Montag, 2. November 2009

Ich hatt' einen Kameraden

Heute ist so ein Tag, an dem man die ganze Zeit aus der wohlbeheizten Bude in den Dauerregen schauen möchte und nichts anderes. Da ich also keine Wahl habe, füge ich mich und mache von dem einen, verfügbaren Angebot üppig Gebrauch.

Nach mehreren langen Stunden depressiven Starrens – ich habe schon mehrere Sinnkrisen ignoriert und auch den Fenstersturz verschoben – da höre ich Musik. Marschmusik. Von einer Art Spielmannszug um genau zu sein. Noch sehe ich nichts, höre nur. Doch es kommt näher, wird immer lauter, die zahlreichen Fanfaren scheppern, Trommeln rasseln im Stechschrittakt, dann biegt die Schose ums Eck und entpuppt sich als Martinszug. Kleine Kinder folgen mit ihren Eltern wie hypnotisiert dem Krawall.

Und auch ich muß mir eingestehen, daß diese, nun ja, Musik eine entlethargisierende Wirkung auf mich hat. Mein Körper strafft sich, ich merke deutlich wie ein Lächeln mir übers Antlitz huscht. Von einem Moment auf den anderen begreife ich, wozu bei früheren Schlachten (tolles Wort!) so ein Heeresmusikkorps den Kämpfenden zur Seite gestanden hat. Das ist ja sowas von aufmunternd, da macht das Schießen und das Bajonettieren von weichen Leibern richtig Spaß.

Aber was man hic et nunc mit den Kinderchen und ihren Lampionen vorhat? Muß ich mir Sorgen machen? Besser nicht gleich wieder drauflos grübeln und die schöne Stimmung kaputt gemacht.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Pimp my Elch

Es gibt die verschiedensten Arten von Wärme: Heizungswärme, Sonnenwärme, Badewannenwärme, Wüstenwärme, Suppenwärme und überhaupt die Wärme aller Arten erhitzter Lebensmittel, dann darf die innere Wärme des Alkohols nicht vergessen undvielleicht noch einige andere. Doch eine ist mir, vor allem in Zeiten immer strengerer Kälte die Liebste, und das ist die Bettwärme. Sie hat immer die richtige Temperatur. Und sollte sie mal etwas zu üppig ausfallen, wegen z.B. plötzlich auftretender Hitzewallungen, reicht das Herausstrecken eines oder mehrerer Körperglieder um einige Zentimeter unter der Bettdecke hervor und nach einigen Sekunden oder Minuten ist die optimale Wohlfühltemperatur wieder erreicht. Und muß mal raus in der Nacht, kann man sich auch just wieder auf die Rückkehr ins warme Pfühl freuen. Eine tolle Sache!

So ähnlich halte ich es auch heute morgen, als ich um kurz vor 9 aufwache. Erstmal rasch aufs Klo, dann noch das Teewasser aufgesetzt und husch wieder ab, unters Laken räkeln. Als das Wasser bereit ist, wieder hinaus, den Tee aufgegossen, noch fix die Heizung aufgedreht und wieder ins Warme. Dann wieder zum Tee, rausnehmen, die erste Tasse eingießen und damit wieder ins Bett. Dann ruft Roland an, der Gute und auch das passt wie Arsch auf Eimer. Nur meine linke Hand greift das schnurlose Telefon und hält es mir ans Ohr; der Rest des Körpers schüttelt sich vor Wohlgefallen. Wir quatschen nur kurz, schließlich sind wir eine Stunde später schon verabredet, und eigentlich ist der Anruf etwas über, doch trotzdem danke ich es ihm innerlich, kann ich doch so den Zauber der Bettwärme noch etwas auskosten.

Um 10 isses dann soweit. Ich habe mittlerweile unter einigem Bedauern mein Lager verlassen und mich frisch gemacht, da steht Roland schon mit seinem Volvo unten. Ich hüpfe die vier Stockwerke hinab, trete vor die Tür und sehe meinen Freund in all seinen neuen Klamotten, die er sich von einer Schottlandreise mitgebracht hat, vor mir stehen. Ich traue meinen Augen kaum; da scheint ein echter Großgrundbesitzer des alten Schlages in vollem Wichs vor mir zu stehen. Ein eleganter Mann!

