Donnerstag, 1. Oktober 2009

Ein romantischer Herbsttag

Tags zuvor rief Roland an, ob ich mit ihm und Mirko, dem sächsischen Großcusinier nach Zingst an die Ostsee wolle. Sie wollen Mirkos „Kismet“ ein leicht vergrößerter Jollenkreuzer, von dort nach Barth auf der anderen Seite des Boddens segeln und ich könnte sie dann dort mit dem Auto abholen. Ich sage sofort zu, denn schon immer wollte ich mal in die Gegend, die ich nur von Schilderungen dubioser Zeitgenossen und von sehr alten Postkarten als „bildschön“ kenne.

Es ist natürlich ein ordentlicher Ritt da hinaus, aber mit Rolands neuem Elch geht es fix. In gut drei Stunden sind wir da, rauschen an Rostock vorbei, wo ich auch noch nie war, muß aber auch nicht.

Wir biegen von der Autobahn ab, Richtung Ribnitz-Dammgarten und kurz bevor wir das erreichen, wieder links aufs Fischland, welches in den Darß übergeht und schwupp, ist Zingst erreicht. Das alte, berühmte Seebad gibt sich auf den ersten Blick so, wie man sich vor 20 Jahren die blühenden Landschaften vorgestellt hatte: Alles ist neu, modernisiert, herausgeputzt, halt wie es sich für einen deutschen Erholungsort an der See vorzustellen hat, und es ist in seinem Flair mit jedem anderen deutschen Seeort austauschbar.

Bevor ich aber auf die weitere Suche nach Ostflair und FKK-Stränden gehen kann, muß ich die beiden Freunde erstmal zum örtlichen Yachtklub bringen, wo Roland einen desperaten Versuch unternimmt, mich in die Rolle des Seglers zu manövrieren, um dann höchstselbst das Automobil fahren zu können, schließlich wäre es doch recht kühl und es wären doch nur zwo Stündlein und ich wäre doch viel jünger und ähnlich weinerlicher Quatsch, den ich selbstverständlich brüsk zurückweise, schließlich bin ich eine anerkannte Memme und ich hätte mich auf ein derartiges Unterfangen nimmer eingelassen, wenn nicht vorher schon fest hätte gestanden, daß ich den Kurier mimte und so weiter und so fort rede ich, bis mir an seiner Körperhaltung klar wird, daß mit keinen weiteren Einlassungen zu rechnen ist.

Da geht er hin und fügt sich

Bis zum Boot begleite ich Mirko und Roland noch. Wir verabreden einen Treffpunkt in Barth, ich wünsche noch Mast und Schotbruch und gehe dann aber zügig zum Auto zurück; es ist wirklich ganz schön kühl.

Zuerst mache ich mich auf in die Ortschaft mit ihren ganze Tinnefläden und Magazinen mit Badeschlappen und Gummitieren und ähnlichem Zeugs. Wie ich eingangs bereits erwähnte herrscht hier eine unglaubliche Austauschbarkeit vor, auch hinsichtlich der Menschen, die hier die abgeschmackte Szenerie bevölkern: Alles Jungrentner! Damit meine ich Paare aller Altersklassen, meist kinderlos - aber nicht unbedingt, die in ihrer betulichen Art, ihrer praktisch, deutschen, marken- und qualitätsbewussten Allwetterkleidung und in ihrer verfallstrotzenden Aura den ranzigen Hauch von frohem Lebensabend verbreiten.

Die grause See

Nur einmal kurz halte ich an, flitze über’n Deich und knipse das graue Meer. Dann fahre ich Richtung Osten, nach Müggenburg, auf der Suche nach Resten von Ostzonen-Atmosphäre. Ich fahre auch noch weiter auf der einzigen Straße in das Naturschutzgebiet des hiesigen Nationalparks. Ich will auch mal sehen, wie sich die berühmten DDR-FKK-Hochburgen heutzutage ausmachen. Leider sind links und rechts des Wegs nur Urwald und Salzwiesen. Zum Ende der Halbinsel kann ich auch nicht vordringen, da der letzte Rest des Wegs bis Pramort den Radfahrern vorbehalten ist, die mit ihren praktisch, deutschen, marken- und qualitätsbewussten Alurädern mir in unglaublich baseliger Weise vor der Motorhaube rumhampeln. Ich könnte auf dem eigens dafür vorgesehenen Parkplatz anhalten, doch ist dieser absurd weit entfernt von allem Sehenswürdigen und obendrein gebührenpflichtig, wie alles hier. Ich nehme also Abstand und schemme zurück.

