Museum selbst

Auf dem anschließenden Rundgang um den kleinen See entspinnt sich ein Disput um den Wert dieser kulturellen Einrichtung, die ich vehement verteidige, umso mehr mich meine Freunde in die geistige Ecke Prenzelberger Schwabenmütter drängen. Zurück am Auto schlägt Marcus einen Umweg über Stölln vor, wo Otto Lilienthal vor 102 Jahren bei einem seiner Gleitflüge den Tod fand. Da gäbe es auch sowas wie ein Museum, also das wäre wirklich was für Jungs. Wir anderen rätseln, was das wohl sein kann, da fahren wir schon und Marcus hat wieder Bratenfantasien.

Eine halbe Stunde später, kurz hinter Friesack, biegen wir in eine kleine Sackgasse ein und hinter zwei Einfamilienhäusern steht wahrhaftig eine ausgewachsene Iljuschin IL-62 (Das ist ein sowjetisches Passagierflugzeug mit vier Düsen am Heck) in Interflug Bemalung auf einem Hügel. Wir schauen uns das Ding an, man kann sogar rein und Probe sitzen. Das Gestühl ist sowjetisch hart, die Tabletts am Vordersitz aus scharfkantigem Metall und die Beinfreiheit hat Erste-Klasse-Niveau. In dem zum Standesamt umgebauten Raum gibt es einen Film über den Herflug anzusehen. Demnach hat im Oktober 1989 ein wahrhaftig tollkühner Ost-Pilot das Trum auf dem nahen Todesacker vom Otto gelandet, damit es hier ausgestellt werden kann. War nicht alles schlecht im Sozialismus.

Internationales Flair

Grobe Bahn

Auf dem Weg zur nahegelegenen Gaststätte noch rasch ein Blick in Nachbars Garten: Eine große, liebevoll grobschlächtige Eisenbahnanlage ist dort in Eigenbau entstanden und sicherlich einen weiteren Besuch im Sommer wert. Nach dem anschließenden Mahl, das nicht nur Marcus ganztägig impertinenten Vortrag von einem würdigen Sonntagsessen entsprach, sondern alle befriedigte, machen wir uns auf den Rückweg über die alte Transitstrecke Hamburg-Berlin, die gute B5. Wir passieren Ribbeck, welches mit halböffentlichen Fontane-Einrichtungen wie besessen rumprotzt.

Es ist bereits dunkel, wenig Verkehr, ab und zu riecht es aus Schornsteinen nach Braunkohle, dann kommt richtiges Ostfeeling auf. Auf Berlin zu wird der Verkehr dichter, und als dann doch recht unvermittelt die Stadtgrenze erreicht ist, versichern wir uns mit wohligem Schauer alter Transitstreckengefühle in den 80ern.



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