Nach dem Verteilen einiger Komplimente geht es dann aber auch gleich los. Der Gute will seinen Elch ein bisserl pimpen, zu den vorhandenen vier Lautsprechern noch vier weitere hinzufügen, damit es mit der neuen Kenwood-Anlage auch so richtig abgeht. Gut denn, also auf nach Waidmannslust, wo es am Oraniendamm eine Schlachtgarage für verendete 850er gibt. Ausschließlich 850er. Schließlich sind wir in der Hauptstadt.

Wie soll man sich bei einem solchen Angebot entscheiden?

Der Weg ist recht weit. Es geht durch Mitte, dann den Wedding, Reinickendorf und Wittenau. Endlich ist der Ort erreicht. Den Schlachtermeister finden wir auch sogleich. Er wullackt in sowas wie einer Doppelgarage mit Doppelabstellfläche herum, und alles ist mit Teilen nur so zugepflastert, immerhin ordentlich. So wie der Mann auch, denn er ist sofort im Bilde, hat die Lautsprecher bereits ausgebaut, erklärt ruckzuck und verständlich den Einbauprozeß und will für alles grad mal ’n Fuffi haben. Nach weiterem kurzen Höflichkeitsgeblubber sind wir auch schon wieder draußen; mit Zeit genug, uns in diesem arg unbekannten Stadtteil einmal umzusehen. Sogleich fällt an der nächstbesten Ecke ein tolldreistes Ensemble Waidmannsluster Vergnügungssucht auf: Auf der Ecke Benekendorffstr. ist links die „Diablo“ Cocktailbar und rechts „Gudrun’s Bierstuben“. Bereits ein einziger Blick auf das Programm des „Diablo“ stellt klar, wo hier der Hase im Wind weht.

Die beiden Begriffe unten links und rechts geben dem Eingeweihten Auskunft

Derart angefixt wollen wir natürlich mehr, und spontan fällt mir die Invalidensiedlung ein. Sie befindet sich sogar noch nördlich von Frohnau, kurz vor Hohen-Neuendorf in Brandenburg, in der Vorwendezeit eines der abgeschiedensten Plätzchen in West-Berlin. Schwupp! Schon sitzen wir im Auto und blicken auf den Stadtplan. Da fällt auch noch der Poloplatz ins Auge, liegt auf dem Weg, also los Mann, fahr zu, doch was ist das? Nach kaum 500 Metern ein Hinweisschild auf das Heimatmuseum Hermsdorf. Na, Gut, dann das eben auch noch. Roland will, ich nicht so, sei es drum, am Ende ist es ganz plüschig nostalgisch meist, bis auf die Sonderausstellung zur Flucht über die nahe gelegene Mauer. Und wer es skurril mag, so wie ich, der kann sich noch an den lebensgroßen Puppen erfreuen, die das Diorama einer ollen Grundschule bevölkern. Ach ja, und eine der Museumsangestellten ist echt eine scharfe Katze. Bis zum Poloplatz, auf der Fahrt durch den Entenschnabel, vertreiben wir uns die Zeit mit anerkennenden Reden über diese schöne Dame.

Feine Proportionen, wie man sie sonst nur im Valparaisoer Naturkundemuseum findet

Der Pferdesportplatz selbst entpuppt sich als Übungsgelände für Spring- und Dressurreiten. Er ist wohl im Laufe der Jahre einem anderen Zweck zugeführt worden. Passt aber auch so ganz gut in die Umgebung des Frohnauer Landadels mit seinen gediegenen Häuserchen und Gärten und Parks und dann diese Ruhe, ach nee, wie isses schön!

