Donnerstag, 26. Februar 2009

Woody Allen und ich

Es ist ein besonderer Tag. Ich habe eine Untersuchung beim Lungenarzt. Wie sich das für einen richtigen Kerl gehört, bin ich natürlich Hypochonder, soll heißen: Die Momente von akuter Atemnot, die ich in den letzten zwei Jahren hier und da hatte, mit panischer Angst vorm Ersticken, sollen nun vom Fachmann als heimtückisches Karzinom entlarvt werden oder wenigstens soll er ein seltene, unerforschte Krankheit an mir entdecken. Dann könnte ich meine sowieso schon obsessive Beschäftigung mit meiner eigenen Endlichkeit bis zu dem Punkte steigern, sie sozusagen öffentlich machen, bis mir jemand genervt sagt: „Dann verreck halt.“

So beginne ich den Tag generalstabsmäßig um sechs Uhr mit Tee und Buch im Bett. In Sven Michaelsens „Starschnitte“ erfahre ich von Woody Allen, daß er mindestens genauso bekloppt über seine Todesangst referiert wie ich. Das befreit. Später bade ich mich und frühstücke, dann übergebe ich Hermann eine CD von Fotos seiner Bilder, schreite zum Brillenladen am Lausitzer Platz, wo ich rechts noch ein neues Glas bekomme. Es soll ja alles seine Ordnung haben. Ich fühle mich gemäßigt feierlich bei al dem.

Halb weltlich erinnere ich mich, daß Brot daheim knapp ist und gehe zu „Steinekes Heidebrot Backstube“, wo mein Lieblingsbrot glatte 40 Cent mehr kostet, als drüben bei Schnipps Filiale der gleichen Firma. Auf meine Frage, ob sie teurer geworden wären, ernte ich nur Staunen. Als ich erkläre, daß ich sonst immer auf der anderen Spreeseite weniger bezahlt hätte, bekomme ich zur Antwort, daß die eben Ostpreise hätten. Ich bin sowas von platt! 19 Jahre nach der Wende gibt es im Backwarenbereich immer noch diese Unterscheidung. Völlig verdattert verlasse ich unter dem stoischen Blick der Verkäuferin den Laden. Da ich noch eine halbe Stunde habe, bis mein neues Brillenglas eingefertigt ist, trinke ich noch einen Kaffee im Eiscafé am Lausitzer Platz. Die machen ganz leckeres Bio-Eis und Bio-Kuchen, und ich hoffe wieder in meinen klerikalen Stoizismus zurückzufinden, den ich für meine Untersuchung brauche.

Wird leider nix. Leider wird mir der übelste Cappuccino meines Lebens serviert. Von einer halbschwulen, frohgemuten Ökotranse. Die Miege hat viel zu viel Milch, der Kaffee ist bestimmt so’n fair gehandeltes Zeug, wo sich Import-/Exporthippies über’n Tisch haben ziehen lassen. Die Maschine war lange nicht gereinigt und auf dem Kaffee schwamm milchiger, grober Schaum, so wie von Spüli. Wenn ich schon sterben muß, dann bitte nicht von schlechtem Kaffee. Also lasse ich die Tasse eine halbe Stunde nahezu unberührt stehen, trinke nur das Glas Leitungswasser und bezahle brav 1,90 €. Die Tucke ist weiterhin gut gelaunt.

Im Brillenladen ist alles fertig, doch zufrieden bin noch nicht. Es ist, als tät jedes Auge allein für sich schauen. Aber ich habe jetzt keine Zeit. „Mal sehen“, sage ich, „eventuell muß ich mich noch gewöhnen.“ Auf den paar Metern bis zum Bus erreiche ich wieder meine Ausgangsstimmung des Todgeweihten, ist mir aber mittlerweile auch schon egal.

Beim Doktor dann eine lange Schlange. Als ich dran komme, will man mich nach Haus schicken; es wären heute nur Notfälle. Ich bleibe beharrlich, sage, daß man mich extra heute bestellt habe, hüstele ein wenig und gucke unnachgiebig. Das wirkt. Dafür muß ich im Warteflur sitzen, erst eine, dann nochmal zwei Stunden, um mich herum lauter hustende und röchelnde Leute, einige sind aber auch schon ganz schön still. Im Angesicht dieses Verfalls schüttele ich meinen Fatalismus ab und befürchte, mich mit allerlei Pneumokokken anzustecken.

Um meine aufkommende Hysterie zu überwinden lese ich ein Sachbuch über Argentinien, bis ich für die ersten Routineuntersuchungen entführt werde: Blutdruck messen, Sauerstoffgehalt bestimmen, Lungenfunktionstest. Alles wird mit viel Sorgfalt und Charme von „Anne 2“ durchgeführt einer jungen und hübschen Azubine im Assistentenwesen. Und ich frage mich, ob ich bereits in dem Alter bin, wo ich in eine medizinische Praxis muß, damit ich noch von einer hübschen jungen Frau angelächelt werde. Soweit ist es schon gekommen.

Ich muß noch einmal zwischen all den Pestkranken sitzen und auf die Audienz der Doktorin warten. Die sagt mir dann, daß bis hierher alles ganz in Ordnung wäre, unterhält sich etwas mit mir, fragt dies und das, verschreibt mir ein bekanntes und wirksames Medikament und am Ende werde ich gebeten noch einen Termin für einen Allergietest und die Aushändigung eines Schnarchaufzeichnungsapparates zu machen. Bis dahin werde ich im Unklaren gelassen, woran ich nun so finster erkrankt bin. Mir ist es aber auch schon egal. Wie ich mich kenne, ist wieder alles halb so wild. Dennoch verfluche ich mich, daß ich ausgerechnet heute mit meinen Antisuffwochen angefangen habe. Von Selbstzweifeln geschüttelt, geißele ich meine Idee, bis Ostern keinen Alkohol zu trinken. Gerade jetzt könnte ich einen gebrauchen.

Wieder zu Hause suche ich bei Wikipedia nach einem passenden Leiden. Apnoe scheint ok. Nichts unbedingt lebensbedrohliches, aber lästig genug, daß ich weiter über das Altern zetern kann.

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