Montag, 1. Juni 2009

Kann auch, geht alle

Seit einigen Jahren gibt es in unserer schönen Stadt ein alljährlich zu Pfingsten wiederkehrendes Ritual. Es heißt „Karneval der Kulturen“ und soll in Form eines Straßenumzugs, wenn ich korrekt informiert bin, der Xenophobie fantasievoll entgegentreten und der völkerverständigenden Toleranz Vorschub leisten, sowie immer aufs Neue demonstrieren, daß Multikulti eine tolle Sache ist und dennoch funktioniert. Anders als Sozialismus.

Seit ich vor etwas mehr als einem Jahr hierher zog, habe ich hier und da von den unterschiedlichsten Leuten über diese Veranstaltung gehört. Da gibt es diejenigen, die Augen rollend abwinken, andere, in deren Gesichtern und Worten ich echten Ekel erkennen konnte und sogar einige, wenn auch wenige, die umgehend weitschweifigen Hasstiraden Auslauf geben, werden sie nur auf das Ereignis angesprochen. Mitunter war sogar von stark behaarten Damen die Rede, die sich mit Birkenstöckern an den Füßen aufführten wie brasilianische Transen.

Doch es gab auch mildere Stimmen, die den ganzen Umzug als buntes Schauspiel feiern und darin ein ordentlich gelungenes Festival mannigfaltiger menschlicher Kreativität sehen. Hmm. Sicher finden die auch ‚Roncalli‘ ganz dufte und mögen die Filme von Wim Wenders.

Derart mit Skepsis gesegnet und obendrein wegen einiger Unpässlichkeiten im Verdauungsbereich gehörig gnatterig, versichere ich mich noch auf rasch der Begleitung von Dietrich, einer der großen Misanthropen unserer Zeit.

Das ist nicht Dietrich, sondern eine besonders mitfühlende 4-Sterne-Hackfresse

Mit dem Rad ist es nicht weit und Dank meiner hervorragenden Ortskenntnis finden wir schnell zur Gneisenaustraße, eine 4-spurige Schneise durch Kreuzberg mit parkähnlichem Mittelstreifen. Es ist ordentlich was los dort. Offizielle sprechen von 1,5 Millionen Besuchern aus dem ganzen Bundesgebiet. Das sind erstmal beeindruckende Zahlen. Die möchte ich nicht in Zweifel ziehen, denn auf der ‚Gneise‘ ist es wirklich voll.

Aus der Ferne ertönt Trommelgeräusch und Krakeel, dem wir entgegengehen. Es ist der Anfang des Zuges, der sich langsam durch eine Menge von Schaulustigen wälzen muß. Wir beschießen doch wieder in Marschrichtung zurück zu gehen, wo noch etliche Lücken am Straßenrand sind und dort geduldig und in besserer Position das Ereignis abzuwarten, ein taktischer Schachzug, der sich lohnt. Nach etwa einer halben Stunde, die die erste Gruppe für die 150 Meter bis zu uns braucht, können wir erkennen, was den ganzen Radau veranstaltet. Es ist eine größere Anzahl von gelb-weiß gekleideten Menschen, die Dietrich zuerst für eine Volkstanzgruppe aus dem Vatikan hält. Doch die mit Trommeln vorgetragenen Rhythmen und die beleibten, singenden schwarzen Damen auf dem LKW deuten unzweifelhaft auf des Deutschen Lieblingsexoten hin: Brasilianer.

Brasilien war schon immer ein bliebtes Auswanderungsziel für uns Deutsche.

Wenn man genauer hinguckt kann man aber sehen, daß dieser Karnevalsverein ein wenig schummelt. Etliche, der nett gekleideten Tänzer und Tänzerinnen sind hellblond, deutlich über sechzig und haben die Physiognomien teutonischer Hausfrauen. Was sie nicht hindert verzückt südamerikanisch zu tun. Birkenstocks sehe ich zwar keine, aber ein Paar TEVA-Sandalen schon. Ohne Socken immerhin.

Hernach zieht ein Trupp Pinguine vorbei. Es bleibt unklar, welchem Kulturkreis sie angehören. Auch sie trommeln.

Danach weiß beschmierte Leute, ebenfalls keiner eindeutigen Herkunft zuzuordnen, aber auch trommelnd.

Die Bäckerinnung

Dann endlich ein Lichtblick: Es ist ein kleines Grüpplein Schweizer, und sie trommeln nicht einmal. Sie schleppen große Alphörner mit sich, die sie ab und zu absetzen, um darauf erhebend zu blasen. Sie scheinen mir auch die authentischsten zu sein. Welcher Deutsche möchte auch schon zu so einer unexotischen Volksgruppe gehören?

Für nationale Identitätsverschiebung zeichnet erst wieder der nächste Tross verantwortlich. Es sind, man ahnt es schon, vorwiegend sehr hellhäutige brasilianische Studienräte und Studentinnen mit Trommeln, gefolgt von lustigen Clowns mit Trommeln.

Hier fehlt der Bezug zum Migrationshintergrund leider völlig

Die „Töchter der Wüste“ bieten dann mal ein wenig Abwechslung, doch wohltuend ist hier nur die Abwesenheit von Trommeln. Sie Damen stellen Bauchtänzerinnen dar, ein Beruf, der heutzutage wohl nur noch von deutschen Hausfrauen ausgeübt wird, deren Hemmschwelle, was das Herzeigen von Wellfleisch angeht, bodenlos ist. Daß diese Frauen hier mal Töchter waren ist schon ´ne Weile her.

Fatima Racherbäumer mit einer gewagten Volte

Danach sehe ich schon wieder etwas Grün-gelbes kommen, womöglich mit Trommeln. Als ich noch dahinter einen großen Wagen mit der Aufschrift „Deutsch-Kamerunischer-Kulturverein“ erblicke, vermutlich mit Trommeln, erzähle ich Dietrich davon mit der Absicht, ihn zu gehen zu überreden. Dazu gehört nicht viel, blicke ich doch in das Gesicht eines völlig desillusionierten Kulturpessimisten. Wir bahnen uns den Weg zu den Rädern, fahren von dannen, sind erleichtert. Und dann, nur drei Straßen weiter, fällt mir ein, was ich u.a. an dieser Stadt so liebe: Sie ist so groß, daß von keiner Veranstaltung nichts mitbekommen muß, wenn man nicht will. Nur drei Straßen weiter, und der ganze Spuk ist reine Parallelwelt. Und um mich herum ist immer noch Urbanität.

1 Kommentar:

Kubelik hat gesagt…

Ja, Herr Kröger Kisch, härrlische Humor, treffende Bildlegenden, den weisen Finger der Sozialsatire in die eiternden Wunden des Moobs jedrückt und noch ein gelungenes Resümee nebst versöhnender Erkenntniss bar jeglicher Kohlenpottneurose aufs Papier gehauen.
Weiter so!
Ergebenst, M.