Das passende Ambiente für einen eleganten Mann

Einen kurzen Spaziergang um den Platz machen wir doch, schließlich sind die Herbstfarben grad so nett. Dann gibt es aber doch kein Halten mehr, und wir fahren weiter stadtaus zur Invalidensiedlung. Die wurde 1938 erbaut, in Nachfolge des von Friedrich I als Heim für kriegsversehrte Soldaten gegründeten Invalidenhauses in Berlin. Das Reichskriegsministerium brauchte das alte Gebäude als Erweiterung der Militärärztlichen Akademie und baute deswegen für die Bewohner eine nette Siedlung jottwede. So brauchte man sich auch wohl nicht mehr mit dem Anblick der armen Krüppel zu plagen.

Die Invalidensiedlung trägt ihren Namen immer noch zu Recht

Immerhin muß ich sagen, daß die Gebäude recht modern aussehen. Alles aus Backstein, große Fenster, hell und nicht zu nah zusammen. Über das Gesamtensemble kann man bestimmt streiten, auch darüber, ob man jedes einzelne Haus nach einer anderen siegreichen preußischen Schlacht benennen mußte. War aber wohl der Zeitgeist dazumal. Was ich allerdings heute erschreckend finde ist die komplette Unterversorgung mit fast allem; es ist zwar schick ruhig, aber außer einem Frisör und der Hubertusklause gibt es keine Infrastruktur, nicht mal einen Spätkauf. Immerhin können die Bewohner seit 1990 wieder nach Brandenburg einkaufen. Vor der Wende waren sie von drei Seiten Mauer umzingelt, und damals wie heute gibt es nur eine Buslinie. Tja, auch so kann Hauptstadt sein.

Rübermachen war hier nicht immer so einfach.

So gegen zwo Uhr beginnt unsere Entdeckerlust in Kühle zu erstarren, sodaß wir lieber wieder in den Elch steigen, uns von Autoheizungswärme bepusten lassen und wieder die ca. 45 minütige Heimreise antreten. Roland muß noch für uns heute Abend kochen und so ein Blog schreibt sich auch nicht von allein.

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Noch 5 1/2 Monate

Es ist kalt. Es ist nicht frisch, nicht schruppig, nicht kühl; es ist kalt. Von einem Tag auf den anderen. Wir werden von nördlichen Luftströmen beglückt, die sich ungehobelterweise von Nordfinnland über uns ergießen. Wie immer in solchen Fällen erster Herbstkälte im Jahr bin ich verunsichert, was ich anziehen soll. Denn es ist, wie ich eingangs bereits erwähnte kalt und zum anderen scheint die Sonne. All meine Erfahrung in solchen Situationen abrufend, entscheide ich mich für ein Ensemble aus dicken Socken, leichtem Schuhwerk, Nietenhosen und obenrum Fleece und Windjoppe und als ich aus dem Hause komme ist die Sonne weg; anstatt dessen plästert mir eisiger Hagel mit Vehemenz in die Fresse und macht mir deutlich, daß ich mal wieder nicht an alles gedacht habe: Ein Käppi wäre jetzt schön.

Da oben hängt sie schon: 1 Wolke mit kaltem, eklem Naß

Ich habe kein großes Ziel, nur ein wenig meine Monatskarte nutzen. Ich steige sodann in die U-Bahn und sehe zu, daß ich zum Brandenburger Tor komme. Dort will ich einmal einen Blick auf die neue Linie U55 werfen, die sogenannte Kanzler U-Bahn, die sage und schreibe drei Stationen aufweist, inkl. der beiden Endbahnhöfe. Muß wohl alles sehr modern sein, denke ich und ist es auch. Nichtsdestotrotz finde ich einen Haufen Zweckbeton vor. Ich fahre dann mal eine Station bis zum Bundestag, in der Hoffnung hier einige MdBs vorzufinden, die warten, zum Hauptbahnhof mitgenommen zu werden. Weit gefehlt. Die Station hier ist genauso unbelebt wie die davor und das kleine Bähnle im Allgemeinen.

Dies ist die Schweizer Botschaft, nicht der Bundestag. Irreführend! Sechs!

