Montag, 30. März 2009

Jetzt werden die Tage wieder länger

Henning meldet sich aus BA zurück und animiert mich bereits vor der fälligen Berichterstattung zum Fußball. Er muß sich gleich nach der Landung des Flugzeugs um die hiesige Regionalliga gekümmert haben und weiß von einem Spiel Türkiyemspor gegen Chemie Halle. Selbstverständlich sage ich sofort zu, regt ein Nachmittag an frischer Luft doch die Illusion eines nahenden Frühlings stark an. Matthias, den ich per Telex informiere, ist auch spontan und voller Tatendrang dabei.

Gegen 13 Uhr nähern wir uns dem alten Ost-Berliner Jahn-Sportpark, was mir doch die Frage aufwirft, wieso ein renommierter Kreuzberger Klub in dieser großen Schüssel zu treiben hat. Henning sagt, sie dürften in ihrer angestammten Stätte nicht spielen. Ja gut, ich frach mal…aber warum? Keiner weiß. Auch die von mir investigativ befragten türkischen Mitbürger geben vor, nicht zu wissen, wovon ich überhaupt spreche. Einem Befragten gar, der mich bei meiner Einleitung noch freundlich anlächelt, dreht sich sofort zur Seite und geht weg, als er die ganze Frage hört. Nachdem ich noch weitere Personen befragt habe gebe ich auf und hole mir erstmal ´ne Bratwurst und diskutiere mit Henning den für einen Viertligaklub stolzen Eintrittspreis von sechs €. Ermäßigt!

Auf 584 Zuschauer kommen in Berlin ca. 250 WachtmeisterInnen

Alsdann nehmen wir auf dem unteren Rang der Haupttribüne Platz, der für die Heimfans und gesittete Gästefans reserviert ist. Die üblichen Ost-Asis ohne Haare und mit Gröl dürfen sich in einem Block der Südkurve verlieren, die übrigen Blöcke sind gesperrt. Ihnen bläst der doch noch sehr frische Nordwind entgegen. Dagegen können die gerade mal 200 wohl noch ansingen, gegen die ansteigende Lautstärke der eingespielten türkischen Popmusik sind sie aber ohnmächtig. Sie sind bestimmt sogar ein wenig ungehalten über dieses Vorprogramm.

Kaum hat das Spiel begonnen, werde dann ich das Opfer einer hinterhältigen Frageattacke. Matthias, wie so oft ein bisserl spät, will doch wirklich was über die Tabellenstände der Kontrahenten wissen. Als ich noch hilflos versuche, meine Unwissenheit zu kaschieren, springt mir ein Hallenser Familienvater bei, eine Reihe vor uns sitzend. Halle wäre Zwoter, bei TS zuckt er allerdings mit den Schultern. Zwar kann ich da leicht unbestimmt von Abstiegsnot faseln, muß mir dennoch schlechte Recherche vorwerfen lassen. ‚Na, dann soll er doch demnächst selber…‘, grummele ich in mich hinein und Tor! 1:0 in der siebten Minute durch Henning Lichte. TS führt völlig überraschend. Bis dahin war Halle das bessere Team. Und sind es auch weiterhin, bringen gefährliche Angriffe vors Tor und werden von ihrem Asi-Mob dumpflaut unterstützt. Die wenigen Entlastungsangriffe, die fast alle über den Gambianer Joof laufen, begleiten zwei türkische Zuschauer mit einer Schalmei und einer Trommel. Sie sind ohrenbetäubend. Ich bin daher froh, daß Can den zweiten, ernst zu nehmenden Angriff zum 2:0 abschließt und dann nicht viel mehr passiert, außer dem Anschlusstreffer in der 23. Nach der Pause Halle ratlos, erst in den letzten zehn Minuten noch ein Aufbäumen der Chemisten, und Tatsache: In der allerletzten Nanosekunde köpfelt der herbeigeeilte Torwächter eine Ecke zum Ausgleich ein. Nicht zu fassen! Sensation soeben noch abgewendet!

Hier hat schon Erich Mielke reingepisst!

Wir sind nun doch enttäuscht, auch wenn es sich in Grenzen hält, aber die drei Punkte hätten wir doch lieber hier gesehen und doch geht einer mit nach Glatzenhausen. Schade. Als Fazit für diesen Nachmittag läßt sich sagen, daß erstens eine Liga tiefer nicht schlechter gespielt wird, wenigstens nicht bei unserer TeBe und zwotens war es leider noch zu frisch für Frühling, um nicht zu sagen, ich habe ordentlich geschnattert.

