Sonntag, 22. März 2009

Wir werden alle nicht jünger

Matthias wird 50. Er gibt sein Fest im „Schurkenkeller“ im südlichen Prenzlauer Berg, was eine nicht ganz so notorisch gutverdienende Kleinfamilienmonokultur ist wie am Helmholtzplatz oder gar der Kollwitzplatz. Es ist eine schöne Feier mit viel Volks, und halb Herne gibt sich die Ehre, sogar die beinah biblisch alte Mutter des Jubilars ist angereist und noch verblüffender ist, daß sie sich namentlich an mich erinnern kann, obwohl ich sie nur zwei, drei Mal gesehen habe im Leben, das letzte Mal wohl an die zwanzig Jahre her. Potzdonnerwetter! Entweder habe ich sie schwer beeindruckt oder die gute Frau ist fern jedweder Senilität. Wahrscheinlich beides.

Im weiteren Laufe des Abends unterhalte ich mich durchaus angeregt mit den verschiedensten Leuten. Bemerkenswert erscheinen mir auch im heutigen Tageslicht zwei andere Bürgerinnen, beide aus Herne. Die eine, an deren Namen ich mich leider nicht mehr erinnere (ich bin eben nicht Matthias‘ Mutter) ist sehr heiser. Als ich mich voller Mitgefühl nach ihrer Erkältung erkundige, berichtigt sie mich fröhlich und einsilbig: „Nix heiser. Hab nur noch ein Stimmband. Kehlkopfkrebs!“ Da stehe ich nun in meinem kurzen Hemd und muß mir haarklein alle OP-Details anhören. Was ihr alles an Körperteilen fehlt und aus Plaste dazu gekommen ist erspar ich mir hier lieber. Dabei bin ich auf der einen Seite ehrlich erfreut, daß sie das alles überlebt hat und offensichtlich wieder quietschvergnügt ist; andererseits bin ich als Hypochonder emotional leicht überfordert. Letzten Endes bin ich froh, als sie mich von meinen Zuhörerpflichten entband und wieder tanzen geht.

Der ABV beim Verhaften der wilden 50

Eine Cola später, ich habe mich gerade erholt, sprach ich mit Bine, auch aus Herne, auf die ich aber weder Eindruck gemacht hatte oder die vielleicht auch schon auf dem Weg zu einem typischen Altersdefekt ist, wahrscheinlich Starrsinn. Jedenfalls untersagte sie mir, mit meinem Lebensentwurf zufrieden oder gar glücklich zu sein. Ohne Familie, daß wäre doch nix, das ginge gar nicht, ohne Kinder, ohne die engen Bande der Zuneigung und Liebe. Meiner Entgegnung, mir ginge es aber echt ganz gut damit, wird mit einem knappen, energischen ‚nein‘ übers Maul gefahren. Auch mein Argument, daß ich enge Bande eher erstickend fände, erfährt keine Gnade.

„Dann hast Du eben noch nicht die Richtige gefunden. Dann macht es nämlich ‚Pling‘ und dann machse allet für die. Dann isset nämlich um Dich geschehen.“ Derartig mit Bildern von meinem eigentlichen Paradies bedacht, fällt mir nicht mehr viel ein. Ich denke nur noch, daß Selbstgenügsamkeit doch eine schöne Sache ist - und ich schwöre, daß ich es nur gedacht habe – da bekam ich noch eins obendrauf: „Und glaub bloß nicht, datte dir selbst genug bist. Dat is nämlich der grösste Irrtum!“

Ich behalte weitere Argumentation für mich. Ein Mann muß auch merken, wenn er nichts mehr ausrichten kann. Lieber ordere ich mir noch ein alkoholfreies Bier und lenke das Gespräch auf den rasch aufgeworfenen Nebenschauplatz ‚Sich selbst neu erfinden‘. Auch hier muß ich einstecken, schließlich müsse man sich nicht neu erfinden, wenn man die Richtige…usw. Am Ende finde ich Bines Naivität, ständig von der ‚Richtigen‘ zu faseln genauso borniert wie erfrischend. Und die Erfahrung, mal wieder mit typischer Ruhrgebietsattitüde konfrontiert zu werden, möchte ich um nichts in der Welt missen.

Die böse Zahl und ihr unschuldiges Opfer

Um 2 Uhr lassen meine Kräfte rapide nach. Ohne die Befeuerung mit Alkohol ist so eine Party doch was anderes. Kastriertes Bier kreiert Müdigkeit, gegen die Coca-Cola auch nicht hilft, Kaffee gibt’s leider nicht. Also verabschiede ich mich so gegen Zwo, noch vor Karaoke, was ich noch nie gemacht habe und mich schon mal juckt.

Dafür verläßt die schöne Ulrike mit mir gemeinsam das Lokal, und ich kann ihr wegen meiner Nüchternheit und meinem Auto anbieten, sie nach Haus zu fahren. Keine leichte Aufgabe dennoch nicht, da sie nicht will, daß ich ihretwegen Umwege fahre. Erst als ich mehrmals beteuere, daß ich das im Leben nicht täte, ist sie bereit einzusteigen, und ich halte mich streng an ihre Wegvorgaben. Am Ende ist es eine ganz nette Fahrt, nur vergesse ich, eine Kaffeeinladung für einen anderen Tag auszusprechen. Bestimmt habe ich noch Bines Auslassungen im Kopf oder ich habe nicht die Gehirnleistung von Matthias‘ Mutter. Wahrscheinlich beides. Oder ich habe einen Hirntumor. Ach, was weiß ich. Nächstes Mal wird alles besser.

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