Ich steige mal aus, um mich ein wenig umzuschauen. Dabei fällt mir auf, daß der neue Hauptbahnhof nur einen Katzensprung entfernt ist. Ich frage mich unwillkürlich, ob es je einen Parlamentarier geben wird, der, wenn er überhaupt Bahn fährt, direkt nach seiner Ankunft mit der neuen U-Bahn zum Bundestag fährt oder aber irgendeinen Touristen, der sofort und stante pede das Brandenburger Tor sehen muß und ob man beides nicht auch zu Fuß erreichen kann, so nah es beieinander liegt.

So voll ist die "Neue" am Hbf

Gemütlich schemme ich also zum glasbewehrten Monument der Mobilität, knipse hier und da das großartige Licht, fahre dann nach Haus, da sich der nächste Hagel ankündigt. Daheim verfalle ich in Schwermut. Ich führe das auf mein kindliches Gemüt zurück, denn ebenso wie ich noch vor einem Monat mir nicht vorstellen konnte, daß die Sommerhitze ein Ende finden könnte, habe ich nun keine Vorstellung, es könne einmal wieder warm werden. Wie ein Dreijähriger, der sich einen Dorn in das Fingerchen gestochen hat schenke ich meinem inneren Vater keinen rechten Glauben, daß das Leid einmal ein Ende haben wird. Und zugegeben; mein Mantra ‚In 5 ½ Monaten ist alles wieder vorbei‘ klingt ja schon nach einer halben Ewigkeit.

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Vermischte Meldungen

Als ich heute früh erwache pladdern fette Regentropfen an mein Fenster. Da meine Fenster nach Osten raus gehen bedeutet das kalt und naß. Gestern noch habe ich beim Pilze sammeln mit Marek in Brandenburg geschwitzt wie eine verschissene Sau und heute schnatter ich mich dusselig. Zudem plagt mich noch seit Tagen eine schmerzliche Verspannung des Schultergürtels. Wild das Altern verfluchend unternehme ich meine morgendlichen Reinigungsrituale. Anschließend besuche ich Marek, der mir das einschmieren mit einer Wundersalbe versprochen hat.

Der berühmte Himmel über Berlin

Als ich dort ankomme, stellt sich diese Krem als bereits 12 Jahre abgelaufen heraus. Doch da mein Freund darauf schwört, lasse ich mich damit einreiben. Als auch nach 15 Minuten noch kaum ein Wärmeeffekt eintritt, meint Marek, daß wohl meine Schwarte zu dick wäre. So eine Unverfrorenheit! Ich zeihe ihn einen Quacksalber und Scharlatan und verabschiede mich abrupt. Da gehe ich doch lieber nach Haus und arbeite an meinem Tourette-Syndrom.



Donnerstag, 1. Oktober 2009

Ein romantischer Herbsttag

Tags zuvor rief Roland an, ob ich mit ihm und Mirko, dem sächsischen Großcusinier nach Zingst an die Ostsee wolle. Sie wollen Mirkos „Kismet“ ein leicht vergrößerter Jollenkreuzer, von dort nach Barth auf der anderen Seite des Boddens segeln und ich könnte sie dann dort mit dem Auto abholen. Ich sage sofort zu, denn schon immer wollte ich mal in die Gegend, die ich nur von Schilderungen dubioser Zeitgenossen und von sehr alten Postkarten als „bildschön“ kenne.

Es ist natürlich ein ordentlicher Ritt da hinaus, aber mit Rolands neuem Elch geht es fix. In gut drei Stunden sind wir da, rauschen an Rostock vorbei, wo ich auch noch nie war, muß aber auch nicht.

Wir biegen von der Autobahn ab, Richtung Ribnitz-Dammgarten und kurz bevor wir das erreichen, wieder links aufs Fischland, welches in den Darß übergeht und schwupp, ist Zingst erreicht. Das alte, berühmte Seebad gibt sich auf den ersten Blick so, wie man sich vor 20 Jahren die blühenden Landschaften vorgestellt hatte: Alles ist neu, modernisiert, herausgeputzt, halt wie es sich für einen deutschen Erholungsort an der See vorzustellen hat, und es ist in seinem Flair mit jedem anderen deutschen Seeort austauschbar.

