Jetzt wohne ich schon mehr als ein halbes Jahr in Berlin, fühle mich pudelwohl und mag die Stadt und die Leute. Neulich noch habe ich mit jemandem über Köln unterhalten, wohl auch wegen der zeitlichen Nähe zur fünften Jahreszeit. Dabei machte es mir keine Mühe, meine Wahlheimat eindeutig klasser zu finden. Und dann dies:
Die Hauptstadt feiert Karneval! Was soll das? Vor allem wie soll es? Ich habe hier noch nie jemanden schunkeln sehen. Das ist doch eine, dem Urpreußen völlig unnatürliche Bewegung. Widerstrebt u.a. auch seinem protestantischen Ordnungsbedürfnis, denn Narretei ist Anarchie und hier hat Stechschritt zu herrschen! Da kann doch nur peinlicher Blödsinn bei rum kommen.
Leider bekomme ich viel zu spät mit, wo und wann sich der Zug bewegt. Rein durch Zufall lese ich in der Tagespresse, daß es jetzt gerade an der Gedächtniskirche passiert und im lokalen Fernsehfunk übertragen wird. Wie ein Angestochener haste ich vor den Schirm und traue meinen Augen nicht. Auf den ersten Blick sieht alles wie ein ganz normaler Jeckenzug in einer rheinischen Großstadt aus, doch peu á peu enthüllt sich ein unterirdisches Grauen, welches seinesgleichen in unserer schönen Republik vergeblich suchen wird.
Verkleidet sind erstmal nur Kinder. Sogar die auf den Wagen befindlichen Subjekte wagen sich in Zivil auf die Gefährte. Was sie nicht hindert, 60 Tonnen Kamellen auf die Umstehende zu werfen. Auch werden die Beworfenen von eifrigen Nachhilfenarren aufgeklärt, daß man den Süßkram nicht mit umgedrehten Regenschirmen auffangen darf. Das würde ein Teilnahmeverbot im nächsten Jahr nach sich ziehen. Die Angesprochenen sind ehrlich bedrückt.
Im Vorfeld wurde übrigens kurz erwähnt, daß der Maximalgeräuschpegel von 85 dB nicht überschritten werden darf. Daran hält man sich natürlich. Die Wagen sind wenig bis überhaupt nicht gestaltet, im Höchstfalle bunt mit Sponsorennamen. Die Musik tut sich auch nichts. Es ist eine sublime Mischung aus Schlagerrally, Ballermann und Musikantenstadl. Echte Stimmung tritt nicht auf. Das zeigt allein schon die ständig gestellte Frage, wie denn diese so sei. Zwar beschwören alle Anwesenden den Katholizismus der rheinischen Beutepreußen, aber: Liebelein, so wird dat nix! Die netten, fröhlichen Lieder müssen eben mit dem originären Singsang präsentiert und nicht im Kasernenhofton gebrüllt werden.
Mit Mikrofonen bewehrte RBB-Moderatoren erzählen schale Witze. Zwo hastig zum Interview herbeigeschaffte kölsche Mädels bedauern auch gleich ordentlich ihre Abwesenheit von ihrer Heimat und sind auch einem Komplimente fischenden Reporter gegenüber nicht bereit etwas charmanteres zu sagen, als daß man hier spät kommend immerhin noch einen Platz in der ersten Reihe findet. Dafür werden sie auch rasch wieder ausgeblendet. Stattdessen finden die fleißigen Sendeleute ein buntes Frollein, die um 13 Uhr bereits ihr zweites Kölsch (wie ausgelassen!) trinkt und trefflich mit 1 Million Zuschauern prahlt. Dabei kann es sich nur um völlig unwissende und unbeleckte Protestanten handeln.
Ich könnte noch Stunden so weiter schwadronieren, ich könnte sogar dort hin fahren, um dem Vorwurf zu entgehen, ich wäre ja gar nicht richtig dabei gewesen. Allein, ich finde es nicht nötig für so eine bemühte und durch und durch trübtranige Veranstaltung meinen Zuckerarsch in dieses Sauwetter zu begeben, um mir eine Haufen komplexbeladene Hauptstädter anzuschauen, die es augenscheinlich nicht vertragen können, irgendeine wichtige Weltveranstaltung nicht zu haben, einmal nicht der Mittelpunkt zu sein. Ich bin allein beim Anschauen am heimischen TV-Gerät ähnlich in Rage wie beim Thema des Schloßneubaus.
Obwohl ich kein ausgewiesener Fachmann für professionellen Frohsinn bin, schreie ich meinen Schmerz über soviel Mittelmäßigkeit laut hinaus. Mir ist unfassbar, wieso man sowas hier nicht einfach läßt. Es fehlt wirklich jede Originalität. Wie kann man sich eigentlich nicht zu blöd sein, die elende Kopie einer regionalen Kulturleistung zu präsentieren. In Brasilien herrscht ja auch keine preußische Ordnung. Wo käme man da auch hin?!
Wie gut, daß diese Stadt groß genug ist, daß man von diesem unwürdigen Spektakel nichts mitbekommen muß. Ich mache jetzt die Glotze aus und genieße augenblicklich den Schluß dieses Blödsinns. Dennoch forder ich unseren regierenden Bürgermeister unmissverständlich auf, diesem schändlichen Treiben ein für alle Male ein gewaltsames Ende zu setzen. Herr Wowereit! Handeln Sie!
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