Nun habe ich es aber schluren lassen! Eine ganze Woche nix gebloggt. Es ist aber auch nicht wirklich was geschehen, was die Berichterstattung gelohnt hätte. Außer vielleicht einer mit leichten Sentimentalitäten belasteten Reise in die Heimat zur Konfirmation meines Patensohnes unter Hinterlassung einer erklecklichen Summe. Über die Strapazen der Reise und die schon fast chronische Unfähigkeit unserer Bahn, auch nur eine Fahrt im letzten halben Jahr wie versprochen zu gestalten, möchte ich nicht schon wieder berichten. Ich möchte nicht einer von denen sein, die ständig und mit wachsendem Genuß auf unser noch staatliches Transportwesen eindreschen. Nein, ich bin nicht so einer.
Auch die physischen Erschöpfungszustände nach einer familiären Feier mit ihrem unterschwellig vorgetragenen Befindlichkeiten hier auszubreiten ist so nicht meines. ‚Was aber dann?‘, frage ich mich schon seit einigen Tagen, ‚was dann soll ich berichterstatten?‘ Mein Alltag in der großen Stadt könnte sich sowieso und obendrein in Richtung Eintönigkeit verändern, wenn ich erstmal in Lohn und Brot wieder stände, als Mitarbeiter im neu zu gründenden „Grand Hostel“. Allein diese Aussicht inspiriert meinen Geist höchstens zur Kleinheit mit allerlei Befürchtungen, wie trist mein einst glamourös geplantes Leben doch werden könnte.
Wie gut tut es dann doch, mit einem Freund etwas Schräges unternehmen zu können. Mit Matthias nämlich bin ich für einen Zoobesuch verabredet. Und zwar den Ost-Zoo, genannt Tierpark in Friedrichsfelde. Er wurde 1955 eröffnet, natürlich in Konkurrenz zum damaligen West-Zoo in Tiergarten. Schließlich musste man den Leuten in der SBZ was bieten und erschuf gleich mal den größten Landschaftstiergarten Europas. So!
Da wollte ich schon lange mal hin, hielt aber den Winter für eine ungeeignete Jahreszeit. Umso mehr freue ich mich über den Sonnenschein des heutigen Tages, Matthias kommt pünktlich mit dem Fahrrad und eröffnet mir zur Begrüßung, daß er Zoos und Tiergärten nicht mag. Zur Unterstützung seiner Ansichten erzählt er eine schlimme Zoogeschichte nach der anderen aus seiner Kindheit. Dennoch machen wir uns gut gelaunt auf den Weg, auf der Frankfurter Alle hinaus ins Plattenbau geschmückte Lichtenberg. Über eine große Eisenbahnbrücke rechts liegt der Lichtenberger Bahnhof, von wo alle Züge nach Osteuropa abgehen. Eigentlich müsste man hier keinen Zug mehr Richtung Osten besteigen, denn, wenn man das Gebäude erreicht hat, ist man ja bereits dort, so weißrussisch wie einem hier alle Sinne benebelt werden.
Noch ein Stückerl weiter nach Köpenick und schon stehen wir vor dem Eingang. Für 5,50 € bekommt der normale Hartzianer eine Eintrittskarte. Matthias ist aber kein normaler Hartzianer, denn er besitzt zur Zeit keinen gültigen Beweis für seinen Status. Das strenge und hübsche Frollein an der Kasse weist jeden seiner behänd vorgetragenen Versuche, ihr ein weiteres, abgelaufenes Dokument seiner Mittellosigkeit unterzujubeln mit leisem Seufzen zurück. Erst sein aufrichtiger Schwur, eine immer länger werdende Schlange und meine schnoddrig vorgetragene Geschmacklosigkeit „Dieser Mann wird nie wieder arbeiten“ läßt ihren Widerstand zusammenbrechen.
Mit der so erstandenen Karte passieren wir einen freundlichen Wächter und erblicken als erstes ein wirklich sehr weitläufiges Wisentgehege, vor dem, gleich rechter Hand, vier dicke, ungebildete Menschen sitzen und stehen und sich über ihre dummen Witze halb totlachen. Nebenbei sind sie für den Verleih der sechs Bollerwagen zuständig, die sich Familien für ihre kreischende Brut mieten können. Für einen Donnerstagnachmittag kein sehr strapaziöser Job. Bestimmt sind es 1-€-Kräfte.
Die drei berühmten Esel
Da wir aber keinen Bollerwagen brauchen und eher keine Ahnung haben, wo es was zu sehen gibt, schlendern wir zu einer Übersichtstafel. Dort wartet bereits der nächste Hammer: Ein Rentner, der nur noch am rechten, hinteren und unteren Schädelknochenansatz Haare zu haben scheint und diese seit ca. sechs Jahren wachsen läßt, um sie so über seine gesamte Glatze kämmen zu können, daß wenigstens für ihn der Eindruck entsteht, er hätte noch die volle Pracht.