Links und rechts in den Büschen lauern tückische Radfahrrentner

Wie ich dann so gemütlich wieder nach Zingst fahre, entdecke ich nach einem Kreisverkehr doch noch Reste der schönen DDR-Architektur. Ein prächtiges Ensemble zum Teil aufgehübschter Platte. Und sofort kann ich mir vorstellen, wie es sommers im Arbeiter- und Bauernstaat zugegangen ist. Hier also tobte in den heißen Juli- und Augustwochen der Bär. Links und rechts der Dorfchaussee standen Broilerbuden aus Wellblech und Grilettastände. Zwischendrin cruiste eine Armada von Trabbis mit ihren splitternackten Insassen, die Radios bis zum Anschlag aufgedreht mit den neuesten Liedern von den Puhdys und Karat. So provozierte man die Staatsmacht.

Mann, hier war was los!

Zufrieden, ein wenig vom Glanz alter Tage erhascht zu haben, fahre ich über die Meininger Drehbrücke nach Barth. Ein bisserl Zeit ist noch, also beherzige ich Rolands Rat, mir das Vinetamuseum anzuschauen. Vineta war eine vorwikingische Siedlung, die irgendwo in den Wassern der Ostsee unterging. Nun streiten sich seit Jahren einige Kommunen von Flensburg bis Tallin um die Beherbergungsrechte dieser legendären Ortschaft. Barth war damals am fixesten und darf sich seitdem Vinetastadt nennen.

Das Museum ist mit Parkplatz sehr gut ausgeschildert. Man wird durch die ganz hübsche Altstadt des etwa 9000 Einwohner zählenden Orts geleitet und landet am Ende recht abgelegen auf dem angekündigten Museumsparkplatz. Allein, mir fehlt der Glaube, daß das Objekt sich wirklich hier befinden soll. Lieber frage ich mal eine ältere Dame, die mir auch sofort umfassend Auskunft gibt: „Da müssense links ums Eck, die Treppe hoch, gleich wieder links und recht und dann die lange Straße ganz nach hinten durch, dann sindse schon da. Nichts zu danken, Tschüs.“

Da links um die Ecke...

Ich danke dennoch, aber ich gehe keinen Schritt weiter. Von Gewaltmärschen war nie die Rede! Und was soll das eigentlich, den Museumsparkplatz am gegenüberliegenden Ende der Stadt zu bauen? Hat man hier gar einen Sinn fürs Absurde? Ein Blick in die Gesichter der Bewohner legt das nicht nahe; sie strahlen alle eine gediegene Humorlosigkeit aus.

Ich steige wieder in den Elch. Es erscheint mir sinnvoller, den vereinbarten Treffpunkt aufzusuchen. Das ist schwieriger, als ich zuerst dachte, und zu meiner Pein muß ich Roland am Handy anrufen und ihn nochmal nach Details fragen. Der läßt die Gelegenheit natürlich nicht ungenutzt und zeiht mich einen Dösbaddel und Tölpel, daß ich in solch einer Kleinstadt eine fimschige Werft nicht finden kann. Da ich aber während seiner Rede die Zähne klappern hören kann, verzichte ich auf Widerrede. Im nächsten Anlauf finde ich die Werft, wo die „Kismet“ auch schon bald auftaucht.

Der Inhaber entpuppt sich als norddeutscher Schnacker vor dem Herrn. Wie er da im Blaumann inmitten seiner unaufgeräumten Werkstatt steht, umgeben von alten Maschinen und Werkzeug sonder Zahl, ist er der Prototyp eines vorpommerschen Eigenbrötlers, der seine Ansichten zu allem und jedem kund tut und jede Menge Geschichten über die Boddengegend erzählt. Ein ums andere Mal fängt er eine neue Erzählung an über westdeutsche Kunden, die sich recht dusselig anstellen, über die Geschichte der Boddenfischerei in der DDR, über die Vorteile von Zeesbooten, die Probleme als Bootsverleiher und, und, und. Ließe er nicht dieses grundlos fröhliche so arg vermissen, würde ich ihn für einen Rheinänder halten.

Dann kommen wir aber doch noch los. Es ist aber später als wir dachten und so ist bereits die Dämmerstunde am hereinbrechen, als wir über zahllose kleine Dörfer fahren, bis wir die Autobahn erreichen. Das bemerkenswerte an all diesen kleinen Weilern ist, daß trotz rapide einsetzender Dunkelheit in keinem Haus ein Licht brennt. Ob sie hier alle sehr sparsam sind? Oder sie sind bereits schon alle im Keller, in ihren ganzen privat betriebenen Swingerklubs, wo sie sich reihum treffen. Wir diskutieren die Möglichkeiten ausgiebig und kommen zu dem Schluß, daß die Bewohner bereits in ihren Betten sind, da sie vermutlich auch immer noch kein Westfernsehen haben.



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