Mittwoch, 4. März 2009

Polyphone Menage

Der Spätwinter ist ein grauser Geselle. Mit heiterer Mildnis packt er zwostellige Temperaturen aus und will dich damit nach draußen locken, um dir dann in dem Moment, wo du den weitest entfernten Punkt von deinem Heim erreicht hast, stechend kalten Eisregen in die Fresse zu klatschen als gäb’s kein Morgen.

Ich sehe wohl, von der hellen Warte meiner Bat-Höhle solche Fährnis, aber sie schreckt mich nicht. Schließlich bin ich so’ne Art Held. Und der Held hat beschlossen, heut zur Gemäldegalerie zu fahren, ein paar alte Schinken begucken. Mit der S-Bahn ratter ich zum Potsdamer Platz. Das ist ein Ort, der mir immer wieder Rätsel aufgibt. Ständig ist er mit Touristen bevölkert, und das scheint mir auf den ersten Blick die einzige Gruppe von Menschen zu sein, die es hier überhaupt gibt. Vermutlich hoffen sie, die ständig beschworene Geschäftigkeit dieses Platzes zu finden, die man hier nach Jahrzehnten der stillen Brache wieder erleben soll; doch ist alles, was sie hier finden, sie selbst, mehrere Häuflein von Leuten mit Rucksack, Stadtplan und Bequemschuhen, die ratlos beeindruckt in die Gegend schauen.

Ich lasse sie mal machen, denn ich habe ja Kultur im Sinn, und es sind noch immerhin zehn Minuten zu gehen. Kaum habe ich die erste Straße überquert, bin ich an der Philharmonie. Ein Schaukasten mit Plakaten lenkt meinen Blick und dann auch meinen Geist auf das Musikinstrumentenmuseum ums Eck. Eigentlich bin ich ja unmusikalisch, und ich kenne so Sammlungen schon von hier und da. Ich stelle mir aber vor, daß ein solches Schauhaus in der Hauptstadt von Dichter-, Denker- und Komponistenland ganz sicher ein Gran mehr zu bieten hat als einige wurmzerfressene Spinette. Ich werde nicht enttäuscht. Daß Berlin, die generöse Schlumpe, mir freien Eintritt gewährt, erleichtert mir den Zugang.

Einmal an dem skeptischen Kassenschrapnell vorbei (ja, auch die notorisch freundlichen Berliner packen dieser Tage nochmal ihre alte Ost-West-Hackfressen aus), beginne ich an der vorgesehenen Stelle meinen Rundgang. Ich bin der einzige Besucher des Museums. Lediglich im offenen Bistrobereich, eine Etage tiefer, bemühen sich einige Angestelltenwürste um ein wenig Lautmalerei. Wesentlich eindrucksvoller ist der aus den klappernden Töpfen aufsteigende, penetrante Geruch nach Sauerkohl, der sogar über beide Stockwerke des Gebäudes wahrzunehmen ist.


In der Mitte des Erdgeschosses sind allerlei Tasteninstrumente großzügig drapiert, doch das Drumherum zeigt mehr an schrägem Gedöns als es Märchen aus 1001 Nacht tun. Da sieht man den Krummen Zink neben dem Stillen, es gibt die verschiedensten Rankette, hübsch auch Serpent, Pommer und Dulzian, von den ganzen Rauschpfeifen nicht zu sprechen. Und das sind erst mal die ollen Blasinstrumente. Weiter geht’s mit Trumscheit, Bassetthorn und der monströsen Orgelleier, über zu einem Haufen unterschiedlichster Geigen, Celli, Bratschen und all das ganze Zeugs, bis ich vor einer Wurlitzer-Konzertorgel stehe, die gut und gern ihre 500 m³ hat und alle möglichen Pfeifen, Trommeln, Saiten, Hämmer, Tuten und was weiß ich noch hat.

In Richtung moderneren Krams, bewundere ich das Helikon und gleich daneben einen Kaiserbass, beides mächtige Messingtröten. Mit dabei auch Sarusophon, Batyphon, Ophikleide, Serpent-Forveille und zum Ende hin der Hirschkäfer unter den Instrumenten: das Sousaphon, welches ich noch aus meinen Untermieterzeiten bei Achim Fink kenne, der es nicht nur hatte, sondern obendrein zu blasen verstand.

Bevor ich zu der letzten Abteilung komme, erhalte ich noch einen kurzen Abriss über den Aufbau von Flügel und Klavier, mit dem ich mich aber nicht lang fackele. Ich sehe nämlich schon einen antiken Synthesizer mit jeder Menge Knöpfen und gegenüber dessen legitimen Vorläufer, das Trautonium, eine deutsche Erfindung, wie ich sofort und voller Stolz sehe. Ein derartig verschrobenes und technisches Gebilde zum Hervorbringen von komischen Tönen kann nur aus einem Land grummelnder Autisten kommen. Immerhin hat es unter der kundigen Hand von Oskar Sala die Filmmusik und Geräusche zu Hitchcocks „Vögel“ geliefert.

Kurz vor dem Ausgang feiere ich noch ein Detail an einer Farfisa, dem modernsten hier ausgestellten Musikalium. Auf dem weiteren Weg nach draußen fällt mir noch die Ankündigung zu einem Glasharmonikakonzert im Mai auf, dem ich jedoch nicht viel Beachtung schenke. Lieber spute ich meinen Schritt zum Gropius-Bau, wo ich noch die Robert-Lebeck-Ausstellung sehen will. Dummerweise hat dieses Museum nicht montags geschlossen, wie es in der alten Welt durchaus üblich ist, sondern heute. Ich vermute mal konspirative Kräfte vom südamerikanischen Plataflusse am Werk. Macht nix. Gehe ich halt wieder zum Potsdamer Platz, wo sich zur Mittagszeit rudelweise schwarz und teuer gekleidete Bürostuten und –hengste unter die Touristen mengen. Klar, daß hier kein brodelndes Großstadtleben herrscht. Wo soll das auch herkommen, wenn hier nur noch Büros und Tinnefläden ihren mammonschen Charme verbreiten. Vor 80 Jahren, als der Platz seinen Ruf erhielt, gab es hier Amüsierbetriebe, Tanzlokale, Hotels, Bars und die erste Ampel Europas. Das ging eben anders zur Sache.

Mein Denkerhaupt weise schüttelnd fahre ich mit der U-Bahn nach Haus, wo mich Schwere überfällt, die ich in tiefen Mittagsschlaf überführe.

Keine Kommentare: