Henning meldet sich aus BA zurück und animiert mich bereits vor der fälligen Berichterstattung zum Fußball. Er muß sich gleich nach der Landung des Flugzeugs um die hiesige Regionalliga gekümmert haben und weiß von einem Spiel Türkiyemspor gegen Chemie Halle. Selbstverständlich sage ich sofort zu, regt ein Nachmittag an frischer Luft doch die Illusion eines nahenden Frühlings stark an. Matthias, den ich per Telex informiere, ist auch spontan und voller Tatendrang dabei.
Gegen 13 Uhr nähern wir uns dem alten Ost-Berliner Jahn-Sportpark, was mir doch die Frage aufwirft, wieso ein renommierter Kreuzberger Klub in dieser großen Schüssel zu treiben hat. Henning sagt, sie dürften in ihrer angestammten Stätte nicht spielen. Ja gut, ich frach mal…aber warum? Keiner weiß. Auch die von mir investigativ befragten türkischen Mitbürger geben vor, nicht zu wissen, wovon ich überhaupt spreche. Einem Befragten gar, der mich bei meiner Einleitung noch freundlich anlächelt, dreht sich sofort zur Seite und geht weg, als er die ganze Frage hört. Nachdem ich noch weitere Personen befragt habe gebe ich auf und hole mir erstmal ´ne Bratwurst und diskutiere mit Henning den für einen Viertligaklub stolzen Eintrittspreis von sechs €. Ermäßigt!
Auf 584 Zuschauer kommen in Berlin ca. 250 WachtmeisterInnen
Alsdann nehmen wir auf dem unteren Rang der Haupttribüne Platz, der für die Heimfans und gesittete Gästefans reserviert ist. Die üblichen Ost-Asis ohne Haare und mit Gröl dürfen sich in einem Block der Südkurve verlieren, die übrigen Blöcke sind gesperrt. Ihnen bläst der doch noch sehr frische Nordwind entgegen. Dagegen können die gerade mal 200 wohl noch ansingen, gegen die ansteigende Lautstärke der eingespielten türkischen Popmusik sind sie aber ohnmächtig. Sie sind bestimmt sogar ein wenig ungehalten über dieses Vorprogramm.
Kaum hat das Spiel begonnen, werde dann ich das Opfer einer hinterhältigen Frageattacke. Matthias, wie so oft ein bisserl spät, will doch wirklich was über die Tabellenstände der Kontrahenten wissen. Als ich noch hilflos versuche, meine Unwissenheit zu kaschieren, springt mir ein Hallenser Familienvater bei, eine Reihe vor uns sitzend. Halle wäre Zwoter, bei TS zuckt er allerdings mit den Schultern. Zwar kann ich da leicht unbestimmt von Abstiegsnot faseln, muß mir dennoch schlechte Recherche vorwerfen lassen. ‚Na, dann soll er doch demnächst selber…‘, grummele ich in mich hinein und Tor! 1:0 in der siebten Minute durch Henning Lichte. TS führt völlig überraschend. Bis dahin war Halle das bessere Team. Und sind es auch weiterhin, bringen gefährliche Angriffe vors Tor und werden von ihrem Asi-Mob dumpflaut unterstützt. Die wenigen Entlastungsangriffe, die fast alle über den Gambianer Joof laufen, begleiten zwei türkische Zuschauer mit einer Schalmei und einer Trommel. Sie sind ohrenbetäubend. Ich bin daher froh, daß Can den zweiten, ernst zu nehmenden Angriff zum 2:0 abschließt und dann nicht viel mehr passiert, außer dem Anschlusstreffer in der 23. Nach der Pause Halle ratlos, erst in den letzten zehn Minuten noch ein Aufbäumen der Chemisten, und Tatsache: In der allerletzten Nanosekunde köpfelt der herbeigeeilte Torwächter eine Ecke zum Ausgleich ein. Nicht zu fassen! Sensation soeben noch abgewendet!
Hier hat schon Erich Mielke reingepisst!
Wir sind nun doch enttäuscht, auch wenn es sich in Grenzen hält, aber die drei Punkte hätten wir doch lieber hier gesehen und doch geht einer mit nach Glatzenhausen. Schade. Als Fazit für diesen Nachmittag läßt sich sagen, daß erstens eine Liga tiefer nicht schlechter gespielt wird, wenigstens nicht bei unserer TeBe und zwotens war es leider noch zu frisch für Frühling, um nicht zu sagen, ich habe ordentlich geschnattert.
Der hernach angestrebte Kaffee am Arkonaplatz im „Platzhirsch“ offenbart uns dann noch eine der zahllosen kleinen Gemmen der Hauptstadtgastronomie. Eine junge und riesige Dame mit zur Zeit wieder angesagten Leggins und unkleidsamen Kurzhaarschnitt bespaßt uns mit gequältem Gesichtsausdruck und italienischen Kaffeespezialitäten deren warmen Milchanteile gen 100% tendiert. Auf dem Weg nach draußen frage ich mich beiläufig, warum ich diesem in Aussehen und Benehmen nur ‚Pferd‘ zu nennenden Wesen noch Trinkgeld gegeben habe. Hat hoffentlich keine sexuellen Gründe.