Nun bin ich aber froh, daß ich noch lebe, uff und üffer! Da will ich einem Kumpel einen Gefallen tun, noch dazu einen bezahlten und sage ihm zu seinen alten Catering-LKW, bestehend aus Zugmaschine und Küchenanhänger bis hinter Kassel zu fahren, im Unklaren darüber, daß die Karre 1,5 Jahre gestanden hat und amtlich verrostet und sonstwie fertig ist. Nur fahren kann sie wohl noch und da ich die Piepen gern habe, sowie denke, daß werde schon gut gehen, fahre ich los, wenn auch sowieso zu spät am Tage, da ja hier und da noch was gefummelt werden muß.
Ab Tanke Michendorf nehme ich erstmal die Abfahrt nach Leipzig, merke es aber nicht, selbst die Autobahnabfahrten heißen hier anders als auf der gewohnten A2, aber egal. Wegen des Zustands des Fzgs. fahre ich nicht allzu fix, dennoch platzt mir 30 km vor Dessau ein Hängerreifen. Mit Ach und Krach kriege ich den Metallhaufen zum stehen. Ich rufe den ADAC an, merke endlich, daß ich auf der falschen Autobahn bin und füge mich in mein Warteschicksal, sage schon mal alle Termine für den Folgetag ab und lasse mich zwischendrin von einem grenzdebilen anhaltinischen Autobahnbullen über meine Pflichten belehren. Als nach 1 ½ Stunden noch nix passiert, rufe ich die Hotline-Uschis noch mal an und muß mir anhören, daß sie meine Telefonnummer versust haben und deswegen nix machen konnten (was meine Nummer damit zu tun hat?), aber in der nächsten halben Stunde käme einer vom Truck-Service.
Die ganze Pracht
Nach einer weiteren Stunde kam der wirklich. Ohne Ersatzrad. Das mitgeführte ist nämlich rissig wie Osteoporose, weswegen ich ein neues empfahl. Gut, montiert er eben das olle (noch ´ne Stunde), überbrücken auch noch, da die Batterie plötzlich scheitert und fährt dann mit mir bis Dessau zum Reifendienst, ein neues kaufen (noch ´ne Stunde). Das montieren dauert noch ´ne Stunde, dann darf ich endlich weiter, fahre nur noch 70, biege bei Jena auf die A4 und darf mit der schwachbrüstigen Zug-Mamsell erfahren, was Steigungen sind. Und Baustellen. Und Kombination von allem. Mit Steigungen meine ich, daß jedes Prozent zu dem Geschwindigkeitsverlust von etwa 9 km/h führt.
Ein Stück der Pracht
Was hinauf teilweise zu Vmax 40, 30, 20 führt und bei im Nacken sitzenden 40-Tonnern zur Ausbildung großen Selbstbewusstseins führen kann, ist bergab nur peinlich, da der Hänger zum selbstständigen Überholen neigt und mit Bremsmanövern im Zaum gehalten werden will. Mehr als Tempo 60 traue ich mich nicht. Ich stelle mir ansatzweise vor, mir platzt wieder ein Reifen, und ich muß einfach auf der echten Fahrspur stehen bleiben, weil es keinen Standstreifen gibt. Außerdem habe ich bei einem kurzen Kontrollhalt bemerkt, daß sämtliche elektrischen Lichter ausgefallen sind und noch nicht mal Warnblinker geht. Oh Gott, wir werden alle umkommen!
Nein, entscheide ich! Lieber fahre ich kurz vor Weimar raus, nehme ein Hotel und trinke Bier. Weiterfahren tue ich morgen. Der Empfänger der Karre ist eh bereits informiert. Mein Mantra lautet seit einiger Zeit sowieso „Morgen wird alles besser.“ Nur wie?
Am folgenden Tag starte ich früh, die Batterie ist wunderbarerweise voll da, doch ich verspüre so etwas wie Lebensmüdigkeit. Ich stelle mir vor, daß die doppelte Intensität solchen Sentiments einen Menschen zum Suizid treiben könnte, fahre aber tapfer los. Es ist die übliche Litanei aus Steigungen und Baustellen, ich füge mich in das Unabwendbare, meine Unlust steigert sich in Schwermut. Bis die Sache mit der Brücke passiert. Also, passiert ist eigentlich nicht so viel und dann eher innerlich. Wie ich nämlich so über eine Kuppe gekrochen komme und mit Bremse und niederen Gängen hantiere, damit die ganze Schose sicher den Berg wieder herunterkommt, sehe ich vor mir eine dieser sehr, sehr hohen Autobahntalbrücken. Nicht genug, fängt direkt davor eine Baustelle an, die die rechte Spur in einem Schlenker auf die rechte Brückenseite führt, die linke Spur auf die linke Seite. Mit dem Rechtsschlenker geht es noch, als zusätzlich Schikane über eine zwar geglättete, aber stattlich Kante.
