Da gute Kleidung an und für sich Berliner Angelegenheit nicht ist, habe ich mir rein theoretisch überlegt, daß es doch ganz einfach sein müsste, aus der Masse der 3 ½ Millionen herauszutreten. Mit ein paar Kunstgriffen ließe sich doch aus einem schrägen Knacker sicherlich noch ein munterer Feger gestalten. Immerhin gibt meine Garderobe noch ganz passable Hosen, Hemden und Pullover her, sogar ein Anzug ist dabei, einige recht feine Mäntel, blendendes Accessoire und, ganz wichtig, mehrere Paar scharfe Schuhe. Also fing ich vor einigen Tagen an, es alles miteinander zu kombinieren, probierte dies und versuchte das und sah schlussendlich immer nur wie mein eigener Vater auf Sonntagspaziergang im Sauerland aus. Ich zog alles wieder aus und legte mich frustriert aufs Bett, leichtfertig bereit, das Unternehmen „Eleganz“ hinzuwerfen.
Bis ich wie toll hochschreckte, zum Badezimmerspiegel hastete und, noch bevor ich mein Ebenbild richtig sah, wußte, daß die Brille daran Schuld war: Kleine, viereckige Gläser in dünnem Drahtverhau taugen nicht für den Denkerschädel eines 190-Pfünders! Da muß was Neues her. Außerdem habe ich dieses Ding schon ein halbes Dutzend Jahre.
So zog ich dann eine Woche konzentriert um die Häuser um vorgestern in einer Brillenbude am Lausitzer Platz fündig zu werden. Zuerst wurden mir ganz hübsche Modelle gezeigt, aber alle außer meiner finanziellen Reichweite, und schon wollte ich die Hoffnung aufgeben, als die Chefin persönlich kam und die getönten Gläser aus einer recht günstigen Sonnenbrille nahm, um einen authentischen Look zu evozieren. Und wahrhaftig: Aus dem Spiegel blickte nicht mehr ich selbst, sondern Michael Caine wie er 1971 in „Get Carter“ von den Leinwänden der Welt blickte. Die Wahl war getroffen! Und wundervoll enough, musste ich auf die Verwandlung nur einen weiteren Tag warten, dann war meine neue Brille fertig.
Geht doch!
Heute Morgen dann heißt es: Fertig machen zur Gala: Schniekes Hemd, helle Hose, Lambswool Pulli, spitze 60er Treter, marineblauer Mantel und Paisleyschal, kurzum: Bis hin zur Unterhose nonchalante Eleganz, denn auch die von Designerformat. Erstmal nach Mitte, am besten mit der U-Bahn, denn die erscheint mir doch weltläufiger als ein schnöder Bus. Am Alex raus, die Karl-Liebknecht runter, doch kaum einer nimmt Notiz. Nur drei Frolleins um die 20 in ihren unvermeidlichen Preßwurstleggins kichern. Die ganzen anderen Mittestricher sind augenscheinlich mit sich selbst beschäftigt, stehen vor irgendwelchen Flagshipstores, sabbeln dröhnend in ihre Handys („Ne Digger, is jetzt echt unsexy, geht gar nicht.“) und werden davon nur noch von ebenso inkompetenten amerikanischen Jungtouristen übertroffen.
Unter den Linden und in der Friedrichstraße falle ich nicht weiter auf, da hier sowieso flotteres Klientel flaniert. Die unvermeidlichen ausländischen Bürger sind entschuldigt, da sie exklusive Schaufenster und geschichtsträchtige Bauten bewundern müssen. In der Wilhelmstraße tue ich so, als wolle ich die britische Botschaft betreten, schwatze jedoch nur einige Floskeln mit dem Wachhabenden, der gewohnte Berliner Lässigkeit präsentiert. Immerhin inspiriert mich der biblisch große Union Jack zu weiteren Taten und am Potsdamer Platz betrete ich ein Kaffee, wo ich an der Bar einen Espresso bestelle, in breitestem Cockney, das ich mit einem bedrohlichen Augenbrauenheber unterlege. Das macht Eindruck bei dem studentischen Früchtchen, der Euro Trinkgeld läßt sie dümmlich grinsen und kurz überlege ich, ob ich die ich-bring-dich-groß-raus Masche bringen soll, schließlich habe ich in den USA Anfang der 90er einige Erfolge damit feiern können.
Doch ich nehme Abstand, immerhin gilt es hier noch was zu beweisen (Was eigentlich?). Ich nehme eine U-Bahn nach Kreuzberg, besuche hier einige Geschäfte, in denen man mich kennt und kennen könnte, werde aber einfach gewohnt freundlich bedient, nur Rami, meinem osmanischen Barbier fällt auf, daß irgendwas anders ist.
Auf den Straßen, die ich jetzt zu Fuß Richtung Heimat benutze, fallen mir wieder und wieder die Modetorheiten auf, denen vor allem jüngere Menschen befallen, aber nicht nur. Neben Beckham-Frisuren gibt es auch immer noch die Variante Schokoladenpudding-mit Vanillesoße. Weiße Adidas-Turnschuhe hat es sowieso und die bereits erwähnten Preßwursthosen und am Ende viel teures Markenzeug, mit dem sie trotzdem aussehen wie aus der Mülltonne. Und je weiter ich nach Friedrichshain komme, dem Mekka jungscher Schnöseligkeit, desto schlimmer wird es. Da bemüht sich jeder Afrikaner um mehr Schick, strebt nach einem Anzug, nach einem Minimum an Eleganz und Würde, wenn er sonst schon nix hat. Hier dagegen wird viel Geld ausgegeben, um z.B. den Wettbewerb der schlechtest sitzenden Hose zu gewinnen.
Kurz davor, betrübt zu schleichen, merke ich aber, wie mir mein guter Mantel Haltung aufzwingt, so wie ein künstlich aufgesetztes Grinsen irgendwann gute Laune erzeugt. Aufrecht und etwas nachdenklich und abwesend laufe ich auf der Oberbaumbrücke fast in eine kleine Gruppe mittelalter japanischer Touristinnen hinein. Prompt fragen sie mich, ob ich sie fotografieren könne, was ich natürlich bejahe. Aufgeregt bringen sie sich in Positur, wollen dann mit mir aufs Bild, dabei tuscheln und kichern sie. Am Ende bedanken sie sich höflich und eine sagt: „You like Maika Kehn, hihi.“ Ehe ich begreife, was sie meinen, ist die fröhliche Schar auch schon weiter. Die Rädelsführerin dreht sich aber noch einmal um und winkt. Ich winke zurück. War doch nicht alles umsonst.
Auf dem Heimweg mache ich noch bei Schnipp station, der unwirschen Bäckereifachverkäuferin. Mir scheint, sie ist heute einen Tacken weniger unbeteiligt, etwas flinker zur Hand als sonst. Doch am End schaut sie mich noch nicht einmal an.
Zu Haus denke ich wirklich, daß es dem Berliner an sich egal ist, wie er rumläuft. Und der Eindruck anderer ist ihm auch Latte. Zu beeindrucken ist er offensichtlich nur sehr schwer. Woher ich das jetzt nehme? Drängt sich einfach auf.
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