Bevor ich aber auf die weitere Suche nach Ostflair und FKK-Stränden gehen kann, muß ich die beiden Freunde erstmal zum örtlichen Yachtklub bringen, wo Roland einen desperaten Versuch unternimmt, mich in die Rolle des Seglers zu manövrieren, um dann höchstselbst das Automobil fahren zu können, schließlich wäre es doch recht kühl und es wären doch nur zwo Stündlein und ich wäre doch viel jünger und ähnlich weinerlicher Quatsch, den ich selbstverständlich brüsk zurückweise, schließlich bin ich eine anerkannte Memme und ich hätte mich auf ein derartiges Unterfangen nimmer eingelassen, wenn nicht vorher schon fest hätte gestanden, daß ich den Kurier mimte und so weiter und so fort rede ich, bis mir an seiner Körperhaltung klar wird, daß mit keinen weiteren Einlassungen zu rechnen ist.

Da geht er hin und fügt sich

Bis zum Boot begleite ich Mirko und Roland noch. Wir verabreden einen Treffpunkt in Barth, ich wünsche noch Mast und Schotbruch und gehe dann aber zügig zum Auto zurück; es ist wirklich ganz schön kühl.

Zuerst mache ich mich auf in die Ortschaft mit ihren ganze Tinnefläden und Magazinen mit Badeschlappen und Gummitieren und ähnlichem Zeugs. Wie ich eingangs bereits erwähnte herrscht hier eine unglaubliche Austauschbarkeit vor, auch hinsichtlich der Menschen, die hier die abgeschmackte Szenerie bevölkern: Alles Jungrentner! Damit meine ich Paare aller Altersklassen, meist kinderlos - aber nicht unbedingt, die in ihrer betulichen Art, ihrer praktisch, deutschen, marken- und qualitätsbewussten Allwetterkleidung und in ihrer verfallstrotzenden Aura den ranzigen Hauch von frohem Lebensabend verbreiten.

Die grause See

Nur einmal kurz halte ich an, flitze über’n Deich und knipse das graue Meer. Dann fahre ich Richtung Osten, nach Müggenburg, auf der Suche nach Resten von Ostzonen-Atmosphäre. Ich fahre auch noch weiter auf der einzigen Straße in das Naturschutzgebiet des hiesigen Nationalparks. Ich will auch mal sehen, wie sich die berühmten DDR-FKK-Hochburgen heutzutage ausmachen. Leider sind links und rechts des Wegs nur Urwald und Salzwiesen. Zum Ende der Halbinsel kann ich auch nicht vordringen, da der letzte Rest des Wegs bis Pramort den Radfahrern vorbehalten ist, die mit ihren praktisch, deutschen, marken- und qualitätsbewussten Alurädern mir in unglaublich baseliger Weise vor der Motorhaube rumhampeln. Ich könnte auf dem eigens dafür vorgesehenen Parkplatz anhalten, doch ist dieser absurd weit entfernt von allem Sehenswürdigen und obendrein gebührenpflichtig, wie alles hier. Ich nehme also Abstand und schemme zurück.

Links und rechts in den Büschen lauern tückische Radfahrrentner

Wie ich dann so gemütlich wieder nach Zingst fahre, entdecke ich nach einem Kreisverkehr doch noch Reste der schönen DDR-Architektur. Ein prächtiges Ensemble zum Teil aufgehübschter Platte. Und sofort kann ich mir vorstellen, wie es sommers im Arbeiter- und Bauernstaat zugegangen ist. Hier also tobte in den heißen Juli- und Augustwochen der Bär. Links und rechts der Dorfchaussee standen Broilerbuden aus Wellblech und Grilettastände. Zwischendrin cruiste eine Armada von Trabbis mit ihren splitternackten Insassen, die Radios bis zum Anschlag aufgedreht mit den neuesten Liedern von den Puhdys und Karat. So provozierte man die Staatsmacht.