Leider ist das Bild unscharf, da mir bei der Aufnahme die Hände vor Aufregung zitterten
Noch so gerade eben Herren unserer benommenen Sinne, legen wir grob eine Route fest, die an den Bären vorbei, irgendwelche Nutztierabteilungen streifend zum Raubtierhaus führen soll. Schon an der ersten Aufbewahrungsstätte, hier sind es südamerikanische Brillenbären, fällt uns etwas auf, das sich wie ein roter Faden durch die ganze, im Grunde traumschöne Anlage zieht: Die Gehege sind groß bis riesig und die Viecher lungern immer in der hinterletzten Ecke herum. Immerhin sind die meisten so karg, daß sie sich nicht verstecken können, und mit einem Feldstecher hätte man schon Gelegenheit, sie zu betrachten.
Sehr weitläufig, das Ganze, doch sehr!
Matthias aber verfällt auf eine andere Taktik. Wie ein empörter mitteleuropäischer Reisender auf einem neapolitanischen Hauptbahnhof einen Gepäckträger zu ergattern versucht, will er mit den Insassen durch kräftiges ‚Hallo‘ rufen Augenkontakt herstellen. Ein hier wie dort untaugliches Unterfangen, was ihn dennoch nicht abhält, es auch bei Eseln, Geiern, Möwen, Tigern, Eisbären usw. zu wiederholen. Erst bei den Nashörnern gibt er auf. Wahrscheinlich gibt ihm meine Erklärung den Rest, daß jetzt Mittag wäre und diese sozialistischen Kreaturen sowieso keine Veranlassung sähen irgendwas zu tun, da sie allein ihr Dasein versorgt und überhaupt, was sollten sie schon treiben in ihren Käfigen.
Kunterbunter 50er Charme: Das Innere des Raubtierhauses
Dennoch gibt es Highlights. Das Raubtierhaus ist ein großartiges Gebäude aus den 50ern mit all seinen architektonischen Spielereien, Käfigen für drin und draußen, symmetrisch platzierten Volieren und ein begehbares Tropenhaus mit frei fliegenden tropischen Vögeln, von denen einer sogleich meine Gutmütigkeit ausnutzt und mir auf den Jackenärmel scheißt. Wie gut, daß es an neuralgischen Stellen des Geländes privat betriebene Toiletten gibt, die mit Plasteblumen geschmückt ihre Dienste anbieten. Sage noch einer, der Kapitalismus habe abgewirtschaftet.
Das Angebot ist reichhaltig, die Preise zivil
Weiter scharwenzeln wir durch die Anlage, betreten wundersame Lemurenfreikäfige, bewundern die extreme Weitläufigkeit des Ganzen, verdammen die exzessiv aufgestellten, neudeutschen, grünen Stahlzäune und steuern auf das Affenhaus zu, wo wir uns ein wenig „Äkschn“ versprechen. Leider gibt es keine großen Primaten. Immerhin bewegt sich die ansehnliche Menge der anderen Vorfahren, indem sie essen, sich lausen, streiten, die eigenen Genitalien in die Länge ziehen und ähnlichen Krams machen.
Als wir endlich genug gesehen haben, wandern wir zum Ausgang zurück. An einem Antilopengehege trauen wir unseren Augen kaum: Ein vorwitziges Tier ist bis ganz an den Rand nach vorn gekommen und äst Blätter von einem Strauch. Auf einmal wird uns doch noch ein fantastisches Naturerlebnis intensiv auf dem Silbertablett serviert. Wir wagen kaum zu atmen, verlangsamen nahezu unmerklich unseren Schritt, blicken verstohlen aus den Augenwinkeln und bleiben dann stehen. Das ist zu viel. Sofort scheut das wilde Tier und hoppelt in die letzte Ecke seiner eigenen, imaginären Steppe. Nur kurz währt so unser Einblick in die Welt der wilden Tiere. So kurz, daß Matthias mit großem Unmut aufstampft und zornig ausruft: „Geselligkeit wird hier wahrlich nicht groß geschrieben!“
Endlich wieder draußen, ist es bereits fünf Uhr. Noch immer voller Abenteuergeist, wollen wir uns den Weg durchs unbekannte Lichtenberg mit dem Rad in Richtung Friedrichshain bahnen, doch wir scheitern glorios am Kraftwerk Rummelsburg und landen auf der unsäglichen Köpenicker Chaussee. Immerhin erheischen wir noch einige Impressionen des westlichen Karlshorst. Nichts, was die Welt bewegt, aber noch eine neue Facette unserer tollen Stadt.
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