Der hernach angestrebte Kaffee am Arkonaplatz im „Platzhirsch“ offenbart uns dann noch eine der zahllosen kleinen Gemmen der Hauptstadtgastronomie. Eine junge und riesige Dame mit zur Zeit wieder angesagten Leggins und unkleidsamen Kurzhaarschnitt bespaßt uns mit gequältem Gesichtsausdruck und italienischen Kaffeespezialitäten deren warmen Milchanteile gen 100% tendiert. Auf dem Weg nach draußen frage ich mich beiläufig, warum ich diesem in Aussehen und Benehmen nur ‚Pferd‘ zu nennenden Wesen noch Trinkgeld gegeben habe. Hat hoffentlich keine sexuellen Gründe.

Freitag, 27. März 2009

Preisausschreiben

So Kinnings, jetzt is soweit! Mein allererstes Preisausschreiben: Die oder der Erste, wo mich anruft und den magischen Satz brüllt: „Ich will stinken wie ein Ostzonenrentner!“ bekommt von mir ein Fläschken „tüff“-Rasierwasser der Firma mawa-kosmetik aus 37327 Leinefelde-Worbis frei Haus.

Ich empfehle dieses Produkt auch und gerade für Frauen, bei denen die Ausrede ‚Migräne‘ nicht mehr zieht.

Und nun bitte!

Mittwoch, 25. März 2009

Die Welt der schönen Dinge

Wie ich heute Morgen erwache blitzt Genosse Sonne mir verschmitzt an. Undiszipliniert wie ich nun mal bin, verschiebe ich die Verrichtung meines kreativen Tagwerks auf später. Das Wetter erscheint mir grad recht für Pläsir außer Haus. Der Ost-Zoo in Friedrichsfelde steht schon länger auf dem Programm, obendrein ist’s noch früh, und da fängt der Vogel bekanntlich den Wurm, also los, die vier Stöcke nach unten gepest, Haustür auf und stante pede schockgefrostet!

Ein viehisch humorloser Ostwind, wahrscheinlich direkt aus dem Reich des Bösen, brist mich steif an. Memme, die ich bin, denke ich zuerst an sofortige Umkehr und heißen Früchtetee in meiner zentral beheizten Wohnung. Doch dann könnte ich die nächsten drei Stunden nicht mehr in den Spiegel schauen, so beschämt wäre ich. Also gehe ich zur U-Bahn, aber mehr schlecht als recht komme ich dort an. Ich bin heillos durchgefroren. Den Tierpark verschiebe ich lieber. Wie gut, daß mir da die Gemäldegalerie einfällt, die ich spontan beschließe zu besuchen. Ich habe bereits mehrere Anläufe gestartet, bin aber immer woanders hängen geblieben und habe ihren Besuch verschoben, nach dem Motto: ‚Kann man eh noch machen. ‘

Das Motto entpuppt sich als Fluch, denn schon wieder schaffe ich es nicht. Ganz kurz davor, als ich an der Philharmonie in Erwartung warmer Hallen vorbei tänzele, baut sich das Kunstgewerbemuseum bedrohlich vor mir auf, räkelt sich aufdringlich vor die Gemäldegalerie und fordert unmissverständlich meinen Besuch. Naja, da bin ich halt rein. So ist das eben, wenn man bereits am Beginn des Tages pflichtvergessen ist, hat man bei der nächsten Gelegenheit vom Wege abzuschweifen von vornherein schlechte Karten, und es ist im Laufe des Tages ziemlich wahrscheinlich, daß man zum Spielball fremder Mächte wird.

Wie so oft, und ich muß es eigentlich nicht mehr erwähnen, sind professionelle Tunichtgute von der Entrichtung eines Eintrittsgeldes befreit. Kaum an der Kasse vorbei, an der die Damen sich munter schnatternd über meinen Asiausweis unterhalten, bin ich schon mitten drin im Geschehen einer festen Ausstellung, die nur die alleredelsten Stücke europäischen Kunsthandwerks aus allen Jahrhunderten zur Schau stellt und zwar in schier unglaublicher Menge. Die verarbeiteten Materialien sind nur vom Feinsten. Edelhölzer, Gold, Silber, Kristall mundgeblasen (wie auch sonst), Porzellan, Seide, Damast und weiß ich noch alles. Nette, ältere Damen, die sich in den 70ern und 80ern mit Setzkästen beschäftigt haben, würden spitze Schreie ausstoßen. Ich stehe natürlich weit über den Dingen, was es mir ermöglicht munter vor mich hin zu theoretisieren. Meiner Ansicht nach beweist diese geballte Anwesenheit dieser Dinge mehrerlei: Erstens haben Menschen schon immer das Bedürfnis gehabt, sich mich schönen Dingen zu umgeben, zwotens fand sich ebenso immer ein Handwerksmeister, dessen Ehrgeiz, Sorgfalt und Eitelkeit groß genug waren, derlei herzustellen. Drittens und vorerst letztens gab es auch oft genug einen mit üppigen finanziellen Mitteln ausgestatteten Konsumenten, der bereit war, einen beträchtlichen Teil davon auszugeben, um, unterdrittens A, schöne Dinge zu seinem persönlichen Vergnügen zu besitzen und unterdrittens B, damit vor seinen Königskumpels behänd rumzuprotzen.