Sofort war sämtliche Lebensmüdigkeit vorbei. Adrenalin schießt hektoliterweise durch alle Zellen. Wenn jetzt die Bremsen versagen, ein Reifen aufgibt und ach, die Lenkung knackst auch manchmal so verdächtig, ojemine, dann kann ich entweder in den Gegenverkehr braten oder es reißt mich zu weit nach steuerbord durch das streichholzartige Brückengeländer in eine Tiefe von ca. 200 Metern und ich bin tot, tot, tot, tot. Zerschellt. Rote Stampfkartoffel.
Diese Vorstellung treibt mich zu äußerster Konzentration, ich schwitze Blut und Wasser, nehme auf der Stelle 200 Gramm ab, kümmere mich um nichts als das vorliegende Hindernis und schaffe es wimmernd, mit rappelnder Lenkung hindurch, schwöre mir 100 mal ‚Nie wieder‘ und will nur noch leben, leben, leben!
Irgendwann mittags und dutzende Male Steigung-Brücke-Baustelle später komme ich in Korbach/Nordhessen an.
Korbach in Mittagstaumel
Der neue Besitzer erwartet mich freundlich, scheint mir die Strapazen aber anzusehen, denn er witzelt, daß er den Haufen Schrott nicht mehr haben will, und ich ihn doch wieder mitnehmen solle. Eher stecke ich die Karre an, auf seinem Hof, entgegne ich, und das sitzt. Nach kurzen Nachverhandlungen mit Mirko, dem Verkäufer, drückt er mir mehrere tausend €uros in die Hand und läßt mich nach Kaffee und Kuchen von seinem Sohn zum Korbacher Bahnhof bringen, wo ich eine Regionalbahn nach Kassel besteige. Die Fahrt geht 90 Minuten durchs beschauliche Hessenland, dem mitteldeutschen Einfamilienhaus-Eldorado. Insofern kaum eine Hochgeschwindigkeitsstrecke und kein Fortschritt zur fahrenden Schrömmelküche.
Nordhessiches Idyll entlang der Strecke der Kurhessenbahn
Der ICE-Train von KS-Wilhelmshöhe ist schon flotter, aber auch keine Rose ohne Dorn: Kurz vor Braunschweig hängt ein Kinderdrache in der Oberleitung – Low-Tech beats High-Tech – und ein munteres rangieren durch das südliche Niedersachsen nimmt seinen Lauf: Zurück nach Lehrte, warten auf ein anderes, freies Gleis, noch mehr warten, dann heut mal Wolfsburg statt Braunschweig und dann endlich, endlich wieder in Berlin. Im Ostbahnhof busserl ich den Bahnsteig ab wie ein Papst.
Den Ostersamstag dann muß ich mich natürlich erholen. Mit Henning, dem treusten innerstädtischen Reisebegleiter, fahre ich nach Potsdam zum Viertligaspiel des Babelsberg 03 gegen FC Karl-Marx-Stadt. Sofort nach Ankunft sind wir uns einig, daß das unser Lieblingsklub wäre, wenn es nicht so verdammt weit raus wäre. Ansonsten ist alles da, was der gebildete Fan so braucht: Schön gelegenes Stadion zwischen Park und gediegener Wohngegend, mit dem schmucken Namen eines Sozialisten (Karl Liebknecht), skurrile Details wie die klappbaren Flutlichtmasten, ein St. Pauli kompatibles Publikum, hübsche Frauen, überdurchschnittliche Bier-, Nahrungs- und Fanartikelversorgung und die Fangespräche untereinander sind in unserem Stehplatzumfeld aller Ehren wert („Also ich hab da so’n Problem mit meinem Pool…“)
Der dahinter liegende Babalsberger Schloßpark ist Weltkulturerbe, und deshalb dürfen die Masten nur zu Flutlichtspielen zu sehen sein.
Aber vielleicht ist mir das auch zu viel des Guten oder alles viel zu Déjà-vu, und es ist ja auch echt ganz schön JotWeDe. Aber als Abwechslung ganz dufte. Ach ja, 3:1 gewonnen haben die 03er auch noch, was die sächsische Glatzenhorde natürlich zu Pöbeleien reizt. Ganz normal also. So und jetzt feier ich Ostern und in 3 Tagen melde ich mich dann aus der neuen Welt. Kinners, wat’n Lehm!
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