Wie ungewohnt doch der Griff nach der kleinen Kamera war, nach all der Abwesenheit aus dem Reporteralltag. Im letzten Moment fiel es mir noch ein, daß es sie gibt. Als Marek mich zu einem lütten Törn auf dem Stettiner Haff abholt, stecke ich das kleine Digitalflittchen mit letztem Erinnerungsvermögen in meine Innentasche, aus der sie nach zwo Stunden munterer Fahrt ins Hafenbecken von Nowe Warpno gleitet. Mit unscheinbarem Plumps gerade mal 150 Ocken gewassert. Blendend!
Dennoch wurden es zwei hübsche Tage auf dem Haff mit Sonnenschein g’führigem Wind, abgewechselt von wolkigen 5 Beaufort bei halbem Wind bis Raumschot und wieder zurück. Wir verwahrlosten in drei Tagen, wie man in drei Tagen nur verwahrlosen kann, ohne Duschen, mit viel Schwitzen und Bier ab 10 Uhr morgens. Das alles brachte aber die Kamera nicht zurück, so daß ich auch zum Ausflug zur Trabrennbahn Karlshorst mit Marek und Dzenia keine Bilder liefern kann.
Eigentlich bedauerlich, doch tut es der Vorfreude keinen Abbruch als wir zu Dritt und etwas zu spät, mitten im vierten Rennen die mit einer wuchtigen Tribüne gezierte Zielgerade erreichen. Trabrennen ist so eine Art Pferdekasino für die kleinen Leute. Das Publikum ist an diesem warmen Abend leger gekleidet. Vorwiegend ärmliche Ostbevölkerung, teilweise in kurzen Hosen und mit Socken in den Sandalen. Aber wenigstens keine ¾ Hosen bei den Kerlen und auch die Damen kneifen sich die sonst so gern getragenen Leggins und Ballerinas. Dafür ist die Atmosphäre herzlich und familiär, ich habe den Eindruck, daß selbst die Leute am Totalisator ihre Arbeit ehrenamtlich verrichten. Na, viel können sie jedenfalls nicht verdienen, schließlich ist Parken und Eintritt frei, und die auch nicht sehr zahlreich erschienenen Wetter gehen selten über ein Pfund hinaus. Eher halten sie sich an den Mindesteinsatz von zwo fuffzich. Das Bier ist mit 1,50 auch billig, die Currywurst liegt bei einem Euro, einsame Schmalzstullen in zu großen, neonbeleuchteten Auslagen labbern traurig vor sich hin und den rauen Charme einer DDR-Vergnügungsanstalt bekommt man angesichts des riesigen Schank- und Totoraumes unterhalb der Tribüne gratis mit. Ich investiere erst einmal ins neue Traberjournal Nr. 124, die Fachzeitung für Trabersport und-zucht mit offiziellem Rennprogramm für den digibet-Pferdesportpark Karlshorst. Neugierig stürzen wir uns auf die Ankündigungen für das nächste Rennen. Ein Wust von Zahlen, Kürzeln und anderen krausen Informationen hilft uns nicht weiter. Ich beschließe, zum Wettschalter zu gehen und frage die dort arbeitende fröhlich rauchende Mittsiebzigerin um Rat. Sie ist sichtlich amüsiert, eine Bande von blutigen Anfängern über Wohl und Wehe des Wettgeschäfts aufklären zu dürfen. Binnen Minuten haben wir die Grundregeln intus. Bleibt nur noch die Frage, warum die Zossen solch komische Namen haben. „Gera Chip“, „Knuddelmuddel“, „I’ve got a Diamant“, „Pacha du Bourg“ oder „Hey Eck“, das geht doch wirklich nicht! Warum heißen die denn nicht „Schwarzer Blitz“, „Feuriger Wind“, „Lahmarsch“ oder ähnlich auf ihre Qualitäten hinweisend. So tappen wir ziemlich im Dunkeln.
Einsame Schmalzstulle
Doch schon beim sechsten Rennen gebe ich meine Zurückhaltung auf. Ein stolzer Rappe mit Namen „Sky Rocket“ hat es mir angetan. Er scheint nicht ohne Chancen, und ich setze ihn für 5 € auf Platz. Die nette Lady am Totoschnarrt mich an als ich den Namen des Pferdes nenne: „Die Nummer, ick brauch die Nummer, diese janzen dusslichen Namen kann ick mir nich merken.“ Welch warme Worte! Nun aber rasch wieder raus, den sie laufen ja schon. Und wie! Mein Klepper führt das Feld an, wird erst Anfang der Zielgeraden abgefangen – dem Bahnsprecher überschlägt die Stimme – und er kommt als Dritter ins Ziel. Wie ich es gesagt habe. Bei meinen beiden Begleitern gelte ich ab sofort als Mensch mit Sachverstand. Mit stolzgeschwellter Brust hole ich mir meinen Gewinn von 6 € ab… und zocke weiter.
1 a DDR-Prolo-Feeling
Dieses Mal ist aber die vielversprechende französische Stute nicht abgeklärt genug und versagt. Dafür fährt Mareks „Richelieu“ einen ungefährdeten Sieg ein. Mit Honigkuchengrinsen blickt der Freund uns an, sicher, um 4 € reicher zu sein. Gönnerhaft spendiert er eine Lage Wurst, ich schleppe drei Biere an und gemeinsam sonnen wir uns in unserem Erfolg.
Doch das nächste Rennen wartet nicht. Diesmal bin ich mutiger. Vier Wetten platziere ich, von denen sogar zwo gelingen. Zwar hole ich weniger Geld raus als ich eingesetzt habe, aber das tut der Sache keinen Abbruch. Im neunten Rennen dann, dem vorletzten mittlerweile unter Flutlicht, muß ich abermals Lehrgeld zahlen, doch hat diesmal Mareks Gewinnerpferd einen sagenhaften zweistelligen Betrag zur Folge. Potzblitz, da geht doch noch was!
Der Mond ist schwer und rot
Ja, im letzte Rennen muß es gelingen. Da gebe ich noch mal alles! Lange beratschlage ich mit den Freunden, schaue ins „Traberjournal“, auf die möglichen Quoten, wäge ab und platziere eine Dreier-Einlaufwette. Mir ist als ginge ein Raunen durch die Menge – und ich glaube wirklich an den Erfolg. Die 7 vor der 11 und dann die 9. Und wirklich, zu Eingang der Geraden scheint es so zu kommen, doch dann legt „Really“, die Nummer 9, unter dem Anfeuerungsgebrüll („Zieh Micha, zieh!“)einer Ostberliner Proloschnalle mächtig los und entscheidet das Renne für sich. So’n Schiet! Das hätte noch ein bunter Abend werden können. Mal locker 250 Piepen hätte ich auf meinen Fünfer gekriegt. Das hätte Schampus bis zum Abwinken für uns drei bedeutet. Tja, ‚Hätte, wenn und aber‘ zählt nun mal nicht. Immerhin steigert mein Beinaherfolg meinen Pferdestatus bei meinen Freunden.
Am Ende bleibt uns aber ein so oder so lustiger Sommerabend, Dzenia hat ihren Hut und den gepunkteten Rock ausgeführt, und bald gibt es wieder einen Rennabend und wieder lockt das schnelle Glück.
P.S.: Die Bilder habe ich mit Markus Kamera gemacht, die ich ihm auch gleich abgekauft habe. Muß ja weitergehen.
Samstag, 8. August 2009
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