Standuhr aus einem der vorigen Jahrhunderte, Jugendstil, Rokoko oder so

Eine tolle Sache, wie ich finde. Da hat sich im Laufe der Zeit dann so einiges angesammelt, und jetzt gehört es dem Volk, unserem Volk, im Speziellen dem Hauptstadtvolk, und wir können nun damit nach Belieben selber angeben wie Bolle. Dem nächsten Besuch aus der Provinz werde ich das mal vorführen.

Nach etwa 1,5 Stunden bin ich mit den vier Stockwerken á 1.000.000 m² durch und beschließe auf die alten Meister in der nur 100 Meter entfernten Galerie für heute zu verzichten. Lieber gehe ich nach Haus gewinne meine Disziplin wieder zurück. Das gelingt fast ohne Zwischenfälle, nur das „Schotteneck“, einer dieser billigen Schrabbelläden, die alles haben, lädt mich zur Einkehr. Ich bin von dieser Art Geschäft jedesmal genauso fasziniert wie abgestoßen, und manchmal kaufe ich da was. Diesmal komme ich an einem Paar Unterhosen nicht vorbei, deren Design, wenn man das so nennen kann, mich sprach- und willenlos macht. Wie fremdartig lege ich 2 € auf den Tisch und mache mich weiter. Die restlichen 500 Meter bis zum Heim frage ich mich, wo die wohl hergestellt worden ist. Bestimmt in Asien, Indien höchstwahrscheinlich, wo Kinder bis zu den Hüften in Bleich- und Färbemitteln stehen und mit nackten Armen bis zu 16 Stunden täglich darin herumrühren.

So kleiden sich Sieger

Sofort nach Ankunft schaue ich nach einem Fähnchen im Stoff, welches mir über den Fabrikationsort Auskunft gibt. Ich finde keines. Das kann ja nur heißen, daß die sich nicht mal trauen, eine Auskunft darüber zu geben, ob die Scheiße aus Indien oder China kommt, muß also noch schlimmer sein. Mich schüttelt’s. Bevor ich aber ins Koma falle, werfe ich noch einen weiteren Blick auf das Teil und frage mich, wer sich solche komplett behämmerten Textilaufdrucke ausdenkt. Und was mir „Maximum Score * Players * 1956“ sagen soll? Bin ich dann mit dem tragen dieser Büx in jedem Golfklub der Welt sofort als Hecht zu erkennen? Macht mich das a priori zu einer Sportskanone ersten Ranges? Mal im Ernst: Wie grenzbegabt muß einer sein, der sowas entscheidet?

Angesichts des just zurückliegenden Museumsbesuchs ist außerdem die Frage nach einer statusfördernden Togabemalung in der Antike nicht so unwichtig wie man auf den ersten Moment denken könnte.



Sonntag, 22. März 2009

Wir werden alle nicht jünger

Matthias wird 50. Er gibt sein Fest im „Schurkenkeller“ im südlichen Prenzlauer Berg, was eine nicht ganz so notorisch gutverdienende Kleinfamilienmonokultur ist wie am Helmholtzplatz oder gar der Kollwitzplatz. Es ist eine schöne Feier mit viel Volks, und halb Herne gibt sich die Ehre, sogar die beinah biblisch alte Mutter des Jubilars ist angereist und noch verblüffender ist, daß sie sich namentlich an mich erinnern kann, obwohl ich sie nur zwei, drei Mal gesehen habe im Leben, das letzte Mal wohl an die zwanzig Jahre her. Potzdonnerwetter! Entweder habe ich sie schwer beeindruckt oder die gute Frau ist fern jedweder Senilität. Wahrscheinlich beides.

