Als ich erwache, höre ich das gänzlich ungewohnte Geräusch von Regentropfen, die an mein Fenster klopfen. Nicht, daß es hier nicht regnen würde, das schon, aber meine Fenster gehen nach Richtung Moskau raus. Was ergo bedeuten würde, daß irgendwo südlich ein ekles Tief Wassertropfen erstmal über Osteuropa trägt, um sie dann hier recht fein abgekühlt gegen meine Fensterscheiben zu schleudern. Das hat sich die Wetterzentrale ja fein ausgedacht! Welch eine Verachtung, welch ein Affront!
Um mir endgültige Gewissheit zu verschaffen, jumpe ich bettaus und ziehe die Jalousien hoch. Und wirklich: All meine Vermutung manifestiert sich in der Farbe Grau.
Erregt vom eigenen Widerwillen reiße ich das Fenster auf und schleudere der Welt ein zorniges „Ihr Schweine!“ über den Platz vor meinem Haus. Rein verbal belasse ich es dabei, denke aber noch, daß Strafe sein muß und beschließe, den ganzen Tag das Gebäude nicht zu verlassen. Schließlich habe ich hier alles, was ich brauche, außerdem ist Monatsende, und ich habe wieso kein Geld mehr.
Die ersten acht Stunden klappt das auch ganz gut mit daddeln, internet, lesen, hier und da was pusseln. Dann fällt mir der heute neu eröffnete ALDI ein, der mich lockt, und eine Monatskarte für die BVG brauche ich auch noch. Mal sehen, was meine Plastikkarten noch so hergeben.
Durch den Hausflur turne ich hinab. Wie immer fällt mir im EG das Klingelschild von Herrn Figur auf, ein alleinstehender Mann im Rentenalter. In meinem Hirn hat sich schon seit längerem die Assoziation „IM Figur“ eingebrannt, die bei jedem passieren seiner Tür aufleuchtet. Bestimmt tue ich dem Mann unrecht, aber was soll ich denn bei meiner lebhaften Fantasie machen? Und dann bei diesem Namen. Also echt!
Draußen ist es lausig kalt. Fieser Nieselregen klatscht mir in die Fresse. Es ist schon etwas vor vier und aus dem alles beherrschenden Grau wird Dunkelgrau. Mutig stemme ich mich dem Trend entgegen und schmettere den alten Gassenhauer aus Kindertagen: „Grau, grau, grau ist alles was ich habe….“.
Als ich nach drei Stationen den Bus am Ostbahnhof an der vorderen Tür verlassen will raunt mir der Fahrer ein „Ausstieg ist hinten!“ in den Nacken. Aha, der Berliner kann also auch unfreundlich sein und zwar ohne Grund. Hatte ich schon gar nicht mehr auf dem Zettel, nach all den Monaten des Lächelns und der Höflichkeit.
Den Weg zurück laufe ich trotz der widrigen Umstände. Ich überrede mich, damit etwas für mein Immunsystem zu tun, doch grau ist alle Theorie.
Endlich im ALDI studiere ich lustlos das bekannte Warenangebot, beschließe, mir endlich mal wieder Rouladen zu machen. An der Kasse noch rasch ‚ne Mobilfunkaufladekarte für 30 Ocken erstehen und schwupps bin ich wieder draußen. Damit keine schlechten Depressionen aufkommen singe ich wieder mein Kinderlied und stelle mir dabei vor Rolf Zuckowski eine Gurke in den Arsch zu stecken. So schaffe ich die 500 Meter nach Haus.
Bevor ich in den Hausflur gehe, sehe ich noch „IM Figur“ in seiner Küche rumwursteln. Er hat immer noch alle Fenster seiner Wohnung geöffnet. Ich beschließe nun endgültig die Heizperiode einzuleiten.
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