Mann, hier war was los!

Zufrieden, ein wenig vom Glanz alter Tage erhascht zu haben, fahre ich über die Meininger Drehbrücke nach Barth. Ein bisserl Zeit ist noch, also beherzige ich Rolands Rat, mir das Vinetamuseum anzuschauen. Vineta war eine vorwikingische Siedlung, die irgendwo in den Wassern der Ostsee unterging. Nun streiten sich seit Jahren einige Kommunen von Flensburg bis Tallin um die Beherbergungsrechte dieser legendären Ortschaft. Barth war damals am fixesten und darf sich seitdem Vinetastadt nennen.

Das Museum ist mit Parkplatz sehr gut ausgeschildert. Man wird durch die ganz hübsche Altstadt des etwa 9000 Einwohner zählenden Orts geleitet und landet am Ende recht abgelegen auf dem angekündigten Museumsparkplatz. Allein, mir fehlt der Glaube, daß das Objekt sich wirklich hier befinden soll. Lieber frage ich mal eine ältere Dame, die mir auch sofort umfassend Auskunft gibt: „Da müssense links ums Eck, die Treppe hoch, gleich wieder links und recht und dann die lange Straße ganz nach hinten durch, dann sindse schon da. Nichts zu danken, Tschüs.“

Da links um die Ecke...

Ich danke dennoch, aber ich gehe keinen Schritt weiter. Von Gewaltmärschen war nie die Rede! Und was soll das eigentlich, den Museumsparkplatz am gegenüberliegenden Ende der Stadt zu bauen? Hat man hier gar einen Sinn fürs Absurde? Ein Blick in die Gesichter der Bewohner legt das nicht nahe; sie strahlen alle eine gediegene Humorlosigkeit aus.

Ich steige wieder in den Elch. Es erscheint mir sinnvoller, den vereinbarten Treffpunkt aufzusuchen. Das ist schwieriger, als ich zuerst dachte, und zu meiner Pein muß ich Roland am Handy anrufen und ihn nochmal nach Details fragen. Der läßt die Gelegenheit natürlich nicht ungenutzt und zeiht mich einen Dösbaddel und Tölpel, daß ich in solch einer Kleinstadt eine fimschige Werft nicht finden kann. Da ich aber während seiner Rede die Zähne klappern hören kann, verzichte ich auf Widerrede. Im nächsten Anlauf finde ich die Werft, wo die „Kismet“ auch schon bald auftaucht.

Der Inhaber entpuppt sich als norddeutscher Schnacker vor dem Herrn. Wie er da im Blaumann inmitten seiner unaufgeräumten Werkstatt steht, umgeben von alten Maschinen und Werkzeug sonder Zahl, ist er der Prototyp eines vorpommerschen Eigenbrötlers, der seine Ansichten zu allem und jedem kund tut und jede Menge Geschichten über die Boddengegend erzählt. Ein ums andere Mal fängt er eine neue Erzählung an über westdeutsche Kunden, die sich recht dusselig anstellen, über die Geschichte der Boddenfischerei in der DDR, über die Vorteile von Zeesbooten, die Probleme als Bootsverleiher und, und, und. Ließe er nicht dieses grundlos fröhliche so arg vermissen, würde ich ihn für einen Rheinänder halten.

Dann kommen wir aber doch noch los. Es ist aber später als wir dachten und so ist bereits die Dämmerstunde am hereinbrechen, als wir über zahllose kleine Dörfer fahren, bis wir die Autobahn erreichen. Das bemerkenswerte an all diesen kleinen Weilern ist, daß trotz rapide einsetzender Dunkelheit in keinem Haus ein Licht brennt. Ob sie hier alle sehr sparsam sind? Oder sie sind bereits schon alle im Keller, in ihren ganzen privat betriebenen Swingerklubs, wo sie sich reihum treffen. Wir diskutieren die Möglichkeiten ausgiebig und kommen zu dem Schluß, daß die Bewohner bereits in ihren Betten sind, da sie vermutlich auch immer noch kein Westfernsehen haben.