Im weiteren Laufe des Abends unterhalte ich mich durchaus angeregt mit den verschiedensten Leuten. Bemerkenswert erscheinen mir auch im heutigen Tageslicht zwei andere Bürgerinnen, beide aus Herne. Die eine, an deren Namen ich mich leider nicht mehr erinnere (ich bin eben nicht Matthias‘ Mutter) ist sehr heiser. Als ich mich voller Mitgefühl nach ihrer Erkältung erkundige, berichtigt sie mich fröhlich und einsilbig: „Nix heiser. Hab nur noch ein Stimmband. Kehlkopfkrebs!“ Da stehe ich nun in meinem kurzen Hemd und muß mir haarklein alle OP-Details anhören. Was ihr alles an Körperteilen fehlt und aus Plaste dazu gekommen ist erspar ich mir hier lieber. Dabei bin ich auf der einen Seite ehrlich erfreut, daß sie das alles überlebt hat und offensichtlich wieder quietschvergnügt ist; andererseits bin ich als Hypochonder emotional leicht überfordert. Letzten Endes bin ich froh, als sie mich von meinen Zuhörerpflichten entband und wieder tanzen geht.

Der ABV beim Verhaften der wilden 50

Eine Cola später, ich habe mich gerade erholt, sprach ich mit Bine, auch aus Herne, auf die ich aber weder Eindruck gemacht hatte oder die vielleicht auch schon auf dem Weg zu einem typischen Altersdefekt ist, wahrscheinlich Starrsinn. Jedenfalls untersagte sie mir, mit meinem Lebensentwurf zufrieden oder gar glücklich zu sein. Ohne Familie, daß wäre doch nix, das ginge gar nicht, ohne Kinder, ohne die engen Bande der Zuneigung und Liebe. Meiner Entgegnung, mir ginge es aber echt ganz gut damit, wird mit einem knappen, energischen ‚nein‘ übers Maul gefahren. Auch mein Argument, daß ich enge Bande eher erstickend fände, erfährt keine Gnade.

„Dann hast Du eben noch nicht die Richtige gefunden. Dann macht es nämlich ‚Pling‘ und dann machse allet für die. Dann isset nämlich um Dich geschehen.“ Derartig mit Bildern von meinem eigentlichen Paradies bedacht, fällt mir nicht mehr viel ein. Ich denke nur noch, daß Selbstgenügsamkeit doch eine schöne Sache ist - und ich schwöre, daß ich es nur gedacht habe – da bekam ich noch eins obendrauf: „Und glaub bloß nicht, datte dir selbst genug bist. Dat is nämlich der grösste Irrtum!“

Ich behalte weitere Argumentation für mich. Ein Mann muß auch merken, wenn er nichts mehr ausrichten kann. Lieber ordere ich mir noch ein alkoholfreies Bier und lenke das Gespräch auf den rasch aufgeworfenen Nebenschauplatz ‚Sich selbst neu erfinden‘. Auch hier muß ich einstecken, schließlich müsse man sich nicht neu erfinden, wenn man die Richtige…usw. Am Ende finde ich Bines Naivität, ständig von der ‚Richtigen‘ zu faseln genauso borniert wie erfrischend. Und die Erfahrung, mal wieder mit typischer Ruhrgebietsattitüde konfrontiert zu werden, möchte ich um nichts in der Welt missen.

Die böse Zahl und ihr unschuldiges Opfer

Um 2 Uhr lassen meine Kräfte rapide nach. Ohne die Befeuerung mit Alkohol ist so eine Party doch was anderes. Kastriertes Bier kreiert Müdigkeit, gegen die Coca-Cola auch nicht hilft, Kaffee gibt’s leider nicht. Also verabschiede ich mich so gegen Zwo, noch vor Karaoke, was ich noch nie gemacht habe und mich schon mal juckt.

Dafür verläßt die schöne Ulrike mit mir gemeinsam das Lokal, und ich kann ihr wegen meiner Nüchternheit und meinem Auto anbieten, sie nach Haus zu fahren. Keine leichte Aufgabe dennoch nicht, da sie nicht will, daß ich ihretwegen Umwege fahre. Erst als ich mehrmals beteuere, daß ich das im Leben nicht täte, ist sie bereit einzusteigen, und ich halte mich streng an ihre Wegvorgaben. Am Ende ist es eine ganz nette Fahrt, nur vergesse ich, eine Kaffeeinladung für einen anderen Tag auszusprechen. Bestimmt habe ich noch Bines Auslassungen im Kopf oder ich habe nicht die Gehirnleistung von Matthias‘ Mutter. Wahrscheinlich beides. Oder ich habe einen Hirntumor. Ach, was weiß ich. Nächstes Mal wird alles besser.